Im Lande Friedrichs auf die Welt gebracht; Unmuthig siehest du den Bäumen ihre Pracht, Den Blumen ihren Reiz benommen. Der Maulbeerbaum -- er stehet blätterlos; Wie liegen unter ihm, die stolz getragne Locken Zerstreut, auf schwarzer Erde Schooß, Den blassen Leichen gleich! O! ihre Sterbeglocken, Die rauhen Winde stürmten um sie her. Wie ist die Reben-Wand von ihrem Schmuck so leer! Nichts grünet mehr in dem beliebten Raume, Wo du Lustwandeln giengst, wo Blumen sich gebückt, Vor deines weissen Kleides Saume, Wann sie dein Angesicht erblickt.
So nimmt die Zeit, einst Güter der Natur Dir schönes Kind! Dein Herbst, dein Winter werden kommen Mit räuberischer Hand. Dann wird, wie von der Flur, Der Reiz von dieser Wange weggenommen. Sie lassen dir des Herzens Schönheit nur! Nur den Verstand heraufgereift, nur Züge Der Seele, die mit Tugend ausgeschmückt
Vermiſchte Gedichte.
Im Lande Friedrichs auf die Welt gebracht; Unmuthig ſieheſt du den Baͤumen ihre Pracht, Den Blumen ihren Reiz benommen. Der Maulbeerbaum — er ſtehet blaͤtterlos; Wie liegen unter ihm, die ſtolz getragne Locken Zerſtreut, auf ſchwarzer Erde Schooß, Den blaſſen Leichen gleich! O! ihre Sterbeglocken, Die rauhen Winde ſtuͤrmten um ſie her. Wie iſt die Reben-Wand von ihrem Schmuck ſo leer! Nichts gruͤnet mehr in dem beliebten Raume, Wo du Luſtwandeln giengſt, wo Blumen ſich gebuͤckt, Vor deines weiſſen Kleides Saume, Wann ſie dein Angeſicht erblickt.
So nimmt die Zeit, einſt Guͤter der Natur Dir ſchoͤnes Kind! Dein Herbſt, dein Winter werden kommen Mit raͤuberiſcher Hand. Dann wird, wie von der Flur, Der Reiz von dieſer Wange weggenommen. Sie laſſen dir des Herzens Schoͤnheit nur! Nur den Verſtand heraufgereift, nur Zuͤge Der Seele, die mit Tugend ausgeſchmuͤckt
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Vermiſchte Gedichte.
Im Lande Friedrichs auf die Welt gebracht;
Unmuthig ſieheſt du den Baͤumen ihre Pracht,
Den Blumen ihren Reiz benommen.
Der Maulbeerbaum — er ſtehet blaͤtterlos;
Wie liegen unter ihm, die ſtolz getragne Locken
Zerſtreut, auf ſchwarzer Erde Schooß,
Den blaſſen Leichen gleich! O! ihre Sterbeglocken,
Die rauhen Winde ſtuͤrmten um ſie her.
Wie iſt die Reben-Wand von ihrem Schmuck ſo leer!
Nichts gruͤnet mehr in dem beliebten Raume,
Wo du Luſtwandeln giengſt, wo Blumen ſich gebuͤckt,
Vor deines weiſſen Kleides Saume,
Wann ſie dein Angeſicht erblickt.
So nimmt die Zeit, einſt Guͤter der Natur
Dir ſchoͤnes Kind! Dein Herbſt, dein Winter werden
kommen
Mit raͤuberiſcher Hand. Dann wird, wie von der Flur,
Der Reiz von dieſer Wange weggenommen.
Sie laſſen dir des Herzens Schoͤnheit nur!
Nur den Verſtand heraufgereift, nur Zuͤge
Der Seele, die mit Tugend ausgeſchmuͤckt
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Karsch, Anna Luise: Auserlesene Gedichte. Berlin, 1764, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1764/346>, abgerufen am 16.07.2024.
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