Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

Bild:
<< vorherige Seite
I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft.
§. 9.
Untersuchung der Frage: ob im Geschmacks-
urtheile das Gefühl der Lust vor der Beur-
theilung des Gegenstandes, oder diese vor
jener vorhergehe.

Die Auflösung dieser Aufgabe ist der Schlüssel zur
Critik des Geschmacks und daher aller Aufmerksamkeit
würdig.

Ginge die Lust an dem gegebenen Gegenstande vor-
her und nur die allgemeine Mittheilbarkeit derselben
sollte im Geschmacksurtheile der Vorstellung des Gegen-
standes zuerkannt werden, so würde ein solches Verfah-
ren mit sich selbst im Widerspruche stehen. Denn der-
gleichen Lust würde keine andere, als die bloße Annehm-
lichkeit in der Sinnenempfindung seyn und daher ihrer
Natur nach nur Privatgültigkeit haben können, weil sie
von der Vorstellung dadurch der Gegenstand gegeben
wird,
unmittelbar abhinge.

Also ist es die allgemeine Mittheilungsfähigkeit des
Gemüthszustandes in der gegebenen Vorstellung, wel-
che als subjective Bedingung des Geschmacksurtheils,
demselben zum Grunde liegen und die Lust an dem Ge-
genstande zur Folge haben muß. Es kann aber nichts
allgemein mitgetheilt werden, als Erkenntnis und Vor-
stellung, sofern sie zum Erkenntnis gehört. Denn so-
fern ist die letztere nur allein objectiv und hat nur dadurch

I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
§. 9.
Unterſuchung der Frage: ob im Geſchmacks-
urtheile das Gefuͤhl der Luſt vor der Beur-
theilung des Gegenſtandes, oder dieſe vor
jener vorhergehe.

Die Aufloͤſung dieſer Aufgabe iſt der Schluͤſſel zur
Critik des Geſchmacks und daher aller Aufmerkſamkeit
wuͤrdig.

Ginge die Luſt an dem gegebenen Gegenſtande vor-
her und nur die allgemeine Mittheilbarkeit derſelben
ſollte im Geſchmacksurtheile der Vorſtellung des Gegen-
ſtandes zuerkannt werden, ſo wuͤrde ein ſolches Verfah-
ren mit ſich ſelbſt im Widerſpruche ſtehen. Denn der-
gleichen Luſt wuͤrde keine andere, als die bloße Annehm-
lichkeit in der Sinnenempfindung ſeyn und daher ihrer
Natur nach nur Privatguͤltigkeit haben koͤnnen, weil ſie
von der Vorſtellung dadurch der Gegenſtand gegeben
wird,
unmittelbar abhinge.

Alſo iſt es die allgemeine Mittheilungsfaͤhigkeit des
Gemuͤthszuſtandes in der gegebenen Vorſtellung, wel-
che als ſubjective Bedingung des Geſchmacksurtheils,
demſelben zum Grunde liegen und die Luſt an dem Ge-
genſtande zur Folge haben muß. Es kann aber nichts
allgemein mitgetheilt werden, als Erkenntnis und Vor-
ſtellung, ſofern ſie zum Erkenntnis gehoͤrt. Denn ſo-
fern iſt die letztere nur allein objectiv und hat nur dadurch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0091" n="27"/>
              <fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. Critik der a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;chen Urtheilskraft.</fw><lb/>
              <div n="5">
                <head> <hi rendition="#b">§. 9.<lb/>
Unter&#x017F;uchung der Frage: ob im Ge&#x017F;chmacks-<lb/>
urtheile das Gefu&#x0364;hl der Lu&#x017F;t vor der Beur-<lb/>
theilung des Gegen&#x017F;tandes, oder die&#x017F;e vor<lb/>
jener vorhergehe.</hi> </head><lb/>
                <p>Die Auflo&#x0364;&#x017F;ung die&#x017F;er Aufgabe i&#x017F;t der Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el zur<lb/>
Critik des Ge&#x017F;chmacks und daher aller Aufmerk&#x017F;amkeit<lb/>
wu&#x0364;rdig.</p><lb/>
                <p>Ginge die Lu&#x017F;t an dem gegebenen Gegen&#x017F;tande vor-<lb/>
her und nur die allgemeine Mittheilbarkeit der&#x017F;elben<lb/>
&#x017F;ollte im Ge&#x017F;chmacksurtheile der Vor&#x017F;tellung des Gegen-<lb/>
&#x017F;tandes zuerkannt werden, &#x017F;o wu&#x0364;rde ein &#x017F;olches Verfah-<lb/>
ren mit &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t im Wider&#x017F;pruche &#x017F;tehen. Denn der-<lb/>
gleichen Lu&#x017F;t wu&#x0364;rde keine andere, als die bloße Annehm-<lb/>
lichkeit in der Sinnenempfindung &#x017F;eyn und daher ihrer<lb/>
Natur nach nur Privatgu&#x0364;ltigkeit haben ko&#x0364;nnen, weil &#x017F;ie<lb/>
von der Vor&#x017F;tellung dadurch der Gegen&#x017F;tand <hi rendition="#fr">gegeben<lb/>
wird,</hi> unmittelbar abhinge.</p><lb/>
                <p>Al&#x017F;o i&#x017F;t es die allgemeine Mittheilungsfa&#x0364;higkeit des<lb/>
Gemu&#x0364;thszu&#x017F;tandes in der gegebenen Vor&#x017F;tellung, wel-<lb/>
che als &#x017F;ubjective Bedingung des Ge&#x017F;chmacksurtheils,<lb/>
dem&#x017F;elben zum Grunde liegen und die Lu&#x017F;t an dem Ge-<lb/>
gen&#x017F;tande zur Folge haben muß. Es kann aber nichts<lb/>
allgemein mitgetheilt werden, als Erkenntnis und Vor-<lb/>
&#x017F;tellung, &#x017F;ofern &#x017F;ie zum Erkenntnis geho&#x0364;rt. Denn &#x017F;o-<lb/>
fern i&#x017F;t die letztere nur allein objectiv und hat nur dadurch<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[27/0091] I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. §. 9. Unterſuchung der Frage: ob im Geſchmacks- urtheile das Gefuͤhl der Luſt vor der Beur- theilung des Gegenſtandes, oder dieſe vor jener vorhergehe. Die Aufloͤſung dieſer Aufgabe iſt der Schluͤſſel zur Critik des Geſchmacks und daher aller Aufmerkſamkeit wuͤrdig. Ginge die Luſt an dem gegebenen Gegenſtande vor- her und nur die allgemeine Mittheilbarkeit derſelben ſollte im Geſchmacksurtheile der Vorſtellung des Gegen- ſtandes zuerkannt werden, ſo wuͤrde ein ſolches Verfah- ren mit ſich ſelbſt im Widerſpruche ſtehen. Denn der- gleichen Luſt wuͤrde keine andere, als die bloße Annehm- lichkeit in der Sinnenempfindung ſeyn und daher ihrer Natur nach nur Privatguͤltigkeit haben koͤnnen, weil ſie von der Vorſtellung dadurch der Gegenſtand gegeben wird, unmittelbar abhinge. Alſo iſt es die allgemeine Mittheilungsfaͤhigkeit des Gemuͤthszuſtandes in der gegebenen Vorſtellung, wel- che als ſubjective Bedingung des Geſchmacksurtheils, demſelben zum Grunde liegen und die Luſt an dem Ge- genſtande zur Folge haben muß. Es kann aber nichts allgemein mitgetheilt werden, als Erkenntnis und Vor- ſtellung, ſofern ſie zum Erkenntnis gehoͤrt. Denn ſo- fern iſt die letztere nur allein objectiv und hat nur dadurch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/91
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/91>, abgerufen am 27.11.2024.