der Allgemeinheit, d. i. der Gültigkeit für jedermann bey sich führt, welche im Urtheile über das Angenehme nicht angetroffen werden kann. Nur allein die Urtheile über das Gute, ob sie gleich auch das Wohlgefallen an einem Gegenstande bestimmen, haben logische, nicht blos ästhe- tische Allgemeinheit, denn sie gelten vom Object, als Erkenntnisse desselben, und darum für jedermann.
Wenn man Objecte blos nach Begriffen beurtheilt, so geht alle Vorstellung der Schönheit verloren. Also kann es auch keine Regel geben, nach der jemand genö- thigt werden sollte, etwas für schön anzuerkennen. Ob ein Kleid, ein Haus, eine Blume schön sey, dazu läßt man sich sein Urtheil durch keine Gründe oder Grundsätze abschwatzen. Man will das Object seinen eignen Augen unterwerfen, gleich als ob sein Wohlgefallen von der Empfindung abhinge, und dennoch, wenn man den Gegenstand alsdenn schön nennt, so glaubt man eine allgemeine Stimme für sich zu haben und macht An- spruch auf den Beytritt von jedermann, da hingegen jede Privatempfindung nur für ihn allein und sein Wohl- gefallen en[t]scheiden würde.
Hier ist nun zu sehen, daß in dem Urtheile des Ge- schmacks nichts postulirt wird, als eine solche allge- meine Stimme, in Ansehung des Wohlgefallens ohne Vermittelung der Begriffe, mithin die Möglichkeit eines ästhetischen Urtheils, das zugleich als für jedermann gül- tig betrachtet werden könne. Das Geschmacksurtheil
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I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
der Allgemeinheit, d. i. der Guͤltigkeit fuͤr jedermann bey ſich fuͤhrt, welche im Urtheile uͤber das Angenehme nicht angetroffen werden kann. Nur allein die Urtheile uͤber das Gute, ob ſie gleich auch das Wohlgefallen an einem Gegenſtande beſtimmen, haben logiſche, nicht blos aͤſthe- tiſche Allgemeinheit, denn ſie gelten vom Object, als Erkenntniſſe deſſelben, und darum fuͤr jedermann.
Wenn man Objecte blos nach Begriffen beurtheilt, ſo geht alle Vorſtellung der Schoͤnheit verloren. Alſo kann es auch keine Regel geben, nach der jemand genoͤ- thigt werden ſollte, etwas fuͤr ſchoͤn anzuerkennen. Ob ein Kleid, ein Haus, eine Blume ſchoͤn ſey, dazu laͤßt man ſich ſein Urtheil durch keine Gruͤnde oder Grundſaͤtze abſchwatzen. Man will das Object ſeinen eignen Augen unterwerfen, gleich als ob ſein Wohlgefallen von der Empfindung abhinge, und dennoch, wenn man den Gegenſtand alsdenn ſchoͤn nennt, ſo glaubt man eine allgemeine Stimme fuͤr ſich zu haben und macht An- ſpruch auf den Beytritt von jedermann, da hingegen jede Privatempfindung nur fuͤr ihn allein und ſein Wohl- gefallen en[t]ſcheiden wuͤrde.
Hier iſt nun zu ſehen, daß in dem Urtheile des Ge- ſchmacks nichts poſtulirt wird, als eine ſolche allge- meine Stimme, in Anſehung des Wohlgefallens ohne Vermittelung der Begriffe, mithin die Moͤglichkeit eines aͤſthetiſchen Urtheils, das zugleich als fuͤr jedermann guͤl- tig betrachtet werden koͤnne. Das Geſchmacksurtheil
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I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
der Allgemeinheit, d. i. der Guͤltigkeit fuͤr jedermann bey
ſich fuͤhrt, welche im Urtheile uͤber das Angenehme nicht
angetroffen werden kann. Nur allein die Urtheile uͤber
das Gute, ob ſie gleich auch das Wohlgefallen an einem
Gegenſtande beſtimmen, haben logiſche, nicht blos aͤſthe-
tiſche Allgemeinheit, denn ſie gelten vom Object, als
Erkenntniſſe deſſelben, und darum fuͤr jedermann.
Wenn man Objecte blos nach Begriffen beurtheilt,
ſo geht alle Vorſtellung der Schoͤnheit verloren. Alſo
kann es auch keine Regel geben, nach der jemand genoͤ-
thigt werden ſollte, etwas fuͤr ſchoͤn anzuerkennen. Ob
ein Kleid, ein Haus, eine Blume ſchoͤn ſey, dazu laͤßt
man ſich ſein Urtheil durch keine Gruͤnde oder Grundſaͤtze
abſchwatzen. Man will das Object ſeinen eignen Augen
unterwerfen, gleich als ob ſein Wohlgefallen von der
Empfindung abhinge, und dennoch, wenn man den
Gegenſtand alsdenn ſchoͤn nennt, ſo glaubt man eine
allgemeine Stimme fuͤr ſich zu haben und macht An-
ſpruch auf den Beytritt von jedermann, da hingegen
jede Privatempfindung nur fuͤr ihn allein und ſein Wohl-
gefallen entſcheiden wuͤrde.
Hier iſt nun zu ſehen, daß in dem Urtheile des Ge-
ſchmacks nichts poſtulirt wird, als eine ſolche allge-
meine Stimme, in Anſehung des Wohlgefallens ohne
Vermittelung der Begriffe, mithin die Moͤglichkeit eines
aͤſthetiſchen Urtheils, das zugleich als fuͤr jedermann guͤl-
tig betrachtet werden koͤnne. Das Geſchmacksurtheil
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/89>, abgerufen am 27.11.2024.
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