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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

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II. Th. Critik der teleologischen Urtheilskraft.

Die Verfechter der Evolutionstheorie, welche
jedes Jndividuum von der bildenden Kraft der Natur
ausnehmen, um es unmittelbar aus der Hand des
Schöpfers kommen zu lassen, wollen es also doch nicht
wagen dieses nach der Hypothese des Occasionalisms
geschehen zu lassen, so daß die Begattung eine bloße For-
malität wäre, unter der eine oberste verständige Welt-
ursache beschlossen hätte, jedesmal eine Frucht mit un-
mittelbarer Hand zu bilden und der Mutter nur die Aus-
wickelung und Ernährung derselben zu überlassen. Sie
erklärten sich für die Präformation; gleich als wenn es
nicht einerley wäre, übernatürlicher Weise, ob im An-
fange, oder im Fortlaufe der Welt, dergleichen Formen
entstehen zu lassen und nicht vielmehr eine große Menge
übernatürlicher Anstalten durch gelegentliche Schöpfung
erspahrt wurde, welche erforderlich seyn würden, damit
der im Anfange der Welt gebildete Embryo die lange
Zeit hindurch, bis zu seiner Entwickelung, nicht von den
zerstöhrenden Kräften der Natur litte und sich unverletzt
erhielte, imgleichen eine unermeslich größere Zahl solcher
vorgebildeten Wesen, als jemals entwickelt werden soll-
ten und mit ihnen eben so viel Schöpfungen dadurch un-
nöthig und zwecklos gemacht wurden. Allein sie wollten
doch wenigstens etwas hierinn der Natur überlassen,
um nicht gar in völlige Hyperphysik zu gerathen, die
aller Naturerklärung entbehren kann. Sie hielten zwar
noch fest an ihrer Hyperphysik, selbst da sie an Misge-

II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.

Die Verfechter der Evolutionstheorie, welche
jedes Jndividuum von der bildenden Kraft der Natur
ausnehmen, um es unmittelbar aus der Hand des
Schoͤpfers kommen zu laſſen, wollen es alſo doch nicht
wagen dieſes nach der Hypotheſe des Occaſionalisms
geſchehen zu laſſen, ſo daß die Begattung eine bloße For-
malitaͤt waͤre, unter der eine oberſte verſtaͤndige Welt-
urſache beſchloſſen haͤtte, jedesmal eine Frucht mit un-
mittelbarer Hand zu bilden und der Mutter nur die Aus-
wickelung und Ernaͤhrung derſelben zu uͤberlaſſen. Sie
erklaͤrten ſich fuͤr die Praͤformation; gleich als wenn es
nicht einerley waͤre, uͤbernatuͤrlicher Weiſe, ob im An-
fange, oder im Fortlaufe der Welt, dergleichen Formen
entſtehen zu laſſen und nicht vielmehr eine große Menge
uͤbernatuͤrlicher Anſtalten durch gelegentliche Schoͤpfung
erſpahrt wurde, welche erforderlich ſeyn wuͤrden, damit
der im Anfange der Welt gebildete Embryo die lange
Zeit hindurch, bis zu ſeiner Entwickelung, nicht von den
zerſtoͤhrenden Kraͤften der Natur litte und ſich unverletzt
erhielte, imgleichen eine unermeslich groͤßere Zahl ſolcher
vorgebildeten Weſen, als jemals entwickelt werden ſoll-
ten und mit ihnen eben ſo viel Schoͤpfungen dadurch un-
noͤthig und zwecklos gemacht wurden. Allein ſie wollten
doch wenigſtens etwas hierinn der Natur uͤberlaſſen,
um nicht gar in voͤllige Hyperphyſik zu gerathen, die
aller Naturerklaͤrung entbehren kann. Sie hielten zwar
noch feſt an ihrer Hyperphyſik, ſelbſt da ſie an Misge-

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[372/0436] II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft. Die Verfechter der Evolutionstheorie, welche jedes Jndividuum von der bildenden Kraft der Natur ausnehmen, um es unmittelbar aus der Hand des Schoͤpfers kommen zu laſſen, wollen es alſo doch nicht wagen dieſes nach der Hypotheſe des Occaſionalisms geſchehen zu laſſen, ſo daß die Begattung eine bloße For- malitaͤt waͤre, unter der eine oberſte verſtaͤndige Welt- urſache beſchloſſen haͤtte, jedesmal eine Frucht mit un- mittelbarer Hand zu bilden und der Mutter nur die Aus- wickelung und Ernaͤhrung derſelben zu uͤberlaſſen. Sie erklaͤrten ſich fuͤr die Praͤformation; gleich als wenn es nicht einerley waͤre, uͤbernatuͤrlicher Weiſe, ob im An- fange, oder im Fortlaufe der Welt, dergleichen Formen entſtehen zu laſſen und nicht vielmehr eine große Menge uͤbernatuͤrlicher Anſtalten durch gelegentliche Schoͤpfung erſpahrt wurde, welche erforderlich ſeyn wuͤrden, damit der im Anfange der Welt gebildete Embryo die lange Zeit hindurch, bis zu ſeiner Entwickelung, nicht von den zerſtoͤhrenden Kraͤften der Natur litte und ſich unverletzt erhielte, imgleichen eine unermeslich groͤßere Zahl ſolcher vorgebildeten Weſen, als jemals entwickelt werden ſoll- ten und mit ihnen eben ſo viel Schoͤpfungen dadurch un- noͤthig und zwecklos gemacht wurden. Allein ſie wollten doch wenigſtens etwas hierinn der Natur uͤberlaſſen, um nicht gar in voͤllige Hyperphyſik zu gerathen, die aller Naturerklaͤrung entbehren kann. Sie hielten zwar noch feſt an ihrer Hyperphyſik, ſelbſt da ſie an Misge-

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/436>, abgerufen am 20.05.2024.