Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Th. Critik der teleologischen Urtheilskraft.
reren dienen konnten. Mit dem Begriffe eines Natur-
zwecks verhält es sich zwar eben so, was die Ursache der
Möglichkeit eines solchen Prädikats betrift, die nur in
der Jdee liegen kann; aber die ihr gemäße Folge (das
Product selbst) ist doch in der Natur gegeben, und der
Begriff einer Causalität der letzteren, als eines nach
Zwecken handelnden Wesens, scheint die Jdee eines Na-
turzwecks zu einem constitutiven Princip desselben zu ma-
chen, und darin hat sie etwas von allen andern Jdeen
Unterscheidendes.

Dieses Unterscheidende besteht aber darin: daß ge-
dachte Jdee nicht ein Vernunftprincip für den Verstand,
sondern für die Urtheilskraft, mithin lediglich die An-
wendung eines Verstandes überhaupt auf mögliche Ge-
genstände der Erfahrung ist, und zwar da, wo das Ur-
theil nicht bestimmend, sondern blos reflectirend seyn
kann, mithin der Gegenstand zwar in der Erfahrung ge-
geben, aber darüber der Jdee gemäs gar nicht einmal
bestimmt (geschweige vollig angemessen) geurtheilt,
sondern nur über ihn reflectirt werden kann.

Es betrift also eine Eigenthümlichkeit unseres
(menschlichen) Verstandes in Ansehung der Urtheils-
kraft, in der Reflexion derselben über Dinge der Natur.
Wenn das aber ist, so muß hier die Jdee von einem an-
dern möglichen Verstande, als dem menschlichen zum
Grunde liegen (so wie wir in der Critik d. r. V. eine an-
dere mögliche Anschauung in Gedanken haben mußten,

Y 3

II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
reren dienen konnten. Mit dem Begriffe eines Natur-
zwecks verhaͤlt es ſich zwar eben ſo, was die Urſache der
Moͤglichkeit eines ſolchen Praͤdikats betrift, die nur in
der Jdee liegen kann; aber die ihr gemaͤße Folge (das
Product ſelbſt) iſt doch in der Natur gegeben, und der
Begriff einer Cauſalitaͤt der letzteren, als eines nach
Zwecken handelnden Weſens, ſcheint die Jdee eines Na-
turzwecks zu einem conſtitutiven Princip deſſelben zu ma-
chen, und darin hat ſie etwas von allen andern Jdeen
Unterſcheidendes.

Dieſes Unterſcheidende beſteht aber darin: daß ge-
dachte Jdee nicht ein Vernunftprincip fuͤr den Verſtand,
ſondern fuͤr die Urtheilskraft, mithin lediglich die An-
wendung eines Verſtandes uͤberhaupt auf moͤgliche Ge-
genſtaͤnde der Erfahrung iſt, und zwar da, wo das Ur-
theil nicht beſtimmend, ſondern blos reflectirend ſeyn
kann, mithin der Gegenſtand zwar in der Erfahrung ge-
geben, aber daruͤber der Jdee gemaͤs gar nicht einmal
beſtimmt (geſchweige vollig angemeſſen) geurtheilt,
ſondern nur uͤber ihn reflectirt werden kann.

Es betrift alſo eine Eigenthuͤmlichkeit unſeres
(menſchlichen) Verſtandes in Anſehung der Urtheils-
kraft, in der Reflexion derſelben uͤber Dinge der Natur.
Wenn das aber iſt, ſo muß hier die Jdee von einem an-
dern moͤglichen Verſtande, als dem menſchlichen zum
Grunde liegen (ſo wie wir in der Critik d. r. V. eine an-
dere moͤgliche Anſchauung in Gedanken haben mußten,

Y 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0405" n="341"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Th. Critik der teleologi&#x017F;chen Urtheilskraft.</fw><lb/>
reren dienen konnten. Mit dem Begriffe eines Natur-<lb/>
zwecks verha&#x0364;lt es &#x017F;ich zwar eben &#x017F;o, was die Ur&#x017F;ache der<lb/>
Mo&#x0364;glichkeit eines &#x017F;olchen Pra&#x0364;dikats betrift, die nur in<lb/>
der Jdee liegen kann; aber die ihr gema&#x0364;ße Folge (das<lb/>
Product &#x017F;elb&#x017F;t) i&#x017F;t doch in der Natur gegeben, und der<lb/>
Begriff einer Cau&#x017F;alita&#x0364;t der letzteren, als eines nach<lb/>
Zwecken handelnden We&#x017F;ens, &#x017F;cheint die Jdee eines Na-<lb/>
turzwecks zu einem con&#x017F;titutiven Princip de&#x017F;&#x017F;elben zu ma-<lb/>
chen, und darin hat &#x017F;ie etwas von allen andern Jdeen<lb/>
Unter&#x017F;cheidendes.</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;es Unter&#x017F;cheidende be&#x017F;teht aber darin: daß ge-<lb/>
dachte Jdee nicht ein Vernunftprincip fu&#x0364;r den Ver&#x017F;tand,<lb/>
&#x017F;ondern fu&#x0364;r die Urtheilskraft, mithin lediglich die An-<lb/>
wendung eines Ver&#x017F;tandes u&#x0364;berhaupt auf mo&#x0364;gliche Ge-<lb/>
gen&#x017F;ta&#x0364;nde der Erfahrung i&#x017F;t, und zwar da, wo das Ur-<lb/>
theil nicht be&#x017F;timmend, &#x017F;ondern blos reflectirend &#x017F;eyn<lb/>
kann, mithin der Gegen&#x017F;tand zwar in der Erfahrung ge-<lb/>
geben, aber daru&#x0364;ber der Jdee gema&#x0364;s gar nicht einmal<lb/><hi rendition="#fr">be&#x017F;timmt</hi> (ge&#x017F;chweige vollig angeme&#x017F;&#x017F;en) <hi rendition="#fr">geurtheilt</hi>,<lb/>
&#x017F;ondern nur u&#x0364;ber ihn reflectirt werden kann.</p><lb/>
            <p>Es betrift al&#x017F;o eine Eigenthu&#x0364;mlichkeit <hi rendition="#fr">un&#x017F;eres</hi><lb/>
(men&#x017F;chlichen) Ver&#x017F;tandes in An&#x017F;ehung der Urtheils-<lb/>
kraft, in der Reflexion der&#x017F;elben u&#x0364;ber Dinge der Natur.<lb/>
Wenn das aber i&#x017F;t, &#x017F;o muß hier die Jdee von einem an-<lb/>
dern mo&#x0364;glichen Ver&#x017F;tande, als dem men&#x017F;chlichen zum<lb/>
Grunde liegen (&#x017F;o wie wir in der Critik d. r. V. eine an-<lb/>
dere mo&#x0364;gliche An&#x017F;chauung in Gedanken haben mußten,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Y 3</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[341/0405] II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft. reren dienen konnten. Mit dem Begriffe eines Natur- zwecks verhaͤlt es ſich zwar eben ſo, was die Urſache der Moͤglichkeit eines ſolchen Praͤdikats betrift, die nur in der Jdee liegen kann; aber die ihr gemaͤße Folge (das Product ſelbſt) iſt doch in der Natur gegeben, und der Begriff einer Cauſalitaͤt der letzteren, als eines nach Zwecken handelnden Weſens, ſcheint die Jdee eines Na- turzwecks zu einem conſtitutiven Princip deſſelben zu ma- chen, und darin hat ſie etwas von allen andern Jdeen Unterſcheidendes. Dieſes Unterſcheidende beſteht aber darin: daß ge- dachte Jdee nicht ein Vernunftprincip fuͤr den Verſtand, ſondern fuͤr die Urtheilskraft, mithin lediglich die An- wendung eines Verſtandes uͤberhaupt auf moͤgliche Ge- genſtaͤnde der Erfahrung iſt, und zwar da, wo das Ur- theil nicht beſtimmend, ſondern blos reflectirend ſeyn kann, mithin der Gegenſtand zwar in der Erfahrung ge- geben, aber daruͤber der Jdee gemaͤs gar nicht einmal beſtimmt (geſchweige vollig angemeſſen) geurtheilt, ſondern nur uͤber ihn reflectirt werden kann. Es betrift alſo eine Eigenthuͤmlichkeit unſeres (menſchlichen) Verſtandes in Anſehung der Urtheils- kraft, in der Reflexion derſelben uͤber Dinge der Natur. Wenn das aber iſt, ſo muß hier die Jdee von einem an- dern moͤglichen Verſtande, als dem menſchlichen zum Grunde liegen (ſo wie wir in der Critik d. r. V. eine an- dere moͤgliche Anſchauung in Gedanken haben mußten, Y 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/405
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/405>, abgerufen am 20.05.2024.