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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

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II. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft.
der Linien dieser Art nachforschten, ohne sich durch die
Frage eingeschränkter Köpfe irre machen zu lassen, wozu
denn diese Kenntnis nutzen sollte, z. B. die der Parabel,
ohne das Gesetz der Schwere auf der Erde zu kennen,
welches ihnen die Anwendung derselben auf die Wurfs-
linie schwerer Körper, (deren Richtung der Schwere in
ihrer Bewegung als parallel angesehen werden kann)
würde an die Hand gegeben haben; oder der Ellipse,
ohne zu ahnden, daß auch eine Schwere an Himmels-
körpern zu finden sey und ohne ihr Gesetz in verschiedenen
Entfernungen vom Anziehungspuncte zu kennen, wel-
ches macht, daß sie diese Linie in freyer Bewegung be-
schreiben. Während dessen, daß sie hierin, ihnen selbst
unbewußt, für die Nachkommenschaft arbeiteten, ergötz-
ten sie sich an einer Zweckmäßigkeit in dem Wesen der
Dinge, die sie doch völlig a priori in ihrer Nothwendig-
keit darstellen konnten. Plato, selbst Meister in dieser
Wissenschaft, gerieth über eine solche ursprüngliche Be-
schaffenheit der Dinge, welche zu entdecken wir aller Er-
fahrung entbehren können, und über das Vermögen des
Gemüths, die Harmonie der Wesen aus ihrem übersinn-
lichen Princip schöpfen zu können (wozu noch die Eigen-
schaften der Zahlen kommen, mit denen das Gemüth in
der Musik spielt), in die Begeisterung, welche ihn über
die Erfahrungsbegriffe zu Jdeen erhob, die ihm nur
durch eine intellectuelle Gemeinschaft mit dem Ursprunge
aller Wesen erklärlich zu seyn schienen. Kein Wunder,

II. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
der Linien dieſer Art nachforſchten, ohne ſich durch die
Frage eingeſchraͤnkter Koͤpfe irre machen zu laſſen, wozu
denn dieſe Kenntnis nutzen ſollte, z. B. die der Parabel,
ohne das Geſetz der Schwere auf der Erde zu kennen,
welches ihnen die Anwendung derſelben auf die Wurfs-
linie ſchwerer Koͤrper, (deren Richtung der Schwere in
ihrer Bewegung als parallel angeſehen werden kann)
wuͤrde an die Hand gegeben haben; oder der Ellipſe,
ohne zu ahnden, daß auch eine Schwere an Himmels-
koͤrpern zu finden ſey und ohne ihr Geſetz in verſchiedenen
Entfernungen vom Anziehungspuncte zu kennen, wel-
ches macht, daß ſie dieſe Linie in freyer Bewegung be-
ſchreiben. Waͤhrend deſſen, daß ſie hierin, ihnen ſelbſt
unbewußt, fuͤr die Nachkommenſchaft arbeiteten, ergoͤtz-
ten ſie ſich an einer Zweckmaͤßigkeit in dem Weſen der
Dinge, die ſie doch voͤllig a priori in ihrer Nothwendig-
keit darſtellen konnten. Plato, ſelbſt Meiſter in dieſer
Wiſſenſchaft, gerieth uͤber eine ſolche urſpruͤngliche Be-
ſchaffenheit der Dinge, welche zu entdecken wir aller Er-
fahrung entbehren koͤnnen, und uͤber das Vermoͤgen des
Gemuͤths, die Harmonie der Weſen aus ihrem uͤberſinn-
lichen Princip ſchoͤpfen zu koͤnnen (wozu noch die Eigen-
ſchaften der Zahlen kommen, mit denen das Gemuͤth in
der Muſik ſpielt), in die Begeiſterung, welche ihn uͤber
die Erfahrungsbegriffe zu Jdeen erhob, die ihm nur
durch eine intellectuelle Gemeinſchaft mit dem Urſprunge
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[269/0333] II. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. der Linien dieſer Art nachforſchten, ohne ſich durch die Frage eingeſchraͤnkter Koͤpfe irre machen zu laſſen, wozu denn dieſe Kenntnis nutzen ſollte, z. B. die der Parabel, ohne das Geſetz der Schwere auf der Erde zu kennen, welches ihnen die Anwendung derſelben auf die Wurfs- linie ſchwerer Koͤrper, (deren Richtung der Schwere in ihrer Bewegung als parallel angeſehen werden kann) wuͤrde an die Hand gegeben haben; oder der Ellipſe, ohne zu ahnden, daß auch eine Schwere an Himmels- koͤrpern zu finden ſey und ohne ihr Geſetz in verſchiedenen Entfernungen vom Anziehungspuncte zu kennen, wel- ches macht, daß ſie dieſe Linie in freyer Bewegung be- ſchreiben. Waͤhrend deſſen, daß ſie hierin, ihnen ſelbſt unbewußt, fuͤr die Nachkommenſchaft arbeiteten, ergoͤtz- ten ſie ſich an einer Zweckmaͤßigkeit in dem Weſen der Dinge, die ſie doch voͤllig a priori in ihrer Nothwendig- keit darſtellen konnten. Plato, ſelbſt Meiſter in dieſer Wiſſenſchaft, gerieth uͤber eine ſolche urſpruͤngliche Be- ſchaffenheit der Dinge, welche zu entdecken wir aller Er- fahrung entbehren koͤnnen, und uͤber das Vermoͤgen des Gemuͤths, die Harmonie der Weſen aus ihrem uͤberſinn- lichen Princip ſchoͤpfen zu koͤnnen (wozu noch die Eigen- ſchaften der Zahlen kommen, mit denen das Gemuͤth in der Muſik ſpielt), in die Begeiſterung, welche ihn uͤber die Erfahrungsbegriffe zu Jdeen erhob, die ihm nur durch eine intellectuelle Gemeinſchaft mit dem Urſprunge aller Weſen erklaͤrlich zu ſeyn ſchienen. Kein Wunder,

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/333>, abgerufen am 26.11.2024.