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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

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II. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft.

Jn einer so einfachen Figur, als der Cirkel ist, liegt
der Grund zu einer Auflösung einer Menge von Proble-
men, deren jedes für sich mancherley Zurüstung erfor-
dern würde und die als eine von den unendlich vielen
vortreflichen Eigenschaften dieser Figur, sich gleichsam
von selbst ergiebt. Jst es z. B. darum zu thun, aus der
gegebenen Grundlinie und den ihr gegenüberstehen-
den Winkel einen Triangel zu construiren, so ist die Auf-
gabe unbestimmt, d. i. sie läßt sich auf unendlich man-
nigfaltige Art auflösen. Allein der Cirkel befaßt sie doch
alle insgesammt, als der geometrische Ort für alle Drey-
ecke, die dieser Bedingung gemäs sind. Oder zwey Li-
nien sollen sich einander so schneiden, daß das Rechteck
aus den zwey Theilen der einen, dem Rechteck aus den
zwey Theilen der andern gleich sey: so hat die Auflösung
der Aufgabe dem Ansehen nach viele Schwierigkeit. Aber
alle Linien, die sich innerhalb dem Cirkel, dessen Umkreis
jede derselben begrenzt, schneiden, theilen sich von selbst
in dieser Proportion. Die andere krumme Linien geben
wiederum andere zweckmäßige Auflösungen an die Hand,
an die in der Regel, die ihre Construction ausmacht,
gar nicht gedacht war. Alle Kegelschnitte für sich und
in Vergleichung mit einander sind fruchtbar an Princi-
pien zur Auflösung einer Menge möglicher Probleme, so
einfach auch ihre Erklärung ist, welche ihren Begrif be-
stimmt. -- Es ist eine wahre Freude den Eifer der alten
Geometer anzusehen, mit dem sie diesen Eigenschaften

II. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Jn einer ſo einfachen Figur, als der Cirkel iſt, liegt
der Grund zu einer Aufloͤſung einer Menge von Proble-
men, deren jedes fuͤr ſich mancherley Zuruͤſtung erfor-
dern wuͤrde und die als eine von den unendlich vielen
vortreflichen Eigenſchaften dieſer Figur, ſich gleichſam
von ſelbſt ergiebt. Jſt es z. B. darum zu thun, aus der
gegebenen Grundlinie und den ihr gegenuͤberſtehen-
den Winkel einen Triangel zu conſtruiren, ſo iſt die Auf-
gabe unbeſtimmt, d. i. ſie laͤßt ſich auf unendlich man-
nigfaltige Art aufloͤſen. Allein der Cirkel befaßt ſie doch
alle insgeſammt, als der geometriſche Ort fuͤr alle Drey-
ecke, die dieſer Bedingung gemaͤs ſind. Oder zwey Li-
nien ſollen ſich einander ſo ſchneiden, daß das Rechteck
aus den zwey Theilen der einen, dem Rechteck aus den
zwey Theilen der andern gleich ſey: ſo hat die Aufloͤſung
der Aufgabe dem Anſehen nach viele Schwierigkeit. Aber
alle Linien, die ſich innerhalb dem Cirkel, deſſen Umkreis
jede derſelben begrenzt, ſchneiden, theilen ſich von ſelbſt
in dieſer Proportion. Die andere krumme Linien geben
wiederum andere zweckmaͤßige Aufloͤſungen an die Hand,
an die in der Regel, die ihre Conſtruction ausmacht,
gar nicht gedacht war. Alle Kegelſchnitte fuͤr ſich und
in Vergleichung mit einander ſind fruchtbar an Princi-
pien zur Aufloͤſung einer Menge moͤglicher Probleme, ſo
einfach auch ihre Erklaͤrung iſt, welche ihren Begrif be-
ſtimmt. — Es iſt eine wahre Freude den Eifer der alten
Geometer anzuſehen, mit dem ſie dieſen Eigenſchaften

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[268/0332] II. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. Jn einer ſo einfachen Figur, als der Cirkel iſt, liegt der Grund zu einer Aufloͤſung einer Menge von Proble- men, deren jedes fuͤr ſich mancherley Zuruͤſtung erfor- dern wuͤrde und die als eine von den unendlich vielen vortreflichen Eigenſchaften dieſer Figur, ſich gleichſam von ſelbſt ergiebt. Jſt es z. B. darum zu thun, aus der gegebenen Grundlinie und den ihr gegenuͤberſtehen- den Winkel einen Triangel zu conſtruiren, ſo iſt die Auf- gabe unbeſtimmt, d. i. ſie laͤßt ſich auf unendlich man- nigfaltige Art aufloͤſen. Allein der Cirkel befaßt ſie doch alle insgeſammt, als der geometriſche Ort fuͤr alle Drey- ecke, die dieſer Bedingung gemaͤs ſind. Oder zwey Li- nien ſollen ſich einander ſo ſchneiden, daß das Rechteck aus den zwey Theilen der einen, dem Rechteck aus den zwey Theilen der andern gleich ſey: ſo hat die Aufloͤſung der Aufgabe dem Anſehen nach viele Schwierigkeit. Aber alle Linien, die ſich innerhalb dem Cirkel, deſſen Umkreis jede derſelben begrenzt, ſchneiden, theilen ſich von ſelbſt in dieſer Proportion. Die andere krumme Linien geben wiederum andere zweckmaͤßige Aufloͤſungen an die Hand, an die in der Regel, die ihre Conſtruction ausmacht, gar nicht gedacht war. Alle Kegelſchnitte fuͤr ſich und in Vergleichung mit einander ſind fruchtbar an Princi- pien zur Aufloͤſung einer Menge moͤglicher Probleme, ſo einfach auch ihre Erklaͤrung iſt, welche ihren Begrif be- ſtimmt. — Es iſt eine wahre Freude den Eifer der alten Geometer anzuſehen, mit dem ſie dieſen Eigenſchaften

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/332>, abgerufen am 26.11.2024.