Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft.
Das ist das Jntelligibele, worauf, wie der vorige
Paragraph Anzeige that, der Geschmack hinaussieht,
wozu nämlich selbst unsere obere Erkenntnisvermögen zu-
sammenstimmen, ohne welches zwischen ihrer Natur,
verglichen mit den Ansprüchen, die der Geschmack macht,
lauter Widersprüche erwachsen würden. Jn diesem Ver-
mögen sieht sich die Urtheilskraft nicht, wie sonst in em-
pirischer Beurtheilung, einer Heteronomie der Erfah-
rungsgesetze unterworfen; sie giebt in Ansehung der Ge-
genstände eines so reinen Wohlgefallens ihr selbst das
Gesetz, so wie die Vernunft es in Ansehung des Begeh-
rungsvermögens thut und sieht sich sowohl wegen dieser
innern Möglichkeit im Subjecte, als wegen der äußern
Möglichkeit einer damit übereinstimmenden Natur, auf
etwas im Subjecte selbst und außer ihm, was nicht Na-
tur, auch nicht Freyheit, doch aber mit dem Grunde der
letzteren, nämlich dem Uebersinnlichen verknüpft ist, be-
zogen, in welchem das theoretische Vermögen mit dem
practischen auf gemeinschaftliche und unbekannte Art,
zur Einheit verbunden wird. Wir wollen einige Stücke
dieser Analogie anführen, indem wir zugleich die Ver-
schiedenheit derselben nicht unbemerkt lassen.

1) Das Schöne gefällt unmittelbar (aber nur in
der reflectirenden Anschauung, nicht, wie Sittlichkeit
im Begriffe). 2) Es gefällt ohne alles Jnteresse
(das Sittlichgute zwar nothwendig mit einem Jnteresse,
aber nicht einem solchen, was vor dem Urtheile über das

I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
Das iſt das Jntelligibele, worauf, wie der vorige
Paragraph Anzeige that, der Geſchmack hinausſieht,
wozu naͤmlich ſelbſt unſere obere Erkenntnisvermoͤgen zu-
ſammenſtimmen, ohne welches zwiſchen ihrer Natur,
verglichen mit den Anſpruͤchen, die der Geſchmack macht,
lauter Widerſpruͤche erwachſen wuͤrden. Jn dieſem Ver-
moͤgen ſieht ſich die Urtheilskraft nicht, wie ſonſt in em-
piriſcher Beurtheilung, einer Heteronomie der Erfah-
rungsgeſetze unterworfen; ſie giebt in Anſehung der Ge-
genſtaͤnde eines ſo reinen Wohlgefallens ihr ſelbſt das
Geſetz, ſo wie die Vernunft es in Anſehung des Begeh-
rungsvermoͤgens thut und ſieht ſich ſowohl wegen dieſer
innern Moͤglichkeit im Subjecte, als wegen der aͤußern
Moͤglichkeit einer damit uͤbereinſtimmenden Natur, auf
etwas im Subjecte ſelbſt und außer ihm, was nicht Na-
tur, auch nicht Freyheit, doch aber mit dem Grunde der
letzteren, naͤmlich dem Ueberſinnlichen verknuͤpft iſt, be-
zogen, in welchem das theoretiſche Vermoͤgen mit dem
practiſchen auf gemeinſchaftliche und unbekannte Art,
zur Einheit verbunden wird. Wir wollen einige Stuͤcke
dieſer Analogie anfuͤhren, indem wir zugleich die Ver-
ſchiedenheit derſelben nicht unbemerkt laſſen.

1) Das Schoͤne gefaͤllt unmittelbar (aber nur in
der reflectirenden Anſchauung, nicht, wie Sittlichkeit
im Begriffe). 2) Es gefaͤllt ohne alles Jntereſſe
(das Sittlichgute zwar nothwendig mit einem Jntereſſe,
aber nicht einem ſolchen, was vor dem Urtheile uͤber das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0319" n="255"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. Critik der a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;chen Urtheilskraft.</fw><lb/>
Das i&#x017F;t das <hi rendition="#fr">Jntelligibele</hi>, worauf, wie der vorige<lb/>
Paragraph Anzeige that, der Ge&#x017F;chmack hinaus&#x017F;ieht,<lb/>
wozu na&#x0364;mlich &#x017F;elb&#x017F;t un&#x017F;ere obere Erkenntnisvermo&#x0364;gen zu-<lb/>
&#x017F;ammen&#x017F;timmen, ohne welches zwi&#x017F;chen ihrer Natur,<lb/>
verglichen mit den An&#x017F;pru&#x0364;chen, die der Ge&#x017F;chmack macht,<lb/>
lauter Wider&#x017F;pru&#x0364;che erwach&#x017F;en wu&#x0364;rden. Jn die&#x017F;em Ver-<lb/>
mo&#x0364;gen &#x017F;ieht &#x017F;ich die Urtheilskraft nicht, wie &#x017F;on&#x017F;t in em-<lb/>
piri&#x017F;cher Beurtheilung, einer Heteronomie der Erfah-<lb/>
rungsge&#x017F;etze unterworfen; &#x017F;ie giebt in An&#x017F;ehung der Ge-<lb/>
gen&#x017F;ta&#x0364;nde eines &#x017F;o reinen Wohlgefallens ihr &#x017F;elb&#x017F;t das<lb/>
Ge&#x017F;etz, &#x017F;o wie die Vernunft es in An&#x017F;ehung des Begeh-<lb/>
rungsvermo&#x0364;gens thut und &#x017F;ieht &#x017F;ich &#x017F;owohl wegen die&#x017F;er<lb/>
innern Mo&#x0364;glichkeit im Subjecte, als wegen der a&#x0364;ußern<lb/>
Mo&#x0364;glichkeit einer damit u&#x0364;berein&#x017F;timmenden Natur, auf<lb/>
etwas im Subjecte &#x017F;elb&#x017F;t und außer ihm, was nicht Na-<lb/>
tur, auch nicht Freyheit, doch aber mit dem Grunde der<lb/>
letzteren, na&#x0364;mlich dem Ueber&#x017F;innlichen verknu&#x0364;pft i&#x017F;t, be-<lb/>
zogen, in welchem das theoreti&#x017F;che Vermo&#x0364;gen mit dem<lb/>
practi&#x017F;chen auf gemein&#x017F;chaftliche und unbekannte Art,<lb/>
zur Einheit verbunden wird. Wir wollen einige Stu&#x0364;cke<lb/>
die&#x017F;er Analogie anfu&#x0364;hren, indem wir zugleich die Ver-<lb/>
&#x017F;chiedenheit der&#x017F;elben nicht unbemerkt la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
            <p>1) Das Scho&#x0364;ne gefa&#x0364;llt <hi rendition="#fr">unmittelbar</hi> (aber nur in<lb/>
der reflectirenden An&#x017F;chauung, nicht, wie Sittlichkeit<lb/>
im Begriffe). 2) Es gefa&#x0364;llt <hi rendition="#fr">ohne alles Jntere&#x017F;&#x017F;e</hi><lb/>
(das Sittlichgute zwar nothwendig mit einem Jntere&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
aber nicht einem &#x017F;olchen, was vor dem Urtheile u&#x0364;ber das<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[255/0319] I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. Das iſt das Jntelligibele, worauf, wie der vorige Paragraph Anzeige that, der Geſchmack hinausſieht, wozu naͤmlich ſelbſt unſere obere Erkenntnisvermoͤgen zu- ſammenſtimmen, ohne welches zwiſchen ihrer Natur, verglichen mit den Anſpruͤchen, die der Geſchmack macht, lauter Widerſpruͤche erwachſen wuͤrden. Jn dieſem Ver- moͤgen ſieht ſich die Urtheilskraft nicht, wie ſonſt in em- piriſcher Beurtheilung, einer Heteronomie der Erfah- rungsgeſetze unterworfen; ſie giebt in Anſehung der Ge- genſtaͤnde eines ſo reinen Wohlgefallens ihr ſelbſt das Geſetz, ſo wie die Vernunft es in Anſehung des Begeh- rungsvermoͤgens thut und ſieht ſich ſowohl wegen dieſer innern Moͤglichkeit im Subjecte, als wegen der aͤußern Moͤglichkeit einer damit uͤbereinſtimmenden Natur, auf etwas im Subjecte ſelbſt und außer ihm, was nicht Na- tur, auch nicht Freyheit, doch aber mit dem Grunde der letzteren, naͤmlich dem Ueberſinnlichen verknuͤpft iſt, be- zogen, in welchem das theoretiſche Vermoͤgen mit dem practiſchen auf gemeinſchaftliche und unbekannte Art, zur Einheit verbunden wird. Wir wollen einige Stuͤcke dieſer Analogie anfuͤhren, indem wir zugleich die Ver- ſchiedenheit derſelben nicht unbemerkt laſſen. 1) Das Schoͤne gefaͤllt unmittelbar (aber nur in der reflectirenden Anſchauung, nicht, wie Sittlichkeit im Begriffe). 2) Es gefaͤllt ohne alles Jntereſſe (das Sittlichgute zwar nothwendig mit einem Jntereſſe, aber nicht einem ſolchen, was vor dem Urtheile uͤber das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/319
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/319>, abgerufen am 25.11.2024.