Es zeiget sich also in Ansehung des Princips des Geschmacks folgende Antinomie:
1) Thesis. Das Geschmacksurtheil gründet sich nicht auf Begriffen; denn sonst ließe sich darüber dispu- tiren (durch Beweise entscheiden).
2) Antithesis. Das Geschmacksurtheil gründet sich auf Begriffen; denn sonst ließe sich, unerachtet der Verschiedenheit desselben, darüber auch nicht einmal strei- ten (auf die nothwendige Einstimmung anderer mit die- sem Urtheile Anspruch machen).
§. 57. Auflösung der Antinomie des Geschmacks.
Es ist keine Möglichkeit den Wiederstreit jener jedem Geschmacksurtheile untergelegten Principien (welche nichts anders sind, als die oben in der Analytik vorge- stellten zwey Eigenthümlichkeiten des Geschmacksurtheils) zu heben, als daß man zeigt, der Begrif, worauf man das Object in dieser Art Urtheile bezieht, werde in bey- den Maximen der ästhetischen Urtheilskraft nicht in einerley Sinn genommen; dieser zwiefache Sinn, oder Gesichtspunct, der Beurtheilung sey unserer transscen- dentalen Urtheilskraft nothwendig, aber auch der Schein, in der Vermengung des einen mit dem andern, als natürliche Jllusion, unvermeidlich.
Auf irgend einen Begrif muß sich das Geschmacks- urtheil beziehen; denn sonst könnte es schlechterdings
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I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
Es zeiget ſich alſo in Anſehung des Princips des Geſchmacks folgende Antinomie:
1) Theſis. Das Geſchmacksurtheil gruͤndet ſich nicht auf Begriffen; denn ſonſt ließe ſich daruͤber dispu- tiren (durch Beweiſe entſcheiden).
2) Antitheſis. Das Geſchmacksurtheil gruͤndet ſich auf Begriffen; denn ſonſt ließe ſich, unerachtet der Verſchiedenheit deſſelben, daruͤber auch nicht einmal ſtrei- ten (auf die nothwendige Einſtimmung anderer mit die- ſem Urtheile Anſpruch machen).
§. 57. Aufloͤſung der Antinomie des Geſchmacks.
Es iſt keine Moͤglichkeit den Wiederſtreit jener jedem Geſchmacksurtheile untergelegten Principien (welche nichts anders ſind, als die oben in der Analytik vorge- ſtellten zwey Eigenthuͤmlichkeiten des Geſchmacksurtheils) zu heben, als daß man zeigt, der Begrif, worauf man das Object in dieſer Art Urtheile bezieht, werde in bey- den Maximen der aͤſthetiſchen Urtheilskraft nicht in einerley Sinn genommen; dieſer zwiefache Sinn, oder Geſichtspunct, der Beurtheilung ſey unſerer transſcen- dentalen Urtheilskraft nothwendig, aber auch der Schein, in der Vermengung des einen mit dem andern, als natuͤrliche Jlluſion, unvermeidlich.
Auf irgend einen Begrif muß ſich das Geſchmacks- urtheil beziehen; denn ſonſt koͤnnte es ſchlechterdings
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I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
Es zeiget ſich alſo in Anſehung des Princips des
Geſchmacks folgende Antinomie:
1) Theſis. Das Geſchmacksurtheil gruͤndet ſich
nicht auf Begriffen; denn ſonſt ließe ſich daruͤber dispu-
tiren (durch Beweiſe entſcheiden).
2) Antitheſis. Das Geſchmacksurtheil gruͤndet
ſich auf Begriffen; denn ſonſt ließe ſich, unerachtet der
Verſchiedenheit deſſelben, daruͤber auch nicht einmal ſtrei-
ten (auf die nothwendige Einſtimmung anderer mit die-
ſem Urtheile Anſpruch machen).
§. 57.
Aufloͤſung der Antinomie des Geſchmacks.
Es iſt keine Moͤglichkeit den Wiederſtreit jener jedem
Geſchmacksurtheile untergelegten Principien (welche
nichts anders ſind, als die oben in der Analytik vorge-
ſtellten zwey Eigenthuͤmlichkeiten des Geſchmacksurtheils)
zu heben, als daß man zeigt, der Begrif, worauf man
das Object in dieſer Art Urtheile bezieht, werde in bey-
den Maximen der aͤſthetiſchen Urtheilskraft nicht in
einerley Sinn genommen; dieſer zwiefache Sinn, oder
Geſichtspunct, der Beurtheilung ſey unſerer transſcen-
dentalen Urtheilskraft nothwendig, aber auch der
Schein, in der Vermengung des einen mit dem andern,
als natuͤrliche Jlluſion, unvermeidlich.
Auf irgend einen Begrif muß ſich das Geſchmacks-
urtheil beziehen; denn ſonſt koͤnnte es ſchlechterdings
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/295>, abgerufen am 27.11.2024.
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