Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft.
ke, der irgend ein Jnteresse bey sich führete, erzeugt, das
Gemüth aber doch belebt wird.

Wie vergnügend die Spiele seyn müssen, ohne daß man
nöthig hätte interessirte Absicht dabey zum Grunde zu legen,
zeigen alle unsere Abendgesellschaften; denn ohne Spiel kann
sich beynahe keine unterhalten. Aber die Affecten der Hof-
nung, der Furcht, der Freude, des Zorns, des Hohns spielen
dabey, indem sie jeden Augenblick wechseln, sind so lebhaft, daß
dadurch, als eine innere Motion, das ganze Lebensgeschäfte
im Körper befördert zu seyn scheint, wie eine dadurch er-
zeugte Munterkeit des Gemüths es beweist, obgleich weder
etwas gewonnen noch gelernt worden. Aber da das Glücks-
spiel kein schönes Spiel ist, so wollen wir es hier bey Seite
setzen. Aber Musik und Stof zum lachen sind zweyerley
Arten des Spiels mit ästhetischen Jdeen, oder auch Verstan-
desvorstellungen, wodurch am Ende nichts gedacht wird und
die blos durch ihren Wechsel lebhaft vergnügen können, wo-
durch sie ziemlich klar zu erkennen geben, daß die Belebung
in beyden blos körperlich sey, ob sie gleich von Jdeen des
Gemüths erregt wird und daß das Gefühl der Gesundheit,
durch eine jener ihrem Spiele correspondirenden Bewegung
der Eingeweide, das ganze, für so fein und geistvoll geprie-
sene, Vergnügen einer aufgeweckten Gesellschaft ausmachen.
Nicht die Beurtheilung der Harmonie in Tönen oder Witz-
einfällen, die mit ihrer Schönheit nur zum nothwendigen
Vehickel dient, sondern das beförderte Lebensgeschäfte im
Körper, der Affect, der die Eingeweide und das Zwergfell
bewegt, mit einem Worte das Gefühl der Gesundheit (welche
sich ohne solche Veranlaßung sonst nicht fühlen läßt) machen
das Vergnügen aus, welches man daran findet, daß man
dem Körper auch durch die Seele beykommen und diese zum
Artzt von jenem brauchen kann.

I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
ke, der irgend ein Jntereſſe bey ſich fuͤhrete, erzeugt, das
Gemuͤth aber doch belebt wird.

Wie vergnuͤgend die Spiele ſeyn muͤſſen, ohne daß man
noͤthig haͤtte intereſſirte Abſicht dabey zum Grunde zu legen,
zeigen alle unſere Abendgeſellſchaften; denn ohne Spiel kann
ſich beynahe keine unterhalten. Aber die Affecten der Hof-
nung, der Furcht, der Freude, des Zorns, des Hohns ſpielen
dabey, indem ſie jeden Augenblick wechſeln, ſind ſo lebhaft, daß
dadurch, als eine innere Motion, das ganze Lebensgeſchaͤfte
im Koͤrper befoͤrdert zu ſeyn ſcheint, wie eine dadurch er-
zeugte Munterkeit des Gemuͤths es beweiſt, obgleich weder
etwas gewonnen noch gelernt worden. Aber da das Gluͤcks-
ſpiel kein ſchoͤnes Spiel iſt, ſo wollen wir es hier bey Seite
ſetzen. Aber Muſik und Stof zum lachen ſind zweyerley
Arten des Spiels mit aͤſthetiſchen Jdeen, oder auch Verſtan-
desvorſtellungen, wodurch am Ende nichts gedacht wird und
die blos durch ihren Wechſel lebhaft vergnuͤgen koͤnnen, wo-
durch ſie ziemlich klar zu erkennen geben, daß die Belebung
in beyden blos koͤrperlich ſey, ob ſie gleich von Jdeen des
Gemuͤths erregt wird und daß das Gefuͤhl der Geſundheit,
durch eine jener ihrem Spiele correſpondirenden Bewegung
der Eingeweide, das ganze, fuͤr ſo fein und geiſtvoll geprie-
ſene, Vergnuͤgen einer aufgeweckten Geſellſchaft ausmachen.
Nicht die Beurtheilung der Harmonie in Toͤnen oder Witz-
einfaͤllen, die mit ihrer Schoͤnheit nur zum nothwendigen
Vehickel dient, ſondern das befoͤrderte Lebensgeſchaͤfte im
Koͤrper, der Affect, der die Eingeweide und das Zwergfell
bewegt, mit einem Worte das Gefuͤhl der Geſundheit (welche
ſich ohne ſolche Veranlaßung ſonſt nicht fuͤhlen laͤßt) machen
das Vergnuͤgen aus, welches man daran findet, daß man
dem Koͤrper auch durch die Seele beykommen und dieſe zum
Artzt von jenem brauchen kann.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0285" n="221"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. Critik der a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;chen Urtheilskraft.</fw><lb/>
ke, der irgend ein Jntere&#x017F;&#x017F;e bey &#x017F;ich fu&#x0364;hrete, erzeugt, das<lb/>
Gemu&#x0364;th aber doch belebt wird.</p><lb/>
                <p>Wie vergnu&#x0364;gend die Spiele &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, ohne daß man<lb/>
no&#x0364;thig ha&#x0364;tte intere&#x017F;&#x017F;irte Ab&#x017F;icht dabey zum Grunde zu legen,<lb/>
zeigen alle un&#x017F;ere Abendge&#x017F;ell&#x017F;chaften; denn ohne Spiel kann<lb/>
&#x017F;ich beynahe keine unterhalten. Aber die Affecten der Hof-<lb/>
nung, der Furcht, der Freude, des Zorns, des Hohns &#x017F;pielen<lb/>
dabey, indem &#x017F;ie jeden Augenblick wech&#x017F;eln, &#x017F;ind &#x017F;o lebhaft, daß<lb/>
dadurch, als eine innere Motion, das ganze Lebensge&#x017F;cha&#x0364;fte<lb/>
im Ko&#x0364;rper befo&#x0364;rdert zu &#x017F;eyn &#x017F;cheint, wie eine dadurch er-<lb/>
zeugte Munterkeit des Gemu&#x0364;ths es bewei&#x017F;t, obgleich weder<lb/>
etwas gewonnen noch gelernt worden. Aber da das Glu&#x0364;cks-<lb/>
&#x017F;piel kein &#x017F;cho&#x0364;nes Spiel i&#x017F;t, &#x017F;o wollen wir es hier bey Seite<lb/>
&#x017F;etzen. Aber Mu&#x017F;ik und Stof zum lachen &#x017F;ind zweyerley<lb/>
Arten des Spiels mit a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;chen Jdeen, oder auch Ver&#x017F;tan-<lb/>
desvor&#x017F;tellungen, wodurch am Ende nichts gedacht wird und<lb/>
die blos durch ihren Wech&#x017F;el lebhaft vergnu&#x0364;gen ko&#x0364;nnen, wo-<lb/>
durch &#x017F;ie ziemlich klar zu erkennen geben, daß die Belebung<lb/>
in beyden blos ko&#x0364;rperlich &#x017F;ey, ob &#x017F;ie gleich von Jdeen des<lb/>
Gemu&#x0364;ths erregt wird und daß das Gefu&#x0364;hl der Ge&#x017F;undheit,<lb/>
durch eine jener ihrem Spiele corre&#x017F;pondirenden Bewegung<lb/>
der Eingeweide, das ganze, fu&#x0364;r &#x017F;o fein und gei&#x017F;tvoll geprie-<lb/>
&#x017F;ene, Vergnu&#x0364;gen einer aufgeweckten Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft ausmachen.<lb/>
Nicht die Beurtheilung der Harmonie in To&#x0364;nen oder Witz-<lb/>
einfa&#x0364;llen, die mit ihrer Scho&#x0364;nheit nur zum nothwendigen<lb/>
Vehickel dient, &#x017F;ondern das befo&#x0364;rderte Lebensge&#x017F;cha&#x0364;fte im<lb/>
Ko&#x0364;rper, der Affect, der die Eingeweide und das Zwergfell<lb/>
bewegt, mit einem Worte das Gefu&#x0364;hl der Ge&#x017F;undheit (welche<lb/>
&#x017F;ich ohne &#x017F;olche Veranlaßung &#x017F;on&#x017F;t nicht fu&#x0364;hlen la&#x0364;ßt) machen<lb/>
das Vergnu&#x0364;gen aus, welches man daran findet, daß man<lb/>
dem Ko&#x0364;rper auch durch die Seele beykommen und die&#x017F;e zum<lb/>
Artzt von jenem brauchen kann.</p><lb/>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[221/0285] I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. ke, der irgend ein Jntereſſe bey ſich fuͤhrete, erzeugt, das Gemuͤth aber doch belebt wird. Wie vergnuͤgend die Spiele ſeyn muͤſſen, ohne daß man noͤthig haͤtte intereſſirte Abſicht dabey zum Grunde zu legen, zeigen alle unſere Abendgeſellſchaften; denn ohne Spiel kann ſich beynahe keine unterhalten. Aber die Affecten der Hof- nung, der Furcht, der Freude, des Zorns, des Hohns ſpielen dabey, indem ſie jeden Augenblick wechſeln, ſind ſo lebhaft, daß dadurch, als eine innere Motion, das ganze Lebensgeſchaͤfte im Koͤrper befoͤrdert zu ſeyn ſcheint, wie eine dadurch er- zeugte Munterkeit des Gemuͤths es beweiſt, obgleich weder etwas gewonnen noch gelernt worden. Aber da das Gluͤcks- ſpiel kein ſchoͤnes Spiel iſt, ſo wollen wir es hier bey Seite ſetzen. Aber Muſik und Stof zum lachen ſind zweyerley Arten des Spiels mit aͤſthetiſchen Jdeen, oder auch Verſtan- desvorſtellungen, wodurch am Ende nichts gedacht wird und die blos durch ihren Wechſel lebhaft vergnuͤgen koͤnnen, wo- durch ſie ziemlich klar zu erkennen geben, daß die Belebung in beyden blos koͤrperlich ſey, ob ſie gleich von Jdeen des Gemuͤths erregt wird und daß das Gefuͤhl der Geſundheit, durch eine jener ihrem Spiele correſpondirenden Bewegung der Eingeweide, das ganze, fuͤr ſo fein und geiſtvoll geprie- ſene, Vergnuͤgen einer aufgeweckten Geſellſchaft ausmachen. Nicht die Beurtheilung der Harmonie in Toͤnen oder Witz- einfaͤllen, die mit ihrer Schoͤnheit nur zum nothwendigen Vehickel dient, ſondern das befoͤrderte Lebensgeſchaͤfte im Koͤrper, der Affect, der die Eingeweide und das Zwergfell bewegt, mit einem Worte das Gefuͤhl der Geſundheit (welche ſich ohne ſolche Veranlaßung ſonſt nicht fuͤhlen laͤßt) machen das Vergnuͤgen aus, welches man daran findet, daß man dem Koͤrper auch durch die Seele beykommen und dieſe zum Artzt von jenem brauchen kann.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/285
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/285>, abgerufen am 19.05.2024.