ten, so daß die schöne Kunst in die des Ausdrucks der Gedanken, oder der Anschauungen; diese wiederum blos nach ihrer Form oder Materie (der Empfindung) eingetheilt würde, allein sie würde alsdenn zu abstract und nicht so angemessen den gemeinen Begriffen aussehen.
1. Die redende Künste sind Beredsamkeit und Dichtkunst. Beredsamkeit ist die Kunst ein Geschäfte des Verstandes als ein freyes Spiel der Einbildungskraft zu betreiben: Dichtkunst ein freyes Spiel der Einbildungskraft als ein Geschäfte des Ver- standes auszuführen.
Der Redner also kündigt ein Geschäfte an und führt es so aus, als ob es blos ein Spiel mit Jdeen sey um die Zuhörer zu unterhalten. Der Dichter kündigt blos ein unterhaltendes Spiel mit Jdeen an, und es kommt doch so viel für den Verstand heraus, als ob er blos dessen Geschäfte zu treiben die Absicht gehabt hätte. Die Verbindung und Harmonie bey- der Erkenntnisvermögen, der Sinnlichkeit und des Verstandes, die einander zwar nicht entbehren, aber doch auch ohne Zwang und wechselseitigen Abbruch nicht wohl vereinigen lassen, muß unabsichtlich zu seyn, und sich von selbst so zu fügen scheinen, sonst ist es nicht schöne Kunst. Daher alles Gesuchte und Pein- liche darin vermieden werden muß; denn schöne Kunst muß in doppelter Bedeutung freye Kunst seyn; so wohl daß sie nicht als Lohngeschäfte, eine Arbeit sey,
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
ten, ſo daß die ſchoͤne Kunſt in die des Ausdrucks der Gedanken, oder der Anſchauungen; dieſe wiederum blos nach ihrer Form oder Materie (der Empfindung) eingetheilt wuͤrde, allein ſie wuͤrde alsdenn zu abſtract und nicht ſo angemeſſen den gemeinen Begriffen ausſehen.
1. Die redende Kuͤnſte ſind Beredſamkeit und Dichtkunſt. Beredſamkeit iſt die Kunſt ein Geſchaͤfte des Verſtandes als ein freyes Spiel der Einbildungskraft zu betreiben: Dichtkunſt ein freyes Spiel der Einbildungskraft als ein Geſchaͤfte des Ver- ſtandes auszufuͤhren.
Der Redner alſo kuͤndigt ein Geſchaͤfte an und fuͤhrt es ſo aus, als ob es blos ein Spiel mit Jdeen ſey um die Zuhoͤrer zu unterhalten. Der Dichter kuͤndigt blos ein unterhaltendes Spiel mit Jdeen an, und es kommt doch ſo viel fuͤr den Verſtand heraus, als ob er blos deſſen Geſchaͤfte zu treiben die Abſicht gehabt haͤtte. Die Verbindung und Harmonie bey- der Erkenntnisvermoͤgen, der Sinnlichkeit und des Verſtandes, die einander zwar nicht entbehren, aber doch auch ohne Zwang und wechſelſeitigen Abbruch nicht wohl vereinigen laſſen, muß unabſichtlich zu ſeyn, und ſich von ſelbſt ſo zu fuͤgen ſcheinen, ſonſt iſt es nicht ſchoͤne Kunſt. Daher alles Geſuchte und Pein- liche darin vermieden werden muß; denn ſchoͤne Kunſt muß in doppelter Bedeutung freye Kunſt ſeyn; ſo wohl daß ſie nicht als Lohngeſchaͤfte, eine Arbeit ſey,
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I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
ten, ſo daß die ſchoͤne Kunſt in die des Ausdrucks der
Gedanken, oder der Anſchauungen; dieſe wiederum
blos nach ihrer Form oder Materie (der Empfindung)
eingetheilt wuͤrde, allein ſie wuͤrde alsdenn zu abſtract
und nicht ſo angemeſſen den gemeinen Begriffen ausſehen.
1. Die redende Kuͤnſte ſind Beredſamkeit
und Dichtkunſt. Beredſamkeit iſt die Kunſt ein
Geſchaͤfte des Verſtandes als ein freyes Spiel der
Einbildungskraft zu betreiben: Dichtkunſt ein freyes
Spiel der Einbildungskraft als ein Geſchaͤfte des Ver-
ſtandes auszufuͤhren.
Der Redner alſo kuͤndigt ein Geſchaͤfte an und
fuͤhrt es ſo aus, als ob es blos ein Spiel mit Jdeen
ſey um die Zuhoͤrer zu unterhalten. Der Dichter
kuͤndigt blos ein unterhaltendes Spiel mit Jdeen an,
und es kommt doch ſo viel fuͤr den Verſtand heraus,
als ob er blos deſſen Geſchaͤfte zu treiben die Abſicht
gehabt haͤtte. Die Verbindung und Harmonie bey-
der Erkenntnisvermoͤgen, der Sinnlichkeit und des
Verſtandes, die einander zwar nicht entbehren, aber
doch auch ohne Zwang und wechſelſeitigen Abbruch
nicht wohl vereinigen laſſen, muß unabſichtlich zu ſeyn,
und ſich von ſelbſt ſo zu fuͤgen ſcheinen, ſonſt iſt es
nicht ſchoͤne Kunſt. Daher alles Geſuchte und Pein-
liche darin vermieden werden muß; denn ſchoͤne Kunſt
muß in doppelter Bedeutung freye Kunſt ſeyn; ſo
wohl daß ſie nicht als Lohngeſchaͤfte, eine Arbeit ſey,
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/267>, abgerufen am 22.12.2024.
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