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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

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I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft.
man in ihr als Wissenschaft nach Gründen und Bewei-
sen früge, so würde man uns durch geschmackvolle Aus-
sprüche (Bon Mots) abfertigen. -- Was den gewöhnli-
chen Ausdruck, schöne Wissenschaften veranlaßt
hat, ist ohne Zweifel nichts anders, als daß man ganz
richtig bemerkt hat, es werde zur schönen Kunst in ihrer
ganzen Vollkommenheit viel Wissenschaft, als z. B.
Kenntnis alter Sprachen, Belesenheit der Autoren, die
für Classiker gelten, Geschichte, Kenntnis der Alterthü-
mer u. s. w. erfodert und, um daher diese historische
Wissenschaften weil sie zur schönen Kunst die nothwendige
Vorbereitung und Grundlage ausmachen, zum Theil
auch weil darunter selbst die Kenntnis der Producte der
schönen Kunst (Beredsamkeit und Dichtkunst) begriffen
worden, durch eine Wortverwechselung, selbst schöne
Wissenschaften genannt hat.

Wenn die Kunst, dem Erkenntnisse eines mög-
lichen Gegenstandes angemessen, blos ihn wirklich zu
zu machen die dazu erforderliche Handlungen verrichtet,
so ist fie mechanische, hat sie aber das Gefühl der Lust
zur unmittelbaren Absicht, so heißt sie ästhetische
Kunst. Diese ist entweder angenehme oder schöne
Kunst. Das erste ist sie, wenn der Zweck derselben ist;
daß die Lust die Vorstellungen als bloße Empfindun-
gen
, das zweyte, daß sie dieselbe als Erkenntnisar-
ten
begleite.

I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
man in ihr als Wiſſenſchaft nach Gruͤnden und Bewei-
ſen fruͤge, ſo wuͤrde man uns durch geſchmackvolle Aus-
ſpruͤche (Bon Mots) abfertigen. — Was den gewoͤhnli-
chen Ausdruck, ſchoͤne Wiſſenſchaften veranlaßt
hat, iſt ohne Zweifel nichts anders, als daß man ganz
richtig bemerkt hat, es werde zur ſchoͤnen Kunſt in ihrer
ganzen Vollkommenheit viel Wiſſenſchaft, als z. B.
Kenntnis alter Sprachen, Beleſenheit der Autoren, die
fuͤr Claſſiker gelten, Geſchichte, Kenntnis der Alterthuͤ-
mer u. ſ. w. erfodert und, um daher dieſe hiſtoriſche
Wiſſenſchaften weil ſie zur ſchoͤnen Kunſt die nothwendige
Vorbereitung und Grundlage ausmachen, zum Theil
auch weil darunter ſelbſt die Kenntnis der Producte der
ſchoͤnen Kunſt (Beredſamkeit und Dichtkunſt) begriffen
worden, durch eine Wortverwechſelung, ſelbſt ſchoͤne
Wiſſenſchaften genannt hat.

Wenn die Kunſt, dem Erkenntniſſe eines moͤg-
lichen Gegenſtandes angemeſſen, blos ihn wirklich zu
zu machen die dazu erforderliche Handlungen verrichtet,
ſo iſt fie mechaniſche, hat ſie aber das Gefuͤhl der Luſt
zur unmittelbaren Abſicht, ſo heißt ſie aͤſthetiſche
Kunſt. Dieſe iſt entweder angenehme oder ſchoͤne
Kunſt. Das erſte iſt ſie, wenn der Zweck derſelben iſt;
daß die Luſt die Vorſtellungen als bloße Empfindun-
gen
, das zweyte, daß ſie dieſelbe als Erkenntnisar-
ten
begleite.

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[175/0239] I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. man in ihr als Wiſſenſchaft nach Gruͤnden und Bewei- ſen fruͤge, ſo wuͤrde man uns durch geſchmackvolle Aus- ſpruͤche (Bon Mots) abfertigen. — Was den gewoͤhnli- chen Ausdruck, ſchoͤne Wiſſenſchaften veranlaßt hat, iſt ohne Zweifel nichts anders, als daß man ganz richtig bemerkt hat, es werde zur ſchoͤnen Kunſt in ihrer ganzen Vollkommenheit viel Wiſſenſchaft, als z. B. Kenntnis alter Sprachen, Beleſenheit der Autoren, die fuͤr Claſſiker gelten, Geſchichte, Kenntnis der Alterthuͤ- mer u. ſ. w. erfodert und, um daher dieſe hiſtoriſche Wiſſenſchaften weil ſie zur ſchoͤnen Kunſt die nothwendige Vorbereitung und Grundlage ausmachen, zum Theil auch weil darunter ſelbſt die Kenntnis der Producte der ſchoͤnen Kunſt (Beredſamkeit und Dichtkunſt) begriffen worden, durch eine Wortverwechſelung, ſelbſt ſchoͤne Wiſſenſchaften genannt hat. Wenn die Kunſt, dem Erkenntniſſe eines moͤg- lichen Gegenſtandes angemeſſen, blos ihn wirklich zu zu machen die dazu erforderliche Handlungen verrichtet, ſo iſt fie mechaniſche, hat ſie aber das Gefuͤhl der Luſt zur unmittelbaren Abſicht, ſo heißt ſie aͤſthetiſche Kunſt. Dieſe iſt entweder angenehme oder ſchoͤne Kunſt. Das erſte iſt ſie, wenn der Zweck derſelben iſt; daß die Luſt die Vorſtellungen als bloße Empfindun- gen, das zweyte, daß ſie dieſelbe als Erkenntnisar- ten begleite.

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/239>, abgerufen am 09.05.2024.