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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

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I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft.
davon abstrahirte. Aber alsdenn würde dieser, ob er
gleich ein richtiges Geschmacksurtheil fällete, indem er
den Gegenstand als freye Schönheit beurtheilete, den-
noch von dem andern, der die Schönheit an ihm nur als
anhängende Beschaffenheit betrachtet (der auf den Zweck
des Gegenstandes sieht) getadelt und eines falschen Ge-
schmacks beschuldigt werden, obgleich beyde in ihrer Art
richtig urtheilen: der eine nach dem, was er vor den
Sinnen, der andere nach dem, was er in Gedanken hat.
Durch diese Unterscheidung kann man manchen Zwist der
Geschmacksrichter über Schönheit beylegen, indem man
ihnen zeigt, daß der eine sich an die freye, der andere
an die anhängende Schönheit wende, der erstere ein rei-
nes, der zweyte ein angewandtes Geschmacksurtheil fälle.

§. 17.
Vom Jdeale der Schönheit
.

Es kann keine objective Geschmacksregel, die durch
Begriffe bestimmte, was schön sey, geben. Denn alles
Urtheil aus dieser Quelle ist ästhetisch, d. i. das Gefühl
des Subjects und kein Begrif eines Objects ist sein Be-
stimmungsgrund. Ein Princip des Geschmacks, wel-
ches das allgemeine Criterium des Schönen durch be-
stimmte Begriffe angäbe, zu suchen, ist eine fruchtlose
Bemühung, weil, was gesucht wird, unmöglich und
an sich selbst widersprechend ist. Die allgemeine Mit-
theilbarkeit der Empfindung (des Wohlgefallens oder

I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
davon abſtrahirte. Aber alsdenn wuͤrde dieſer, ob er
gleich ein richtiges Geſchmacksurtheil faͤllete, indem er
den Gegenſtand als freye Schoͤnheit beurtheilete, den-
noch von dem andern, der die Schoͤnheit an ihm nur als
anhaͤngende Beſchaffenheit betrachtet (der auf den Zweck
des Gegenſtandes ſieht) getadelt und eines falſchen Ge-
ſchmacks beſchuldigt werden, obgleich beyde in ihrer Art
richtig urtheilen: der eine nach dem, was er vor den
Sinnen, der andere nach dem, was er in Gedanken hat.
Durch dieſe Unterſcheidung kann man manchen Zwiſt der
Geſchmacksrichter uͤber Schoͤnheit beylegen, indem man
ihnen zeigt, daß der eine ſich an die freye, der andere
an die anhaͤngende Schoͤnheit wende, der erſtere ein rei-
nes, der zweyte ein angewandtes Geſchmacksurtheil faͤlle.

§. 17.
Vom Jdeale der Schoͤnheit
.

Es kann keine objective Geſchmacksregel, die durch
Begriffe beſtimmte, was ſchoͤn ſey, geben. Denn alles
Urtheil aus dieſer Quelle iſt aͤſthetiſch, d. i. das Gefuͤhl
des Subjects und kein Begrif eines Objects iſt ſein Be-
ſtimmungsgrund. Ein Princip des Geſchmacks, wel-
ches das allgemeine Criterium des Schoͤnen durch be-
ſtimmte Begriffe angaͤbe, zu ſuchen, iſt eine fruchtloſe
Bemuͤhung, weil, was geſucht wird, unmoͤglich und
an ſich ſelbſt widerſprechend iſt. Die allgemeine Mit-
theilbarkeit der Empfindung (des Wohlgefallens oder

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[52/0116] I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. davon abſtrahirte. Aber alsdenn wuͤrde dieſer, ob er gleich ein richtiges Geſchmacksurtheil faͤllete, indem er den Gegenſtand als freye Schoͤnheit beurtheilete, den- noch von dem andern, der die Schoͤnheit an ihm nur als anhaͤngende Beſchaffenheit betrachtet (der auf den Zweck des Gegenſtandes ſieht) getadelt und eines falſchen Ge- ſchmacks beſchuldigt werden, obgleich beyde in ihrer Art richtig urtheilen: der eine nach dem, was er vor den Sinnen, der andere nach dem, was er in Gedanken hat. Durch dieſe Unterſcheidung kann man manchen Zwiſt der Geſchmacksrichter uͤber Schoͤnheit beylegen, indem man ihnen zeigt, daß der eine ſich an die freye, der andere an die anhaͤngende Schoͤnheit wende, der erſtere ein rei- nes, der zweyte ein angewandtes Geſchmacksurtheil faͤlle. §. 17. Vom Jdeale der Schoͤnheit. Es kann keine objective Geſchmacksregel, die durch Begriffe beſtimmte, was ſchoͤn ſey, geben. Denn alles Urtheil aus dieſer Quelle iſt aͤſthetiſch, d. i. das Gefuͤhl des Subjects und kein Begrif eines Objects iſt ſein Be- ſtimmungsgrund. Ein Princip des Geſchmacks, wel- ches das allgemeine Criterium des Schoͤnen durch be- ſtimmte Begriffe angaͤbe, zu ſuchen, iſt eine fruchtloſe Bemuͤhung, weil, was geſucht wird, unmoͤglich und an ſich ſelbſt widerſprechend iſt. Die allgemeine Mit- theilbarkeit der Empfindung (des Wohlgefallens oder

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/116>, abgerufen am 25.11.2024.