Gewisheit allgemein mittheilen läßt, weil die Qualität der Empfindungen selbst nicht in allen Subjecten als ein- stimmig und die Annehmlichkeit einer Farbe vvrzüglich vor der andern, oder des Tons eines musicalischen Jn- struments vor dem eines andern sich schwerlich bey jeder- mann als auf gleiche Art beurtheilt annehmen läßt.
Nimmt man, mit Eulern, an, daß die Farben gleichzeitig auf einander folgende Schläge (pulsus) des Aethers, so wie Töne der im Schalle erschütterten Luft sind, und, was das vornehmste ist, das Gemüth nicht blos durch den Sinn die Wirkung davon auf die Bele- bung des Organs, sondern auch durch die Reflexion das regelmäßige Spiel der Eindrücke (mithin die Form in der Verbindung verschiedener Vorstellungen) wahrneh- men, (woran ich doch gar sehr zweifle) so würde Farbe und Ton nicht bloße Empfindungen, sondern schon for- male Bestimmung der Einheit eines Mannigfaltigen derselben seyn und alsdenn auch für sich zu Schönheiten gezählt werden können.
Das Reine aber einer einfachen Empfindungsart bedeu- tet: daß die Gleichförmigkeit derselben durch keine fremd- artige Empfindung gestöhrt und unterbrochen wird und gehört blos zur Form; weil man dabey von der Quali- tät jener Empfindungsart (ob, und welche Farbe oder ob, und welcher Ton sie vorstelle) abstrahiren kann. Daher werden alle einfache Farben, sofern sie rein sind, für schön gehalten; die gemischte haben diesen Vorzug
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
Gewisheit allgemein mittheilen laͤßt, weil die Qualitaͤt der Empfindungen ſelbſt nicht in allen Subjecten als ein- ſtimmig und die Annehmlichkeit einer Farbe vvrzuͤglich vor der andern, oder des Tons eines muſicaliſchen Jn- ſtruments vor dem eines andern ſich ſchwerlich bey jeder- mann als auf gleiche Art beurtheilt annehmen laͤßt.
Nimmt man, mit Eulern, an, daß die Farben gleichzeitig auf einander folgende Schlaͤge (pulſus) des Aethers, ſo wie Toͤne der im Schalle erſchuͤtterten Luft ſind, und, was das vornehmſte iſt, das Gemuͤth nicht blos durch den Sinn die Wirkung davon auf die Bele- bung des Organs, ſondern auch durch die Reflexion das regelmaͤßige Spiel der Eindruͤcke (mithin die Form in der Verbindung verſchiedener Vorſtellungen) wahrneh- men, (woran ich doch gar ſehr zweifle) ſo wuͤrde Farbe und Ton nicht bloße Empfindungen, ſondern ſchon for- male Beſtimmung der Einheit eines Mannigfaltigen derſelben ſeyn und alsdenn auch fuͤr ſich zu Schoͤnheiten gezaͤhlt werden koͤnnen.
Das Reine aber einer einfachen Empfindungsart bedeu- tet: daß die Gleichfoͤrmigkeit derſelben durch keine fremd- artige Empfindung geſtoͤhrt und unterbrochen wird und gehoͤrt blos zur Form; weil man dabey von der Quali- taͤt jener Empfindungsart (ob, und welche Farbe oder ob, und welcher Ton ſie vorſtelle) abſtrahiren kann. Daher werden alle einfache Farben, ſofern ſie rein ſind, fuͤr ſchoͤn gehalten; die gemiſchte haben dieſen Vorzug
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I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
Gewisheit allgemein mittheilen laͤßt, weil die Qualitaͤt
der Empfindungen ſelbſt nicht in allen Subjecten als ein-
ſtimmig und die Annehmlichkeit einer Farbe vvrzuͤglich
vor der andern, oder des Tons eines muſicaliſchen Jn-
ſtruments vor dem eines andern ſich ſchwerlich bey jeder-
mann als auf gleiche Art beurtheilt annehmen laͤßt.
Nimmt man, mit Eulern, an, daß die Farben
gleichzeitig auf einander folgende Schlaͤge (pulſus) des
Aethers, ſo wie Toͤne der im Schalle erſchuͤtterten Luft
ſind, und, was das vornehmſte iſt, das Gemuͤth nicht
blos durch den Sinn die Wirkung davon auf die Bele-
bung des Organs, ſondern auch durch die Reflexion das
regelmaͤßige Spiel der Eindruͤcke (mithin die Form in
der Verbindung verſchiedener Vorſtellungen) wahrneh-
men, (woran ich doch gar ſehr zweifle) ſo wuͤrde Farbe
und Ton nicht bloße Empfindungen, ſondern ſchon for-
male Beſtimmung der Einheit eines Mannigfaltigen
derſelben ſeyn und alsdenn auch fuͤr ſich zu Schoͤnheiten
gezaͤhlt werden koͤnnen.
Das Reine aber einer einfachen Empfindungsart bedeu-
tet: daß die Gleichfoͤrmigkeit derſelben durch keine fremd-
artige Empfindung geſtoͤhrt und unterbrochen wird und
gehoͤrt blos zur Form; weil man dabey von der Quali-
taͤt jener Empfindungsart (ob, und welche Farbe oder
ob, und welcher Ton ſie vorſtelle) abſtrahiren kann.
Daher werden alle einfache Farben, ſofern ſie rein ſind,
fuͤr ſchoͤn gehalten; die gemiſchte haben dieſen Vorzug
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/104>, abgerufen am 26.11.2024.
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