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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

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Einleitung.
arm seyn mag, daß iene allgemeine Logik, die blos ein
Canon zur Beurtheilung ist, gleichsam wie ein Organon
zur wirklichen Hervorbringung wenigstens dem Blendwerk
von obiectiven Behauptungen gebraucht, und mithin in
der That dadurch gemisbraucht worden. Die allgemeine
Logik nun als vermeintes Organon, heißt Dialectik.

So verschieden auch die Bedeutung ist, in der die
Alten dieser Benennung einer Wissenschaft oder Kunst sich
bedienten, so kan man doch aus dem wirklichen Gebrauche
derselben sicher abnehmen, daß sie bey ihnen nichts an-
ders war, als die Logik des Scheins. Eine sophistische
Kunst, seiner Unwissenheit, ia auch seinen vorsetzlichen
Blendwerken den Anstrich der Wahrheit zu geben, daß
man die Methode der Gründlichkeit, welche die Logik über-
haupt verschreibt, nachahmete, und ihre Topik zu Beschö-
nigung iedes leeren Vorgebens benutzte. Nun kan man
es als eine sichere und brauchbare Warnung anmerken:
daß die allgemeine Logik, als Organon betrachtet, ieder-
zeit eine Logik des Scheins, d. i. dialectisch sey. Denn
da sie uns gar nichts über den Inhalt der Erkentniß lehret,
sondern nur blos die formale Bedingungen der Ueberein-
stimmung mit dem Verstande, welche übrigens in Ansehung
der Gegenstände gänzlich gleichgültig seyn; so muß die Zu-
muthung, sich derselben als eines Werkzeugs (Organon)
zu gebrauchen, um seine Kentnisse, wenigstens dem Vor-
geben nach, auszubreiten und zu erweitern, auf nichts
als Geschwätzigkeit hinauslaufen, alles, was man will, mit

eini-

Einleitung.
arm ſeyn mag, daß iene allgemeine Logik, die blos ein
Canon zur Beurtheilung iſt, gleichſam wie ein Organon
zur wirklichen Hervorbringung wenigſtens dem Blendwerk
von obiectiven Behauptungen gebraucht, und mithin in
der That dadurch gemisbraucht worden. Die allgemeine
Logik nun als vermeintes Organon, heißt Dialectik.

So verſchieden auch die Bedeutung iſt, in der die
Alten dieſer Benennung einer Wiſſenſchaft oder Kunſt ſich
bedienten, ſo kan man doch aus dem wirklichen Gebrauche
derſelben ſicher abnehmen, daß ſie bey ihnen nichts an-
ders war, als die Logik des Scheins. Eine ſophiſtiſche
Kunſt, ſeiner Unwiſſenheit, ia auch ſeinen vorſetzlichen
Blendwerken den Anſtrich der Wahrheit zu geben, daß
man die Methode der Gruͤndlichkeit, welche die Logik uͤber-
haupt verſchreibt, nachahmete, und ihre Topik zu Beſchoͤ-
nigung iedes leeren Vorgebens benutzte. Nun kan man
es als eine ſichere und brauchbare Warnung anmerken:
daß die allgemeine Logik, als Organon betrachtet, ieder-
zeit eine Logik des Scheins, d. i. dialectiſch ſey. Denn
da ſie uns gar nichts uͤber den Inhalt der Erkentniß lehret,
ſondern nur blos die formale Bedingungen der Ueberein-
ſtimmung mit dem Verſtande, welche uͤbrigens in Anſehung
der Gegenſtaͤnde gaͤnzlich gleichguͤltig ſeyn; ſo muß die Zu-
muthung, ſich derſelben als eines Werkzeugs (Organon)
zu gebrauchen, um ſeine Kentniſſe, wenigſtens dem Vor-
geben nach, auszubreiten und zu erweitern, auf nichts
als Geſchwaͤtzigkeit hinauslaufen, alles, was man will, mit

eini-
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[61/0091] Einleitung. arm ſeyn mag, daß iene allgemeine Logik, die blos ein Canon zur Beurtheilung iſt, gleichſam wie ein Organon zur wirklichen Hervorbringung wenigſtens dem Blendwerk von obiectiven Behauptungen gebraucht, und mithin in der That dadurch gemisbraucht worden. Die allgemeine Logik nun als vermeintes Organon, heißt Dialectik. So verſchieden auch die Bedeutung iſt, in der die Alten dieſer Benennung einer Wiſſenſchaft oder Kunſt ſich bedienten, ſo kan man doch aus dem wirklichen Gebrauche derſelben ſicher abnehmen, daß ſie bey ihnen nichts an- ders war, als die Logik des Scheins. Eine ſophiſtiſche Kunſt, ſeiner Unwiſſenheit, ia auch ſeinen vorſetzlichen Blendwerken den Anſtrich der Wahrheit zu geben, daß man die Methode der Gruͤndlichkeit, welche die Logik uͤber- haupt verſchreibt, nachahmete, und ihre Topik zu Beſchoͤ- nigung iedes leeren Vorgebens benutzte. Nun kan man es als eine ſichere und brauchbare Warnung anmerken: daß die allgemeine Logik, als Organon betrachtet, ieder- zeit eine Logik des Scheins, d. i. dialectiſch ſey. Denn da ſie uns gar nichts uͤber den Inhalt der Erkentniß lehret, ſondern nur blos die formale Bedingungen der Ueberein- ſtimmung mit dem Verſtande, welche uͤbrigens in Anſehung der Gegenſtaͤnde gaͤnzlich gleichguͤltig ſeyn; ſo muß die Zu- muthung, ſich derſelben als eines Werkzeugs (Organon) zu gebrauchen, um ſeine Kentniſſe, wenigſtens dem Vor- geben nach, auszubreiten und zu erweitern, auf nichts als Geſchwaͤtzigkeit hinauslaufen, alles, was man will, mit eini-

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/91>, abgerufen am 28.04.2024.