Leben sey; denn, wenn er das weis, so ist er gerade der Mann, den ich längst gesucht habe. Alles Wissen, (wenn es einen Gegenstand der blossen Vernunft betrift) kan man mittheilen, und ich würde also auch hoffen können, durch seine Belehrung mein Wissen in so bewundrungswürdigem Maasse ausgedehnt zu sehen. Nein, die Ueberzeugung ist nicht logische, sondern moralische Gewißheit und, da sie auf sub- iectiven Gründen (der moralischen Gesinnung) beruht, so muß ich nicht einmal sagen: es ist moralisch gewiß, daß ein Gott sey etc. sondern, ich bin moralischgewiß etc. Das heißt: der Glaube an einen Gott und eine andere Welt ist mit meiner moralischen Gesinnung so verwebt, daß, so wenig ich Gefahr laufe, die erstere einzubüssen, eben so wenig be- sorge ich, daß mir der zweite iemals entrissen werden könne.
Das einzige Bedenkliche, das sich hiebey findet, ist, daß sich dieser Vernunftglaube auf die Voraussetzung mo- ralischer Gesinnungen gründet. Gehn wir davon ab und nehmen einen, der in Ansehung sittlicher Gesetze gänzlich gleichgültig wäre, so wird die Frage, welche die Vernunft aufwirft, blos eine Aufgabe vor die Speculation und kan alsdenn zwar noch mit starken Gründen aus der Analogie, aber nicht mit solchen, denen sich die hartnäckigste Zwei- felsucht ergeben müßte, unterstüzt werden*). Es ist aber
kein
*) Das menschliche Gemüth nimt (so wie ich glaube, daß es bey iedem vernünftigen Wesen nothwendig geschieht)
ein
Vom Meinen, Wiſſen und Glauben.
Leben ſey; denn, wenn er das weis, ſo iſt er gerade der Mann, den ich laͤngſt geſucht habe. Alles Wiſſen, (wenn es einen Gegenſtand der bloſſen Vernunft betrift) kan man mittheilen, und ich wuͤrde alſo auch hoffen koͤnnen, durch ſeine Belehrung mein Wiſſen in ſo bewundrungswuͤrdigem Maaſſe ausgedehnt zu ſehen. Nein, die Ueberzeugung iſt nicht logiſche, ſondern moraliſche Gewißheit und, da ſie auf ſub- iectiven Gruͤnden (der moraliſchen Geſinnung) beruht, ſo muß ich nicht einmal ſagen: es iſt moraliſch gewiß, daß ein Gott ſey ꝛc. ſondern, ich bin moraliſchgewiß ꝛc. Das heißt: der Glaube an einen Gott und eine andere Welt iſt mit meiner moraliſchen Geſinnung ſo verwebt, daß, ſo wenig ich Gefahr laufe, die erſtere einzubuͤſſen, eben ſo wenig be- ſorge ich, daß mir der zweite iemals entriſſen werden koͤnne.
Das einzige Bedenkliche, das ſich hiebey findet, iſt, daß ſich dieſer Vernunftglaube auf die Vorausſetzung mo- raliſcher Geſinnungen gruͤndet. Gehn wir davon ab und nehmen einen, der in Anſehung ſittlicher Geſetze gaͤnzlich gleichguͤltig waͤre, ſo wird die Frage, welche die Vernunft aufwirft, blos eine Aufgabe vor die Speculation und kan alsdenn zwar noch mit ſtarken Gruͤnden aus der Analogie, aber nicht mit ſolchen, denen ſich die hartnaͤckigſte Zwei- felſucht ergeben muͤßte, unterſtuͤzt werden*). Es iſt aber
kein
*) Das menſchliche Gemuͤth nimt (ſo wie ich glaube, daß es bey iedem vernuͤnftigen Weſen nothwendig geſchieht)
ein
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Vom Meinen, Wiſſen und Glauben.
Leben ſey; denn, wenn er das weis, ſo iſt er gerade der
Mann, den ich laͤngſt geſucht habe. Alles Wiſſen, (wenn
es einen Gegenſtand der bloſſen Vernunft betrift) kan man
mittheilen, und ich wuͤrde alſo auch hoffen koͤnnen, durch ſeine
Belehrung mein Wiſſen in ſo bewundrungswuͤrdigem Maaſſe
ausgedehnt zu ſehen. Nein, die Ueberzeugung iſt nicht
logiſche, ſondern moraliſche Gewißheit und, da ſie auf ſub-
iectiven Gruͤnden (der moraliſchen Geſinnung) beruht, ſo
muß ich nicht einmal ſagen: es iſt moraliſch gewiß, daß ein
Gott ſey ꝛc. ſondern, ich bin moraliſchgewiß ꝛc. Das heißt:
der Glaube an einen Gott und eine andere Welt iſt mit
meiner moraliſchen Geſinnung ſo verwebt, daß, ſo wenig
ich Gefahr laufe, die erſtere einzubuͤſſen, eben ſo wenig be-
ſorge ich, daß mir der zweite iemals entriſſen werden
koͤnne.
Das einzige Bedenkliche, das ſich hiebey findet, iſt,
daß ſich dieſer Vernunftglaube auf die Vorausſetzung mo-
raliſcher Geſinnungen gruͤndet. Gehn wir davon ab und
nehmen einen, der in Anſehung ſittlicher Geſetze gaͤnzlich
gleichguͤltig waͤre, ſo wird die Frage, welche die Vernunft
aufwirft, blos eine Aufgabe vor die Speculation und kan
alsdenn zwar noch mit ſtarken Gruͤnden aus der Analogie,
aber nicht mit ſolchen, denen ſich die hartnaͤckigſte Zwei-
felſucht ergeben muͤßte, unterſtuͤzt werden *). Es iſt aber
kein
*) Das menſchliche Gemuͤth nimt (ſo wie ich glaube, daß
es bey iedem vernuͤnftigen Weſen nothwendig geſchieht)
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 829. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/859>, abgerufen am 24.11.2024.
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