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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

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Methodenlehre II. Hauptst. III. Absch.
ob man zwar unausbleiblich dazu immer wiederum zu-
rückkehrt.

Ganz anders ist es mit dem moralischen Glauben
bewandt. Denn da ist es schlechterdings nothwendig: daß
etwas geschehen muß, nemlich, daß ich dem sittlichen Ge-
setze in allen Stücken Folge leiste. Der Zweck ist hier
unumgänglich festgestellt und es ist nur eine einzige Bedin-
gung nach aller meiner Einsicht möglich, unter welcher
dieser Zweck mit allen gesamten Zwecken zusammenhängt
und dadurch practische Gültigkeit habe, nemlich, daß ein
Gott und eine künftige Welt sey: ich weis auch ganz ge-
wiß, daß niemand andere Bedingungen kenne, die auf
dieselbe Einheit der Zwecke unter dem moralischen Gesetze
führe. Da aber also die sittliche Vorschrift zugleich meine
Maxime ist (wie denn die Vernunft gebietet, daß sie es
seyn soll), so werde ich unausbleiblich ein Daseyn Gottes
und ein künftiges Leben glauben und bin sicher: daß diesen
Glauben nichts wanckend machen könne, weil dadurch
meine sittliche Grundsätze selbst umgestürzt werden würden,
denen ich nicht entsagen kan, ohne in meinen eigenen Au-
gen verabscheuungswürdig zu seyn.

Auf solche Weise bleibt uns nach Vereitelung aller
ehrsüchtigen Absichten einer, über die Gränzen aller Erfah-
rung hinaus, herumschweifenden Vernunft noch genug
übrig: daß wir damit in practischer Absicht zufrieden zu
seyn Ursache haben. Zwar wird freilich sich niemand rüh-
men können: er wisse, daß ein Gott und daß ein künftig

Leben

Methodenlehre II. Hauptſt. III. Abſch.
ob man zwar unausbleiblich dazu immer wiederum zu-
ruͤckkehrt.

Ganz anders iſt es mit dem moraliſchen Glauben
bewandt. Denn da iſt es ſchlechterdings nothwendig: daß
etwas geſchehen muß, nemlich, daß ich dem ſittlichen Ge-
ſetze in allen Stuͤcken Folge leiſte. Der Zweck iſt hier
unumgaͤnglich feſtgeſtellt und es iſt nur eine einzige Bedin-
gung nach aller meiner Einſicht moͤglich, unter welcher
dieſer Zweck mit allen geſamten Zwecken zuſammenhaͤngt
und dadurch practiſche Guͤltigkeit habe, nemlich, daß ein
Gott und eine kuͤnftige Welt ſey: ich weis auch ganz ge-
wiß, daß niemand andere Bedingungen kenne, die auf
dieſelbe Einheit der Zwecke unter dem moraliſchen Geſetze
fuͤhre. Da aber alſo die ſittliche Vorſchrift zugleich meine
Maxime iſt (wie denn die Vernunft gebietet, daß ſie es
ſeyn ſoll), ſo werde ich unausbleiblich ein Daſeyn Gottes
und ein kuͤnftiges Leben glauben und bin ſicher: daß dieſen
Glauben nichts wanckend machen koͤnne, weil dadurch
meine ſittliche Grundſaͤtze ſelbſt umgeſtuͤrzt werden wuͤrden,
denen ich nicht entſagen kan, ohne in meinen eigenen Au-
gen verabſcheuungswuͤrdig zu ſeyn.

Auf ſolche Weiſe bleibt uns nach Vereitelung aller
ehrſuͤchtigen Abſichten einer, uͤber die Graͤnzen aller Erfah-
rung hinaus, herumſchweifenden Vernunft noch genug
uͤbrig: daß wir damit in practiſcher Abſicht zufrieden zu
ſeyn Urſache haben. Zwar wird freilich ſich niemand ruͤh-
men koͤnnen: er wiſſe, daß ein Gott und daß ein kuͤnftig

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[828/0858] Methodenlehre II. Hauptſt. III. Abſch. ob man zwar unausbleiblich dazu immer wiederum zu- ruͤckkehrt. Ganz anders iſt es mit dem moraliſchen Glauben bewandt. Denn da iſt es ſchlechterdings nothwendig: daß etwas geſchehen muß, nemlich, daß ich dem ſittlichen Ge- ſetze in allen Stuͤcken Folge leiſte. Der Zweck iſt hier unumgaͤnglich feſtgeſtellt und es iſt nur eine einzige Bedin- gung nach aller meiner Einſicht moͤglich, unter welcher dieſer Zweck mit allen geſamten Zwecken zuſammenhaͤngt und dadurch practiſche Guͤltigkeit habe, nemlich, daß ein Gott und eine kuͤnftige Welt ſey: ich weis auch ganz ge- wiß, daß niemand andere Bedingungen kenne, die auf dieſelbe Einheit der Zwecke unter dem moraliſchen Geſetze fuͤhre. Da aber alſo die ſittliche Vorſchrift zugleich meine Maxime iſt (wie denn die Vernunft gebietet, daß ſie es ſeyn ſoll), ſo werde ich unausbleiblich ein Daſeyn Gottes und ein kuͤnftiges Leben glauben und bin ſicher: daß dieſen Glauben nichts wanckend machen koͤnne, weil dadurch meine ſittliche Grundſaͤtze ſelbſt umgeſtuͤrzt werden wuͤrden, denen ich nicht entſagen kan, ohne in meinen eigenen Au- gen verabſcheuungswuͤrdig zu ſeyn. Auf ſolche Weiſe bleibt uns nach Vereitelung aller ehrſuͤchtigen Abſichten einer, uͤber die Graͤnzen aller Erfah- rung hinaus, herumſchweifenden Vernunft noch genug uͤbrig: daß wir damit in practiſcher Abſicht zufrieden zu ſeyn Urſache haben. Zwar wird freilich ſich niemand ruͤh- men koͤnnen: er wiſſe, daß ein Gott und daß ein kuͤnftig Leben

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 828. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/858>, abgerufen am 23.11.2024.