allererst inne, was er vorher nicht bemerkte, daß es nemlich doch wol möglich sey, er habe sich geirrt. Wenn man sich in Gedanken vorstellt: man solle worauf das Glück des ganzen Lebens verwetten, so schwindet unser trium- phirendes Urtheil gar sehr, wir werden überaus schüchtern und entdecken so allererst, daß unser Glaube so weit nicht zulange. So hat der pragmatische Glaube nur einen Grad, der nach Verschiedenheit des Interesse, das da- bey im Spiele ist, groß oder auch klein seyn kan.
Weil aber, ob wir gleich in Beziehung auf ein Ob- iect gar nichts unternehmen können, also das Vorwahr- halten blos theoretisch ist, wir doch in vielen Fällen eine Unternehmung in Gedanken fassen und uns einbilden kön- nen, zu welcher wir hinreichende Gründe zu haben ver- meinen, wenn es ein Mittel gäbe, die Gewißheit der Sa- che auszumachen, so giebt es in blos theoretischen Urthei- len ein Analogon von practischen, auf deren Vorwahr- haltung das Wort Glauben paßt, und den wir den do- ctrinalen Glauben nennen können. Wenn es möglich wä- re, durch irgend eine Erfahrung auszumachen, so möchte ich wol alles das Meinige darauf verwetten: daß es we- nigstens in irgend einem von den Planeten, die wir sehen, Einwohner gebe. Daher sage ich, ist es nicht blos Mei- nung, sondern ein starker Glaube (auf dessen Richtigkeit ich schon viele Vortheile des Lebens wagen würde), daß es auch Bewohner anderer Welten gebe.
Nun
F f f 5
Vom Meinen, Wiſſen und Glauben.
allererſt inne, was er vorher nicht bemerkte, daß es nemlich doch wol moͤglich ſey, er habe ſich geirrt. Wenn man ſich in Gedanken vorſtellt: man ſolle worauf das Gluͤck des ganzen Lebens verwetten, ſo ſchwindet unſer trium- phirendes Urtheil gar ſehr, wir werden uͤberaus ſchuͤchtern und entdecken ſo allererſt, daß unſer Glaube ſo weit nicht zulange. So hat der pragmatiſche Glaube nur einen Grad, der nach Verſchiedenheit des Intereſſe, das da- bey im Spiele iſt, groß oder auch klein ſeyn kan.
Weil aber, ob wir gleich in Beziehung auf ein Ob- iect gar nichts unternehmen koͤnnen, alſo das Vorwahr- halten blos theoretiſch iſt, wir doch in vielen Faͤllen eine Unternehmung in Gedanken faſſen und uns einbilden koͤn- nen, zu welcher wir hinreichende Gruͤnde zu haben ver- meinen, wenn es ein Mittel gaͤbe, die Gewißheit der Sa- che auszumachen, ſo giebt es in blos theoretiſchen Urthei- len ein Analogon von practiſchen, auf deren Vorwahr- haltung das Wort Glauben paßt, und den wir den do- ctrinalen Glauben nennen koͤnnen. Wenn es moͤglich waͤ- re, durch irgend eine Erfahrung auszumachen, ſo moͤchte ich wol alles das Meinige darauf verwetten: daß es we- nigſtens in irgend einem von den Planeten, die wir ſehen, Einwohner gebe. Daher ſage ich, iſt es nicht blos Mei- nung, ſondern ein ſtarker Glaube (auf deſſen Richtigkeit ich ſchon viele Vortheile des Lebens wagen wuͤrde), daß es auch Bewohner anderer Welten gebe.
Nun
F f f 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0855"n="825"/><fwplace="top"type="header">Vom Meinen, Wiſſen und Glauben.</fw><lb/>
allererſt inne, was er vorher nicht bemerkte, daß es nemlich<lb/>
doch wol moͤglich ſey, er habe ſich geirrt. Wenn man<lb/>ſich in Gedanken vorſtellt: man ſolle worauf das Gluͤck<lb/>
des ganzen Lebens verwetten, ſo ſchwindet unſer trium-<lb/>
phirendes Urtheil gar ſehr, wir werden uͤberaus ſchuͤchtern<lb/>
und entdecken ſo allererſt, daß unſer Glaube ſo weit nicht<lb/>
zulange. So hat der pragmatiſche Glaube nur einen<lb/>
Grad, der nach Verſchiedenheit des Intereſſe, das da-<lb/>
bey im Spiele iſt, groß oder auch klein ſeyn kan.</p><lb/><p>Weil aber, ob wir gleich in Beziehung auf ein Ob-<lb/>
iect gar nichts unternehmen koͤnnen, alſo das Vorwahr-<lb/>
halten blos theoretiſch iſt, wir doch in vielen Faͤllen eine<lb/>
Unternehmung in Gedanken faſſen und uns einbilden koͤn-<lb/>
nen, zu welcher wir hinreichende Gruͤnde zu haben ver-<lb/>
meinen, wenn es ein Mittel gaͤbe, die Gewißheit der Sa-<lb/>
che auszumachen, ſo giebt es in blos theoretiſchen Urthei-<lb/>
len ein <hirendition="#fr">Analogon</hi> von <hirendition="#fr">practiſchen</hi>, auf deren Vorwahr-<lb/>
haltung das Wort <hirendition="#fr">Glauben</hi> paßt, und den wir den do-<lb/>
ctrinalen <hirendition="#fr">Glauben</hi> nennen koͤnnen. Wenn es moͤglich waͤ-<lb/>
re, durch irgend eine Erfahrung auszumachen, ſo moͤchte<lb/>
ich wol alles das Meinige darauf verwetten: daß es we-<lb/>
nigſtens in irgend einem von den Planeten, die wir ſehen,<lb/>
Einwohner gebe. Daher ſage ich, iſt es nicht blos Mei-<lb/>
nung, ſondern ein ſtarker Glaube (auf deſſen Richtigkeit<lb/>
ich ſchon viele Vortheile des Lebens wagen wuͤrde), daß es<lb/>
auch Bewohner anderer Welten gebe.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">F f f 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">Nun</fw><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[825/0855]
Vom Meinen, Wiſſen und Glauben.
allererſt inne, was er vorher nicht bemerkte, daß es nemlich
doch wol moͤglich ſey, er habe ſich geirrt. Wenn man
ſich in Gedanken vorſtellt: man ſolle worauf das Gluͤck
des ganzen Lebens verwetten, ſo ſchwindet unſer trium-
phirendes Urtheil gar ſehr, wir werden uͤberaus ſchuͤchtern
und entdecken ſo allererſt, daß unſer Glaube ſo weit nicht
zulange. So hat der pragmatiſche Glaube nur einen
Grad, der nach Verſchiedenheit des Intereſſe, das da-
bey im Spiele iſt, groß oder auch klein ſeyn kan.
Weil aber, ob wir gleich in Beziehung auf ein Ob-
iect gar nichts unternehmen koͤnnen, alſo das Vorwahr-
halten blos theoretiſch iſt, wir doch in vielen Faͤllen eine
Unternehmung in Gedanken faſſen und uns einbilden koͤn-
nen, zu welcher wir hinreichende Gruͤnde zu haben ver-
meinen, wenn es ein Mittel gaͤbe, die Gewißheit der Sa-
che auszumachen, ſo giebt es in blos theoretiſchen Urthei-
len ein Analogon von practiſchen, auf deren Vorwahr-
haltung das Wort Glauben paßt, und den wir den do-
ctrinalen Glauben nennen koͤnnen. Wenn es moͤglich waͤ-
re, durch irgend eine Erfahrung auszumachen, ſo moͤchte
ich wol alles das Meinige darauf verwetten: daß es we-
nigſtens in irgend einem von den Planeten, die wir ſehen,
Einwohner gebe. Daher ſage ich, iſt es nicht blos Mei-
nung, ſondern ein ſtarker Glaube (auf deſſen Richtigkeit
ich ſchon viele Vortheile des Lebens wagen wuͤrde), daß es
auch Bewohner anderer Welten gebe.
Nun
F f f 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 825. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/855>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.