Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Methodenlehre II. Hauptst. II. Absch.
auch nicht der ganzen Glückseligkeit würdig, die vor der
Vernunft keine andere Einschränkung erkent, als die, wel-
che von unserem eigenen unsittlichen Verhalten herrührt.

Glückseligkeit also, in dem genauen Ebenmaasse mit
der Sittlichkeit der vernünftigen Wesen, dadurch sie der-
selben würdig seyn, macht allein das höchste Gut einer
Welt aus, darin wir uns nach den Vorschriften der rei-
nen aber practischen Vernunft durchaus versetzen müssen
und welche freilich nur eine intelligibele Welt ist, da die
Sinnenwelt uns von der Natur der Dinge dergleichen syste-
matische Einheit der Zwecke nicht verheißt, deren Realität
auch auf nichts anders gegründet werden kan, als auf die
Voraussetzung eines höchsten ursprünglichen Guts, da
selbstständige Vernunft, mit aller Zulänglichkeit einer ober-
sten Ursache ausgerüstet, nach der vollkommensten Zweck-
mässigkeit die allgemeine, obgleich in der Sinnenwelt uns
sehr verborgene Ordnung der Dinge gründet, erhält und
vollführet.

Diese Moraltheologie hat nun den eigenthümlichen
Vorzug vor der speculativen: daß sie unausbleiblich auf
den Begriff eines einigen, allervollkommensten und ver-
nünftigen Urwesens führet, worauf uns speculative Theo-
logie nicht einmal aus obiectiven Gründen hinweiset, ge-
schweige uns davon überzeugen konte. Denn, wir finden
weder in der transscendentalen, noch natürlichen Theolo-
gie, so weit uns auch Vernunft darin führen mag, eini-
gen bedeutenden Grund, nur ein einiges Wesen anzuneh-

men,

Methodenlehre II. Hauptſt. II. Abſch.
auch nicht der ganzen Gluͤckſeligkeit wuͤrdig, die vor der
Vernunft keine andere Einſchraͤnkung erkent, als die, wel-
che von unſerem eigenen unſittlichen Verhalten herruͤhrt.

Gluͤckſeligkeit alſo, in dem genauen Ebenmaaſſe mit
der Sittlichkeit der vernuͤnftigen Weſen, dadurch ſie der-
ſelben wuͤrdig ſeyn, macht allein das hoͤchſte Gut einer
Welt aus, darin wir uns nach den Vorſchriften der rei-
nen aber practiſchen Vernunft durchaus verſetzen muͤſſen
und welche freilich nur eine intelligibele Welt iſt, da die
Sinnenwelt uns von der Natur der Dinge dergleichen ſyſte-
matiſche Einheit der Zwecke nicht verheißt, deren Realitaͤt
auch auf nichts anders gegruͤndet werden kan, als auf die
Vorausſetzung eines hoͤchſten urſpruͤnglichen Guts, da
ſelbſtſtaͤndige Vernunft, mit aller Zulaͤnglichkeit einer ober-
ſten Urſache ausgeruͤſtet, nach der vollkommenſten Zweck-
maͤſſigkeit die allgemeine, obgleich in der Sinnenwelt uns
ſehr verborgene Ordnung der Dinge gruͤndet, erhaͤlt und
vollfuͤhret.

Dieſe Moraltheologie hat nun den eigenthuͤmlichen
Vorzug vor der ſpeculativen: daß ſie unausbleiblich auf
den Begriff eines einigen, allervollkommenſten und ver-
nuͤnftigen Urweſens fuͤhret, worauf uns ſpeculative Theo-
logie nicht einmal aus obiectiven Gruͤnden hinweiſet, ge-
ſchweige uns davon uͤberzeugen konte. Denn, wir finden
weder in der transſcendentalen, noch natuͤrlichen Theolo-
gie, ſo weit uns auch Vernunft darin fuͤhren mag, eini-
gen bedeutenden Grund, nur ein einiges Weſen anzuneh-

men,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0844" n="814"/><fw place="top" type="header">Methodenlehre <hi rendition="#aq">II.</hi> Haupt&#x017F;t. <hi rendition="#aq">II.</hi> Ab&#x017F;ch.</fw><lb/>
auch nicht der ganzen Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit wu&#x0364;rdig, die vor der<lb/>
Vernunft keine andere Ein&#x017F;chra&#x0364;nkung erkent, als die, wel-<lb/>
che von un&#x017F;erem eigenen un&#x017F;ittlichen Verhalten herru&#x0364;hrt.</p><lb/>
            <p>Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit al&#x017F;o, in dem genauen Ebenmaa&#x017F;&#x017F;e mit<lb/>
der Sittlichkeit der vernu&#x0364;nftigen We&#x017F;en, dadurch &#x017F;ie der-<lb/>
&#x017F;elben wu&#x0364;rdig &#x017F;eyn, macht allein das ho&#x0364;ch&#x017F;te Gut einer<lb/>
Welt aus, darin wir uns nach den Vor&#x017F;chriften der rei-<lb/>
nen aber practi&#x017F;chen Vernunft durchaus ver&#x017F;etzen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en<lb/>
und welche freilich nur eine intelligibele Welt i&#x017F;t, da die<lb/>
Sinnenwelt uns von der Natur der Dinge dergleichen &#x017F;y&#x017F;te-<lb/>
mati&#x017F;che Einheit der Zwecke nicht verheißt, deren Realita&#x0364;t<lb/>
auch auf nichts anders gegru&#x0364;ndet werden kan, als auf die<lb/>
Voraus&#x017F;etzung eines ho&#x0364;ch&#x017F;ten ur&#x017F;pru&#x0364;nglichen Guts, da<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;ta&#x0364;ndige Vernunft, mit aller Zula&#x0364;nglichkeit einer ober-<lb/>
&#x017F;ten Ur&#x017F;ache ausgeru&#x0364;&#x017F;tet, nach der vollkommen&#x017F;ten Zweck-<lb/>
ma&#x0364;&#x017F;&#x017F;igkeit die allgemeine, obgleich in der Sinnenwelt uns<lb/>
&#x017F;ehr verborgene Ordnung der Dinge gru&#x0364;ndet, erha&#x0364;lt und<lb/>
vollfu&#x0364;hret.</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;e Moraltheologie hat nun den eigenthu&#x0364;mlichen<lb/>
Vorzug vor der &#x017F;peculativen: daß &#x017F;ie unausbleiblich auf<lb/>
den Begriff eines <hi rendition="#fr">einigen, allervollkommen&#x017F;ten</hi> und ver-<lb/>
nu&#x0364;nftigen Urwe&#x017F;ens fu&#x0364;hret, worauf uns &#x017F;peculative Theo-<lb/>
logie nicht einmal aus obiectiven Gru&#x0364;nden hinwei&#x017F;et, ge-<lb/>
&#x017F;chweige uns davon u&#x0364;berzeugen konte. Denn, wir finden<lb/>
weder in der trans&#x017F;cendentalen, noch natu&#x0364;rlichen Theolo-<lb/>
gie, &#x017F;o weit uns auch Vernunft darin fu&#x0364;hren mag, eini-<lb/>
gen bedeutenden Grund, nur ein einiges We&#x017F;en anzuneh-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">men,</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[814/0844] Methodenlehre II. Hauptſt. II. Abſch. auch nicht der ganzen Gluͤckſeligkeit wuͤrdig, die vor der Vernunft keine andere Einſchraͤnkung erkent, als die, wel- che von unſerem eigenen unſittlichen Verhalten herruͤhrt. Gluͤckſeligkeit alſo, in dem genauen Ebenmaaſſe mit der Sittlichkeit der vernuͤnftigen Weſen, dadurch ſie der- ſelben wuͤrdig ſeyn, macht allein das hoͤchſte Gut einer Welt aus, darin wir uns nach den Vorſchriften der rei- nen aber practiſchen Vernunft durchaus verſetzen muͤſſen und welche freilich nur eine intelligibele Welt iſt, da die Sinnenwelt uns von der Natur der Dinge dergleichen ſyſte- matiſche Einheit der Zwecke nicht verheißt, deren Realitaͤt auch auf nichts anders gegruͤndet werden kan, als auf die Vorausſetzung eines hoͤchſten urſpruͤnglichen Guts, da ſelbſtſtaͤndige Vernunft, mit aller Zulaͤnglichkeit einer ober- ſten Urſache ausgeruͤſtet, nach der vollkommenſten Zweck- maͤſſigkeit die allgemeine, obgleich in der Sinnenwelt uns ſehr verborgene Ordnung der Dinge gruͤndet, erhaͤlt und vollfuͤhret. Dieſe Moraltheologie hat nun den eigenthuͤmlichen Vorzug vor der ſpeculativen: daß ſie unausbleiblich auf den Begriff eines einigen, allervollkommenſten und ver- nuͤnftigen Urweſens fuͤhret, worauf uns ſpeculative Theo- logie nicht einmal aus obiectiven Gruͤnden hinweiſet, ge- ſchweige uns davon uͤberzeugen konte. Denn, wir finden weder in der transſcendentalen, noch natuͤrlichen Theolo- gie, ſo weit uns auch Vernunft darin fuͤhren mag, eini- gen bedeutenden Grund, nur ein einiges Weſen anzuneh- men,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/844
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 814. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/844>, abgerufen am 26.06.2024.