der Dinge ist. Jenes läuft zulezt auf den Schluß hinaus: daß etwas sey (was den lezten möglichen Zweck bestimt), weil etwas geschehen soll; dieses, daß etwas sey (was als oberste Ursache wirkt), weil etwas geschieht.
Glückseligkeit ist die Befriedigung aller unserer Nei- gungen, (so wol extensive, der Mannigfaltigkeit dersel- ben, als intensive, dem Grade, als auch protensive, der Dauer nach). Das practische Gesetz aus dem Be- wegungsgrunde der Glückseligkeit nenne ich pragmatisch, (Klugheitsregel) dasienige aber, wofern ein solches ist, das zum Bewegungsgrunde nichts anderes hat, als die Würdigkeit, glücklich zu seyn, moralisch (Sittengesetz). Das erstere räth, was zu thun sey, wenn wir der Glück- seligkeit wollen theilhaftig, das zweite gebietet, wie wir uns verhalten sollen, um nur der Glückseligkeit würdig zu werden. Das erstere gründet sich auf empirische Prin- cipien; denn anders, wie vermittelst der Erfahrung, kan ich weder wissen, welche Neigungen da sind, die befrie- digt werden wollen, noch welches die Naturursachen sind, die ihre Befriedigung bewirken können. Das zweite ab- strahirt von Neigungen und Naturmitteln, sie zu befrie- digen und betrachtet nur die Freiheit eines vernünftigen Wesens überhaupt und die nothwendige Bedingungen, un- ter denen sie allein mit der Austheilung der Glückseligkeit nach Principien zusammenstimt, und kan also wenigstens auf blossen Ideen der reinen Vernunft beruhen und a priori erkant werden.
Ich
Methodenlehre II. Hauptſt. II. Abſch.
der Dinge iſt. Jenes laͤuft zulezt auf den Schluß hinaus: daß etwas ſey (was den lezten moͤglichen Zweck beſtimt), weil etwas geſchehen ſoll; dieſes, daß etwas ſey (was als oberſte Urſache wirkt), weil etwas geſchieht.
Gluͤckſeligkeit iſt die Befriedigung aller unſerer Nei- gungen, (ſo wol extenſive, der Mannigfaltigkeit derſel- ben, als intenſive, dem Grade, als auch protenſive, der Dauer nach). Das practiſche Geſetz aus dem Be- wegungsgrunde der Gluͤckſeligkeit nenne ich pragmatiſch, (Klugheitsregel) dasienige aber, wofern ein ſolches iſt, das zum Bewegungsgrunde nichts anderes hat, als die Wuͤrdigkeit, gluͤcklich zu ſeyn, moraliſch (Sittengeſetz). Das erſtere raͤth, was zu thun ſey, wenn wir der Gluͤck- ſeligkeit wollen theilhaftig, das zweite gebietet, wie wir uns verhalten ſollen, um nur der Gluͤckſeligkeit wuͤrdig zu werden. Das erſtere gruͤndet ſich auf empiriſche Prin- cipien; denn anders, wie vermittelſt der Erfahrung, kan ich weder wiſſen, welche Neigungen da ſind, die befrie- digt werden wollen, noch welches die Natururſachen ſind, die ihre Befriedigung bewirken koͤnnen. Das zweite ab- ſtrahirt von Neigungen und Naturmitteln, ſie zu befrie- digen und betrachtet nur die Freiheit eines vernuͤnftigen Weſens uͤberhaupt und die nothwendige Bedingungen, un- ter denen ſie allein mit der Austheilung der Gluͤckſeligkeit nach Principien zuſammenſtimt, und kan alſo wenigſtens auf bloſſen Ideen der reinen Vernunft beruhen und a priori erkant werden.
Ich
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0836"n="806"/><fwplace="top"type="header">Methodenlehre <hirendition="#aq">II.</hi> Hauptſt. <hirendition="#aq">II.</hi> Abſch.</fw><lb/>
der Dinge iſt. Jenes laͤuft zulezt auf den Schluß hinaus:<lb/>
daß etwas <hirendition="#fr">ſey</hi> (was den lezten moͤglichen Zweck beſtimt),<lb/><hirendition="#fr">weil etwas geſchehen ſoll;</hi> dieſes, daß etwas <hirendition="#fr">ſey</hi> (was<lb/>
als oberſte Urſache wirkt), <hirendition="#fr">weil etwas geſchieht</hi>.</p><lb/><p>Gluͤckſeligkeit iſt die Befriedigung aller unſerer Nei-<lb/>
gungen, (ſo wol <hirendition="#aq">extenſive,</hi> der Mannigfaltigkeit derſel-<lb/>
ben, als <hirendition="#aq">intenſive,</hi> dem Grade, als auch <hirendition="#aq">protenſive,</hi><lb/>
der Dauer nach). Das practiſche Geſetz aus dem Be-<lb/>
wegungsgrunde der Gluͤckſeligkeit nenne ich pragmatiſch,<lb/>
(Klugheitsregel) dasienige aber, wofern ein ſolches iſt,<lb/>
das zum Bewegungsgrunde nichts anderes hat, als die<lb/><hirendition="#fr">Wuͤrdigkeit, gluͤcklich zu ſeyn,</hi> moraliſch (Sittengeſetz).<lb/>
Das erſtere raͤth, was zu thun ſey, wenn wir der Gluͤck-<lb/>ſeligkeit wollen theilhaftig, das zweite gebietet, wie wir<lb/>
uns verhalten ſollen, um nur der Gluͤckſeligkeit wuͤrdig<lb/>
zu werden. Das erſtere gruͤndet ſich auf empiriſche Prin-<lb/>
cipien; denn anders, wie vermittelſt der Erfahrung, kan<lb/>
ich weder wiſſen, welche Neigungen da ſind, die befrie-<lb/>
digt werden wollen, noch welches die Natururſachen ſind,<lb/>
die ihre Befriedigung bewirken koͤnnen. Das zweite ab-<lb/>ſtrahirt von Neigungen und Naturmitteln, ſie zu befrie-<lb/>
digen und betrachtet nur die Freiheit eines vernuͤnftigen<lb/>
Weſens uͤberhaupt und die nothwendige Bedingungen, un-<lb/>
ter denen ſie allein mit der Austheilung der Gluͤckſeligkeit<lb/>
nach Principien zuſammenſtimt, und <hirendition="#fr">kan</hi> alſo wenigſtens<lb/>
auf bloſſen Ideen der reinen Vernunft beruhen und <hirendition="#aq">a<lb/>
priori</hi> erkant werden.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Ich</fw><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[806/0836]
Methodenlehre II. Hauptſt. II. Abſch.
der Dinge iſt. Jenes laͤuft zulezt auf den Schluß hinaus:
daß etwas ſey (was den lezten moͤglichen Zweck beſtimt),
weil etwas geſchehen ſoll; dieſes, daß etwas ſey (was
als oberſte Urſache wirkt), weil etwas geſchieht.
Gluͤckſeligkeit iſt die Befriedigung aller unſerer Nei-
gungen, (ſo wol extenſive, der Mannigfaltigkeit derſel-
ben, als intenſive, dem Grade, als auch protenſive,
der Dauer nach). Das practiſche Geſetz aus dem Be-
wegungsgrunde der Gluͤckſeligkeit nenne ich pragmatiſch,
(Klugheitsregel) dasienige aber, wofern ein ſolches iſt,
das zum Bewegungsgrunde nichts anderes hat, als die
Wuͤrdigkeit, gluͤcklich zu ſeyn, moraliſch (Sittengeſetz).
Das erſtere raͤth, was zu thun ſey, wenn wir der Gluͤck-
ſeligkeit wollen theilhaftig, das zweite gebietet, wie wir
uns verhalten ſollen, um nur der Gluͤckſeligkeit wuͤrdig
zu werden. Das erſtere gruͤndet ſich auf empiriſche Prin-
cipien; denn anders, wie vermittelſt der Erfahrung, kan
ich weder wiſſen, welche Neigungen da ſind, die befrie-
digt werden wollen, noch welches die Natururſachen ſind,
die ihre Befriedigung bewirken koͤnnen. Das zweite ab-
ſtrahirt von Neigungen und Naturmitteln, ſie zu befrie-
digen und betrachtet nur die Freiheit eines vernuͤnftigen
Weſens uͤberhaupt und die nothwendige Bedingungen, un-
ter denen ſie allein mit der Austheilung der Gluͤckſeligkeit
nach Principien zuſammenſtimt, und kan alſo wenigſtens
auf bloſſen Ideen der reinen Vernunft beruhen und a
priori erkant werden.
Ich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 806. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/836>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.