Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite
Vom lezten Zwecke der reinen Vernunft.

Ob aber die Vernunft selbst in diesen Handlungen,
dadurch sie Gesetze vorschreibt, nicht wiederum durch an-
derweitige Einflüsse bestimt sey und das, was in Absicht
auf sinnliche Antriebe Freiheit leist, in Ansehung höherer
und entfernetern wirkenden Ursachen nicht wiederum Na-
tur seyn möge, das geht uns im Practischen, da wir nur
die Vernunft um die Vorschrift des Verhaltens zunächst
befragen, nichts an, sondern ist eine blos speculative Fra-
ge, die wir, so lange als unsere Absicht aufs Thun oder
Lassen gerichtet ist, bey Seite setzen können. Wir erkennen
also die practische Freiheit durch Erfahrung, als eine von
den Naturursachen, nemlich eine Caussalität der Vernunft
in Bestimmung des Willens, indessen daß die transscen-
dentale Freiheit, eine Unabhängigkeit dieser Vernunft selbst
(in Ansehung ihrer Caussalität, eine Reihe von Erscheinun-
gen anzufangen) von allen bestimmenden Ursachen der Sin-
nenwelt fodert und so fern dem Naturgesetze, mithin aller
möglichen Erfahrung zuwider zu seyn scheint und also ein
Problem bleibt. Allein vor die Vernunft im practischen
Gebrauche gehört dieses Problem nicht, also haben wir es
in einem Canon der reinen Vernunft nur mit zwey Fragen
zu thun, die das practische Interesse der reinen Vernunft
angehen und in Ansehung deren ein Canon ihres Gebrauchs
möglich seyn muß, nemlich: ist ein Gott? ist ein künfti-
ges Leben? Die Frage wegen der transscendentalen Frei-
heit betrift blos das speculative Wissen, welche wir als
ganz gleichgültig bey Seite setzen können, wenn es um das

Practi-
E e e 2
Vom lezten Zwecke der reinen Vernunft.

Ob aber die Vernunft ſelbſt in dieſen Handlungen,
dadurch ſie Geſetze vorſchreibt, nicht wiederum durch an-
derweitige Einfluͤſſe beſtimt ſey und das, was in Abſicht
auf ſinnliche Antriebe Freiheit leiſt, in Anſehung hoͤherer
und entfernetern wirkenden Urſachen nicht wiederum Na-
tur ſeyn moͤge, das geht uns im Practiſchen, da wir nur
die Vernunft um die Vorſchrift des Verhaltens zunaͤchſt
befragen, nichts an, ſondern iſt eine blos ſpeculative Fra-
ge, die wir, ſo lange als unſere Abſicht aufs Thun oder
Laſſen gerichtet iſt, bey Seite ſetzen koͤnnen. Wir erkennen
alſo die practiſche Freiheit durch Erfahrung, als eine von
den Natururſachen, nemlich eine Cauſſalitaͤt der Vernunft
in Beſtimmung des Willens, indeſſen daß die transſcen-
dentale Freiheit, eine Unabhaͤngigkeit dieſer Vernunft ſelbſt
(in Anſehung ihrer Cauſſalitaͤt, eine Reihe von Erſcheinun-
gen anzufangen) von allen beſtimmenden Urſachen der Sin-
nenwelt fodert und ſo fern dem Naturgeſetze, mithin aller
moͤglichen Erfahrung zuwider zu ſeyn ſcheint und alſo ein
Problem bleibt. Allein vor die Vernunft im practiſchen
Gebrauche gehoͤrt dieſes Problem nicht, alſo haben wir es
in einem Canon der reinen Vernunft nur mit zwey Fragen
zu thun, die das practiſche Intereſſe der reinen Vernunft
angehen und in Anſehung deren ein Canon ihres Gebrauchs
moͤglich ſeyn muß, nemlich: iſt ein Gott? iſt ein kuͤnfti-
ges Leben? Die Frage wegen der transſcendentalen Frei-
heit betrift blos das ſpeculative Wiſſen, welche wir als
ganz gleichguͤltig bey Seite ſetzen koͤnnen, wenn es um das

Practi-
E e e 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0833" n="803"/>
            <fw place="top" type="header">Vom lezten Zwecke der reinen Vernunft.</fw><lb/>
            <p>Ob aber die Vernunft &#x017F;elb&#x017F;t in die&#x017F;en Handlungen,<lb/>
dadurch &#x017F;ie Ge&#x017F;etze vor&#x017F;chreibt, nicht wiederum durch an-<lb/>
derweitige Einflu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e be&#x017F;timt &#x017F;ey und das, was in Ab&#x017F;icht<lb/>
auf &#x017F;innliche Antriebe Freiheit lei&#x017F;t, in An&#x017F;ehung ho&#x0364;herer<lb/>
und entfernetern wirkenden Ur&#x017F;achen nicht wiederum Na-<lb/>
tur &#x017F;eyn mo&#x0364;ge, das geht uns im Practi&#x017F;chen, da wir nur<lb/>
die Vernunft um die <hi rendition="#fr">Vor&#x017F;chrift</hi> des Verhaltens zuna&#x0364;ch&#x017F;t<lb/>
befragen, nichts an, &#x017F;ondern i&#x017F;t eine blos &#x017F;peculative Fra-<lb/>
ge, die wir, &#x017F;o lange als un&#x017F;ere Ab&#x017F;icht aufs Thun oder<lb/>
La&#x017F;&#x017F;en gerichtet i&#x017F;t, bey Seite &#x017F;etzen ko&#x0364;nnen. Wir erkennen<lb/>
al&#x017F;o die practi&#x017F;che Freiheit durch Erfahrung, als eine von<lb/>
den Naturur&#x017F;achen, nemlich eine Cau&#x017F;&#x017F;alita&#x0364;t der Vernunft<lb/>
in Be&#x017F;timmung des Willens, inde&#x017F;&#x017F;en daß die trans&#x017F;cen-<lb/>
dentale Freiheit, eine Unabha&#x0364;ngigkeit die&#x017F;er Vernunft &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
(in An&#x017F;ehung ihrer Cau&#x017F;&#x017F;alita&#x0364;t, eine Reihe von Er&#x017F;cheinun-<lb/>
gen anzufangen) von allen be&#x017F;timmenden Ur&#x017F;achen der Sin-<lb/>
nenwelt fodert und &#x017F;o fern dem Naturge&#x017F;etze, mithin aller<lb/>
mo&#x0364;glichen Erfahrung zuwider zu &#x017F;eyn &#x017F;cheint und al&#x017F;o ein<lb/>
Problem bleibt. Allein vor die Vernunft im practi&#x017F;chen<lb/>
Gebrauche geho&#x0364;rt die&#x017F;es Problem nicht, al&#x017F;o haben wir es<lb/>
in einem Canon der reinen Vernunft nur mit zwey Fragen<lb/>
zu thun, die das practi&#x017F;che Intere&#x017F;&#x017F;e der reinen Vernunft<lb/>
angehen und in An&#x017F;ehung deren ein Canon ihres Gebrauchs<lb/>
mo&#x0364;glich &#x017F;eyn muß, nemlich: i&#x017F;t ein Gott? i&#x017F;t ein ku&#x0364;nfti-<lb/>
ges Leben? Die Frage wegen der trans&#x017F;cendentalen Frei-<lb/>
heit betrift blos das &#x017F;peculative Wi&#x017F;&#x017F;en, welche wir als<lb/>
ganz gleichgu&#x0364;ltig bey Seite &#x017F;etzen ko&#x0364;nnen, wenn es um das<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E e e 2</fw><fw place="bottom" type="catch">Practi-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[803/0833] Vom lezten Zwecke der reinen Vernunft. Ob aber die Vernunft ſelbſt in dieſen Handlungen, dadurch ſie Geſetze vorſchreibt, nicht wiederum durch an- derweitige Einfluͤſſe beſtimt ſey und das, was in Abſicht auf ſinnliche Antriebe Freiheit leiſt, in Anſehung hoͤherer und entfernetern wirkenden Urſachen nicht wiederum Na- tur ſeyn moͤge, das geht uns im Practiſchen, da wir nur die Vernunft um die Vorſchrift des Verhaltens zunaͤchſt befragen, nichts an, ſondern iſt eine blos ſpeculative Fra- ge, die wir, ſo lange als unſere Abſicht aufs Thun oder Laſſen gerichtet iſt, bey Seite ſetzen koͤnnen. Wir erkennen alſo die practiſche Freiheit durch Erfahrung, als eine von den Natururſachen, nemlich eine Cauſſalitaͤt der Vernunft in Beſtimmung des Willens, indeſſen daß die transſcen- dentale Freiheit, eine Unabhaͤngigkeit dieſer Vernunft ſelbſt (in Anſehung ihrer Cauſſalitaͤt, eine Reihe von Erſcheinun- gen anzufangen) von allen beſtimmenden Urſachen der Sin- nenwelt fodert und ſo fern dem Naturgeſetze, mithin aller moͤglichen Erfahrung zuwider zu ſeyn ſcheint und alſo ein Problem bleibt. Allein vor die Vernunft im practiſchen Gebrauche gehoͤrt dieſes Problem nicht, alſo haben wir es in einem Canon der reinen Vernunft nur mit zwey Fragen zu thun, die das practiſche Intereſſe der reinen Vernunft angehen und in Anſehung deren ein Canon ihres Gebrauchs moͤglich ſeyn muß, nemlich: iſt ein Gott? iſt ein kuͤnfti- ges Leben? Die Frage wegen der transſcendentalen Frei- heit betrift blos das ſpeculative Wiſſen, welche wir als ganz gleichguͤltig bey Seite ſetzen koͤnnen, wenn es um das Practi- E e e 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/833
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 803. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/833>, abgerufen am 21.11.2024.