Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung.
von allen empirischen Bedingungen, unter denen unser
Verstand ausgeübet wird, z. B. vom Einfluß der Sinne,
vom Spiele der Einbildung, den Gesetzen des Gedächt-
nisses, der Macht der Gewohnheit, der Neigung etc. mit-
hin auch den Quellen der Vorurtheile, ia gar überhaupt
von allen Ursachen, daraus uns gewisse Erkentnisse ent-
springen, oder unterschoben werden mögen, weil sie blos
den Verstand unter gewissen Umständen seiner Anwendung
betreffen, und, um diese zu kennen, Erfahrung erfordert
wird. Eine allgemeine, aber reine Logik hat es also mit
lauter Principien a priori zu thun, und ist ein Canon
des Verstandes und der Vernunft, aber nur in An-
sehung des Formalen ihres Gebrauchs, der Inhalt mag
seyn, welcher er wolle, (empirisch oder transscendental.)
Eine allgemeine Logik heißt aber alsdenn angewandt,
wenn sie auf die Regeln des Gebrauchs des Verstan-
des unter den subiectiven empirischen Bedingungen, die
uns die Psychologie lehrt, gerichtet ist. Sie hat al-
so empirische Principien, ob sie zwar in so fern allge-
mein ist, daß sie auf den Verstandesgebrauch ohne Unter-
schied der Gegenstände geht. Um deswillen ist sie auch
weder ein Canon des Verstandes überhaupt, noch ein Or-
ganon besondrer Wissenschaften, sondern lediglich ein Ca-
tharcticon des gemeinen Verstandes.

In der allgemeinen Logik muß also der Theil, der die
reine Vernunftlehre ausmachen soll, von demienigen gänz-
lich abgesondert werden, welcher die angewandte (obzwar

noch
D 3

Einleitung.
von allen empiriſchen Bedingungen, unter denen unſer
Verſtand ausgeuͤbet wird, z. B. vom Einfluß der Sinne,
vom Spiele der Einbildung, den Geſetzen des Gedaͤcht-
niſſes, der Macht der Gewohnheit, der Neigung ꝛc. mit-
hin auch den Quellen der Vorurtheile, ia gar uͤberhaupt
von allen Urſachen, daraus uns gewiſſe Erkentniſſe ent-
ſpringen, oder unterſchoben werden moͤgen, weil ſie blos
den Verſtand unter gewiſſen Umſtaͤnden ſeiner Anwendung
betreffen, und, um dieſe zu kennen, Erfahrung erfordert
wird. Eine allgemeine, aber reine Logik hat es alſo mit
lauter Principien a priori zu thun, und iſt ein Canon
des Verſtandes und der Vernunft, aber nur in An-
ſehung des Formalen ihres Gebrauchs, der Inhalt mag
ſeyn, welcher er wolle, (empiriſch oder transſcendental.)
Eine allgemeine Logik heißt aber alsdenn angewandt,
wenn ſie auf die Regeln des Gebrauchs des Verſtan-
des unter den ſubiectiven empiriſchen Bedingungen, die
uns die Pſychologie lehrt, gerichtet iſt. Sie hat al-
ſo empiriſche Principien, ob ſie zwar in ſo fern allge-
mein iſt, daß ſie auf den Verſtandesgebrauch ohne Unter-
ſchied der Gegenſtaͤnde geht. Um deswillen iſt ſie auch
weder ein Canon des Verſtandes uͤberhaupt, noch ein Or-
ganon beſondrer Wiſſenſchaften, ſondern lediglich ein Ca-
tharcticon des gemeinen Verſtandes.

In der allgemeinen Logik muß alſo der Theil, der die
reine Vernunftlehre ausmachen ſoll, von demienigen gaͤnz-
lich abgeſondert werden, welcher die angewandte (obzwar

noch
D 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0083" n="53"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/>
von allen empiri&#x017F;chen Bedingungen, unter denen un&#x017F;er<lb/>
Ver&#x017F;tand ausgeu&#x0364;bet wird, z. B. vom Einfluß der Sinne,<lb/>
vom Spiele der Einbildung, den Ge&#x017F;etzen des Geda&#x0364;cht-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;es, der Macht der Gewohnheit, der Neigung &#xA75B;c. mit-<lb/>
hin auch den Quellen der Vorurtheile, ia gar u&#x0364;berhaupt<lb/>
von allen Ur&#x017F;achen, daraus uns gewi&#x017F;&#x017F;e Erkentni&#x017F;&#x017F;e ent-<lb/>
&#x017F;pringen, oder unter&#x017F;choben werden mo&#x0364;gen, weil &#x017F;ie blos<lb/>
den Ver&#x017F;tand unter gewi&#x017F;&#x017F;en Um&#x017F;ta&#x0364;nden &#x017F;einer Anwendung<lb/>
betreffen, und, um die&#x017F;e zu kennen, Erfahrung erfordert<lb/>
wird. Eine allgemeine, aber reine Logik hat es al&#x017F;o mit<lb/>
lauter Principien <hi rendition="#aq">a priori</hi> zu thun, und i&#x017F;t ein Canon<lb/>
des Ver&#x017F;tandes und der Vernunft, aber nur in An-<lb/>
&#x017F;ehung des Formalen ihres Gebrauchs, der Inhalt mag<lb/>
&#x017F;eyn, welcher er wolle, (empiri&#x017F;ch oder trans&#x017F;cendental.)<lb/>
Eine allgemeine Logik heißt aber alsdenn angewandt,<lb/>
wenn &#x017F;ie auf die Regeln des Gebrauchs des Ver&#x017F;tan-<lb/>
des unter den &#x017F;ubiectiven empiri&#x017F;chen Bedingungen, die<lb/>
uns die P&#x017F;ychologie lehrt, gerichtet i&#x017F;t. Sie hat al-<lb/>
&#x017F;o empiri&#x017F;che Principien, ob &#x017F;ie zwar in &#x017F;o fern allge-<lb/>
mein i&#x017F;t, daß &#x017F;ie auf den Ver&#x017F;tandesgebrauch ohne Unter-<lb/>
&#x017F;chied der Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde geht. Um deswillen i&#x017F;t &#x017F;ie auch<lb/>
weder ein Canon des Ver&#x017F;tandes u&#x0364;berhaupt, noch ein Or-<lb/>
ganon be&#x017F;ondrer Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, &#x017F;ondern lediglich ein Ca-<lb/>
tharcticon des gemeinen Ver&#x017F;tandes.</p><lb/>
              <p>In der allgemeinen Logik muß al&#x017F;o der Theil, der die<lb/>
reine Vernunftlehre ausmachen &#x017F;oll, von demienigen ga&#x0364;nz-<lb/>
lich abge&#x017F;ondert werden, welcher die angewandte (obzwar<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D 3</fw><fw place="bottom" type="catch">noch</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[53/0083] Einleitung. von allen empiriſchen Bedingungen, unter denen unſer Verſtand ausgeuͤbet wird, z. B. vom Einfluß der Sinne, vom Spiele der Einbildung, den Geſetzen des Gedaͤcht- niſſes, der Macht der Gewohnheit, der Neigung ꝛc. mit- hin auch den Quellen der Vorurtheile, ia gar uͤberhaupt von allen Urſachen, daraus uns gewiſſe Erkentniſſe ent- ſpringen, oder unterſchoben werden moͤgen, weil ſie blos den Verſtand unter gewiſſen Umſtaͤnden ſeiner Anwendung betreffen, und, um dieſe zu kennen, Erfahrung erfordert wird. Eine allgemeine, aber reine Logik hat es alſo mit lauter Principien a priori zu thun, und iſt ein Canon des Verſtandes und der Vernunft, aber nur in An- ſehung des Formalen ihres Gebrauchs, der Inhalt mag ſeyn, welcher er wolle, (empiriſch oder transſcendental.) Eine allgemeine Logik heißt aber alsdenn angewandt, wenn ſie auf die Regeln des Gebrauchs des Verſtan- des unter den ſubiectiven empiriſchen Bedingungen, die uns die Pſychologie lehrt, gerichtet iſt. Sie hat al- ſo empiriſche Principien, ob ſie zwar in ſo fern allge- mein iſt, daß ſie auf den Verſtandesgebrauch ohne Unter- ſchied der Gegenſtaͤnde geht. Um deswillen iſt ſie auch weder ein Canon des Verſtandes uͤberhaupt, noch ein Or- ganon beſondrer Wiſſenſchaften, ſondern lediglich ein Ca- tharcticon des gemeinen Verſtandes. In der allgemeinen Logik muß alſo der Theil, der die reine Vernunftlehre ausmachen ſoll, von demienigen gaͤnz- lich abgeſondert werden, welcher die angewandte (obzwar noch D 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/83
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/83>, abgerufen am 23.11.2024.