schauung; von welcher Art aber ist diese, ist es eine reine Anschauung a priori oder eine empirische? Wäre das letzte, so könte niemals ein allgemein gültiger, noch weni- ger ein apodictischer Satz daraus werden: denn Erfahrung kan dergleichen niemals liefern. Ihr müßt also euren Gegenstand a priori in der Anschauung geben, und auf diesen euren synthetischen Satz gründen. Läge nun in euch nicht ein Vermögen, a priori anzuschauen, wäre die- se subiective Bedingung der Form nach nicht zugleich die allgemeine Bedingung a priori, unter der allein das Ob- iect dieser (äusseren) Anschauung selbst möglich ist, wäre der Gegenstand (der Triangel) etwas an sich selbst ohne Beziehung auf euer Subiect, wie köntet ihr sagen, daß was in euren subiectiven Bedingungen einen Triangel zu con- struiren nothwendig liegt, auch dem Triangel an sich selbst nothwendig zukommen müsse; denn ihr köntet doch zu euren Begriffen (von drey Linien) nichts neues (die Figur) hin- zufügen, welches darum nothwendig an dem Gegenstande angetroffen werden müßte, da dieser vor eurer Erkentniß, und nicht durch dieselbe gegeben ist. Wäre also nicht der Raum (und so auch die Zeit) eine bloße Form eurer An- schauung, welche Bedingungen a priori enthält, unter denen allein Dinge vor euch äussere Gegenstände seyn kön- nen, die ohne diese subiective Bedingungen an sich nichts sind, so köntet ihr a priori ganz und gar nichts über äus- sere Obiecte synthetisch ausmachen. Es ist also ungezwei- felt gewiß, und nicht blos möglich, oder auch wahrschein-
lich,
Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik.
ſchauung; von welcher Art aber iſt dieſe, iſt es eine reine Anſchauung a priori oder eine empiriſche? Waͤre das letzte, ſo koͤnte niemals ein allgemein guͤltiger, noch weni- ger ein apodictiſcher Satz daraus werden: denn Erfahrung kan dergleichen niemals liefern. Ihr muͤßt alſo euren Gegenſtand a priori in der Anſchauung geben, und auf dieſen euren ſynthetiſchen Satz gruͤnden. Laͤge nun in euch nicht ein Vermoͤgen, a priori anzuſchauen, waͤre die- ſe ſubiective Bedingung der Form nach nicht zugleich die allgemeine Bedingung a priori, unter der allein das Ob- iect dieſer (aͤuſſeren) Anſchauung ſelbſt moͤglich iſt, waͤre der Gegenſtand (der Triangel) etwas an ſich ſelbſt ohne Beziehung auf euer Subiect, wie koͤntet ihr ſagen, daß was in euren ſubiectiven Bedingungen einen Triangel zu con- ſtruiren nothwendig liegt, auch dem Triangel an ſich ſelbſt nothwendig zukommen muͤſſe; denn ihr koͤntet doch zu euren Begriffen (von drey Linien) nichts neues (die Figur) hin- zufuͤgen, welches darum nothwendig an dem Gegenſtande angetroffen werden muͤßte, da dieſer vor eurer Erkentniß, und nicht durch dieſelbe gegeben iſt. Waͤre alſo nicht der Raum (und ſo auch die Zeit) eine bloße Form eurer An- ſchauung, welche Bedingungen a priori enthaͤlt, unter denen allein Dinge vor euch aͤuſſere Gegenſtaͤnde ſeyn koͤn- nen, die ohne dieſe ſubiective Bedingungen an ſich nichts ſind, ſo koͤntet ihr a priori ganz und gar nichts uͤber aͤuſ- ſere Obiecte ſynthetiſch ausmachen. Es iſt alſo ungezwei- felt gewiß, und nicht blos moͤglich, oder auch wahrſchein-
lich,
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Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik.
ſchauung; von welcher Art aber iſt dieſe, iſt es eine reine
Anſchauung a priori oder eine empiriſche? Waͤre das
letzte, ſo koͤnte niemals ein allgemein guͤltiger, noch weni-
ger ein apodictiſcher Satz daraus werden: denn Erfahrung
kan dergleichen niemals liefern. Ihr muͤßt alſo euren
Gegenſtand a priori in der Anſchauung geben, und auf
dieſen euren ſynthetiſchen Satz gruͤnden. Laͤge nun in
euch nicht ein Vermoͤgen, a priori anzuſchauen, waͤre die-
ſe ſubiective Bedingung der Form nach nicht zugleich die
allgemeine Bedingung a priori, unter der allein das Ob-
iect dieſer (aͤuſſeren) Anſchauung ſelbſt moͤglich iſt, waͤre
der Gegenſtand (der Triangel) etwas an ſich ſelbſt ohne
Beziehung auf euer Subiect, wie koͤntet ihr ſagen, daß
was in euren ſubiectiven Bedingungen einen Triangel zu con-
ſtruiren nothwendig liegt, auch dem Triangel an ſich ſelbſt
nothwendig zukommen muͤſſe; denn ihr koͤntet doch zu euren
Begriffen (von drey Linien) nichts neues (die Figur) hin-
zufuͤgen, welches darum nothwendig an dem Gegenſtande
angetroffen werden muͤßte, da dieſer vor eurer Erkentniß,
und nicht durch dieſelbe gegeben iſt. Waͤre alſo nicht der
Raum (und ſo auch die Zeit) eine bloße Form eurer An-
ſchauung, welche Bedingungen a priori enthaͤlt, unter
denen allein Dinge vor euch aͤuſſere Gegenſtaͤnde ſeyn koͤn-
nen, die ohne dieſe ſubiective Bedingungen an ſich nichts
ſind, ſo koͤntet ihr a priori ganz und gar nichts uͤber aͤuſ-
ſere Obiecte ſynthetiſch ausmachen. Es iſt alſo ungezwei-
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/78>, abgerufen am 28.04.2024.
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