haben, die dem Gegner nothwendig fehlt und, unter de- ren Schutz, wir alle seine Luftstreiche mit Ruhe und Gleich- gültigkeit ansehen können.
Auf solche Weise giebt es eigentlich gar keine Anti- thetik der reinen Vernunft. Denn der einzige Kampfplatz vor sie würde auf dem Felde der reinen Theologie und Psy- chologie zu suchen seyn; dieser Boden aber trägt keinen Kämpfer in seiner ganzen Rüstung und mit Waffen, die zu fürchten wären. Er kan nur mit Spott oder Grosspre- cherey auftreten, welches als ein Kinderspiel belacht wer- den kan. Das ist eine tröstende Bemerkung, die der Vernunft wieder Muth giebt, denn, worauf wolte sie sich sonst verlassen, wenn sie, die allein alle Irrungen abzu- thun berufen ist, in sich selbst zerrüttet wäre, ohne Frie- den und ruhigen Besitz hoffen zu können?
Alles, was die Natur selbst anordnet, ist zu irgend einer Absicht gut. Selbst Gifte dienen dazu, andere Gif- te, welche sich in unseren eigenen Säften erzeugen, zu überwältigen und dürfen daher in einer vollständigen Sam- lung von Heilmitteln (Officin) nicht fehlen. Die Ein- würfe, wider die Ueberredungen und den Eigendünkel un- serer blos speculativen Vernunft, sind selbst durch die Natur dieser Vernunft aufgegeben und müssen also ihre gute Bestimmung und Absicht haben, die man nicht in den Wind sch[l]agen muß. Wozu hat uns die Vorsehung manche Gegenstände, ob sie gleich mit unserem höchsten Interesse zusammenhängen, so hoch gestellt, daß uns fast
nur
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Die Diſciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc.
haben, die dem Gegner nothwendig fehlt und, unter de- ren Schutz, wir alle ſeine Luftſtreiche mit Ruhe und Gleich- guͤltigkeit anſehen koͤnnen.
Auf ſolche Weiſe giebt es eigentlich gar keine Anti- thetik der reinen Vernunft. Denn der einzige Kampfplatz vor ſie wuͤrde auf dem Felde der reinen Theologie und Pſy- chologie zu ſuchen ſeyn; dieſer Boden aber traͤgt keinen Kaͤmpfer in ſeiner ganzen Ruͤſtung und mit Waffen, die zu fuͤrchten waͤren. Er kan nur mit Spott oder Grosſpre- cherey auftreten, welches als ein Kinderſpiel belacht wer- den kan. Das iſt eine troͤſtende Bemerkung, die der Vernunft wieder Muth giebt, denn, worauf wolte ſie ſich ſonſt verlaſſen, wenn ſie, die allein alle Irrungen abzu- thun berufen iſt, in ſich ſelbſt zerruͤttet waͤre, ohne Frie- den und ruhigen Beſitz hoffen zu koͤnnen?
Alles, was die Natur ſelbſt anordnet, iſt zu irgend einer Abſicht gut. Selbſt Gifte dienen dazu, andere Gif- te, welche ſich in unſeren eigenen Saͤften erzeugen, zu uͤberwaͤltigen und duͤrfen daher in einer vollſtaͤndigen Sam- lung von Heilmitteln (Officin) nicht fehlen. Die Ein- wuͤrfe, wider die Ueberredungen und den Eigenduͤnkel un- ſerer blos ſpeculativen Vernunft, ſind ſelbſt durch die Natur dieſer Vernunft aufgegeben und muͤſſen alſo ihre gute Beſtimmung und Abſicht haben, die man nicht in den Wind ſch[l]agen muß. Wozu hat uns die Vorſehung manche Gegenſtaͤnde, ob ſie gleich mit unſerem hoͤchſten Intereſſe zuſammenhaͤngen, ſo hoch geſtellt, daß uns faſt
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Die Diſciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc.
haben, die dem Gegner nothwendig fehlt und, unter de-
ren Schutz, wir alle ſeine Luftſtreiche mit Ruhe und Gleich-
guͤltigkeit anſehen koͤnnen.
Auf ſolche Weiſe giebt es eigentlich gar keine Anti-
thetik der reinen Vernunft. Denn der einzige Kampfplatz
vor ſie wuͤrde auf dem Felde der reinen Theologie und Pſy-
chologie zu ſuchen ſeyn; dieſer Boden aber traͤgt keinen
Kaͤmpfer in ſeiner ganzen Ruͤſtung und mit Waffen, die zu
fuͤrchten waͤren. Er kan nur mit Spott oder Grosſpre-
cherey auftreten, welches als ein Kinderſpiel belacht wer-
den kan. Das iſt eine troͤſtende Bemerkung, die der
Vernunft wieder Muth giebt, denn, worauf wolte ſie ſich
ſonſt verlaſſen, wenn ſie, die allein alle Irrungen abzu-
thun berufen iſt, in ſich ſelbſt zerruͤttet waͤre, ohne Frie-
den und ruhigen Beſitz hoffen zu koͤnnen?
Alles, was die Natur ſelbſt anordnet, iſt zu irgend
einer Abſicht gut. Selbſt Gifte dienen dazu, andere Gif-
te, welche ſich in unſeren eigenen Saͤften erzeugen, zu
uͤberwaͤltigen und duͤrfen daher in einer vollſtaͤndigen Sam-
lung von Heilmitteln (Officin) nicht fehlen. Die Ein-
wuͤrfe, wider die Ueberredungen und den Eigenduͤnkel un-
ſerer blos ſpeculativen Vernunft, ſind ſelbſt durch die
Natur dieſer Vernunft aufgegeben und muͤſſen alſo ihre
gute Beſtimmung und Abſicht haben, die man nicht in
den Wind ſchlagen muß. Wozu hat uns die Vorſehung
manche Gegenſtaͤnde, ob ſie gleich mit unſerem hoͤchſten
Intereſſe zuſammenhaͤngen, ſo hoch geſtellt, daß uns faſt
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 743. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/773>, abgerufen am 23.11.2024.
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