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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

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Elementarlehre. I. Th. Transsc. Aesthetik.
enthalte, denn das Recht kan gar nicht erscheinen, son-
dern sein Begriff liegt im Verstande, und stellet eine Be-
schaffenheit, ([die] moralische) der Handlungen vor, die
ihnen an sich selbst zukommt. Dagegen enthält die Vor-
stellung eines Cörpers in der Anschauung gar nichts, was
einem Gegenstande an sich selbst zukommen könte, sondern
blos die Erscheinung von Etwas, und die Art, wie wir
dadurch afficirt werden, und diese Receptivität unserer
Erkentnißfähigkeit heißt Sinnlichkeit, und bleibt von der
Erkentniß des Gegenstandes an sich selbst, ob man iene
(die Erscheinung) gleich bis auf den Grund durchschauen
möchte, dennoch himmelweit unterschieden.

Die Leibniz-wolfische Philosophie hat daher allen
Untersuchungen über die Natur und den Ursprung unserer
Erkentnisse einen ganz unrechten Gesichtspunct angewiesen,
indem sie den Unterschied der Sinnlichkeit vom Intellectuellen
blos als logisch betrachtete, da er offenbar transscendental
ist, und nicht blos die Form der Deutlichkeit oder Undeut-
lichkeit, sondern den Ursprung und den Inhalt derselben
betrift, so daß wir durch die erstere die Beschaffenheit der
Dinge an sich selbst nicht blos undeutlich, sondern gar
nicht erkennen, und, so bald wir unsre subiective Beschaf-
fenheit wegnehmen, das vorgestellte Obiect mit den Ei-
genschaften, die ihm die sinnliche Anschauung beylegte,
überall nirgend anzutreffen ist, noch angetroffen werden
kan, indem eben diese subiective Beschaffenheit die Form
desselben, als Erscheinung bestimmt.


Wir

Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik.
enthalte, denn das Recht kan gar nicht erſcheinen, ſon-
dern ſein Begriff liegt im Verſtande, und ſtellet eine Be-
ſchaffenheit, ([die] moraliſche) der Handlungen vor, die
ihnen an ſich ſelbſt zukommt. Dagegen enthaͤlt die Vor-
ſtellung eines Coͤrpers in der Anſchauung gar nichts, was
einem Gegenſtande an ſich ſelbſt zukommen koͤnte, ſondern
blos die Erſcheinung von Etwas, und die Art, wie wir
dadurch afficirt werden, und dieſe Receptivitaͤt unſerer
Erkentnißfaͤhigkeit heißt Sinnlichkeit, und bleibt von der
Erkentniß des Gegenſtandes an ſich ſelbſt, ob man iene
(die Erſcheinung) gleich bis auf den Grund durchſchauen
moͤchte, dennoch himmelweit unterſchieden.

Die Leibniz-wolfiſche Philoſophie hat daher allen
Unterſuchungen uͤber die Natur und den Urſprung unſerer
Erkentniſſe einen ganz unrechten Geſichtspunct angewieſen,
indem ſie den Unterſchied der Sinnlichkeit vom Intellectuellen
blos als logiſch betrachtete, da er offenbar transſcendental
iſt, und nicht blos die Form der Deutlichkeit oder Undeut-
lichkeit, ſondern den Urſprung und den Inhalt derſelben
betrift, ſo daß wir durch die erſtere die Beſchaffenheit der
Dinge an ſich ſelbſt nicht blos undeutlich, ſondern gar
nicht erkennen, und, ſo bald wir unſre ſubiective Beſchaf-
fenheit wegnehmen, das vorgeſtellte Obiect mit den Ei-
genſchaften, die ihm die ſinnliche Anſchauung beylegte,
uͤberall nirgend anzutreffen iſt, noch angetroffen werden
kan, indem eben dieſe ſubiective Beſchaffenheit die Form
deſſelben, als Erſcheinung beſtimmt.


Wir
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[44/0074] Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik. enthalte, denn das Recht kan gar nicht erſcheinen, ſon- dern ſein Begriff liegt im Verſtande, und ſtellet eine Be- ſchaffenheit, (die moraliſche) der Handlungen vor, die ihnen an ſich ſelbſt zukommt. Dagegen enthaͤlt die Vor- ſtellung eines Coͤrpers in der Anſchauung gar nichts, was einem Gegenſtande an ſich ſelbſt zukommen koͤnte, ſondern blos die Erſcheinung von Etwas, und die Art, wie wir dadurch afficirt werden, und dieſe Receptivitaͤt unſerer Erkentnißfaͤhigkeit heißt Sinnlichkeit, und bleibt von der Erkentniß des Gegenſtandes an ſich ſelbſt, ob man iene (die Erſcheinung) gleich bis auf den Grund durchſchauen moͤchte, dennoch himmelweit unterſchieden. Die Leibniz-wolfiſche Philoſophie hat daher allen Unterſuchungen uͤber die Natur und den Urſprung unſerer Erkentniſſe einen ganz unrechten Geſichtspunct angewieſen, indem ſie den Unterſchied der Sinnlichkeit vom Intellectuellen blos als logiſch betrachtete, da er offenbar transſcendental iſt, und nicht blos die Form der Deutlichkeit oder Undeut- lichkeit, ſondern den Urſprung und den Inhalt derſelben betrift, ſo daß wir durch die erſtere die Beſchaffenheit der Dinge an ſich ſelbſt nicht blos undeutlich, ſondern gar nicht erkennen, und, ſo bald wir unſre ſubiective Beſchaf- fenheit wegnehmen, das vorgeſtellte Obiect mit den Ei- genſchaften, die ihm die ſinnliche Anſchauung beylegte, uͤberall nirgend anzutreffen iſt, noch angetroffen werden kan, indem eben dieſe ſubiective Beſchaffenheit die Form deſſelben, als Erſcheinung beſtimmt. Wir

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/74>, abgerufen am 27.04.2024.