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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

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Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst.
denselben nicht adäquat ist. Man gesteht: daß sich
schwerlich reine Erde, reines Wasser, reine Luft rc[.]
finde. Gleichwol hat man die Begriffe davon doch nöthig
(die also, was die völlige Reinigkeit betrift, nur in der
Vernunft ihren Ursprung haben), um den Antheil, den
iede dieser Naturursachen an der Erscheinung hat, gehö-
rig zu bestimmen und so bringt man alle Materien auf die
Erden (gleichsam die blosse Last), Salze und brennliche
Wesen (als die Kraft), endlich auf Wasser und Luft als
Vehikeln (gleichsam Maschinen, vermittelst deren die
vorige wirken), um, nach der Idee eines Mechanismus,
die chemische Wirkungen der Materien unter einander zu
erklären. Denn, wiewol man sich nicht wirklich so ausdrückt,
so ist doch ein solcher Einfluß der Vernunft auf die Ein-
theilungen der Naturforscher sehr leicht zu entdecken.

Wenn die Vernunft ein Vermögen ist, das Beson-
dere aus dem Allgemeinen abzuleiten, so ist entweder das
Allgemeine schon an sich gewiß und gegeben, und alsdenn
erfodert es nur Urtheilskraft zur Subsumtion und das
Besondere wird dadurch nothwendig bestimt. Dieses will
ich den apodictischen Gebrauch der Vernunft nennen. Oder
das Allgemeine wird nur problematisch angenommen und
ist eine blosse Idee, das Besondere ist gewiß, aber die
Allgemeinheit der Regel zu dieser Folge ist noch ein Pro-
blem, so werden mehrere besondere Fälle, die insgesamt
gewiß seyn, an der Regel versucht, ob sie daraus fliessen
und in diesem Falle, wenn es den Anschein hat, daß alle

anzu-

Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt.
denſelben nicht adaͤquat iſt. Man geſteht: daß ſich
ſchwerlich reine Erde, reines Waſſer, reine Luft ꝛc[.]
finde. Gleichwol hat man die Begriffe davon doch noͤthig
(die alſo, was die voͤllige Reinigkeit betrift, nur in der
Vernunft ihren Urſprung haben), um den Antheil, den
iede dieſer Natururſachen an der Erſcheinung hat, gehoͤ-
rig zu beſtimmen und ſo bringt man alle Materien auf die
Erden (gleichſam die bloſſe Laſt), Salze und brennliche
Weſen (als die Kraft), endlich auf Waſſer und Luft als
Vehikeln (gleichſam Maſchinen, vermittelſt deren die
vorige wirken), um, nach der Idee eines Mechanismus,
die chemiſche Wirkungen der Materien unter einander zu
erklaͤren. Denn, wiewol man ſich nicht wirklich ſo ausdruͤckt,
ſo iſt doch ein ſolcher Einfluß der Vernunft auf die Ein-
theilungen der Naturforſcher ſehr leicht zu entdecken.

Wenn die Vernunft ein Vermoͤgen iſt, das Beſon-
dere aus dem Allgemeinen abzuleiten, ſo iſt entweder das
Allgemeine ſchon an ſich gewiß und gegeben, und alsdenn
erfodert es nur Urtheilskraft zur Subſumtion und das
Beſondere wird dadurch nothwendig beſtimt. Dieſes will
ich den apodictiſchen Gebrauch der Vernunft nennen. Oder
das Allgemeine wird nur problematiſch angenommen und
iſt eine bloſſe Idee, das Beſondere iſt gewiß, aber die
Allgemeinheit der Regel zu dieſer Folge iſt noch ein Pro-
blem, ſo werden mehrere beſondere Faͤlle, die insgeſamt
gewiß ſeyn, an der Regel verſucht, ob ſie daraus flieſſen
und in dieſem Falle, wenn es den Anſchein hat, daß alle

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[646/0676] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. denſelben nicht adaͤquat iſt. Man geſteht: daß ſich ſchwerlich reine Erde, reines Waſſer, reine Luft ꝛc. finde. Gleichwol hat man die Begriffe davon doch noͤthig (die alſo, was die voͤllige Reinigkeit betrift, nur in der Vernunft ihren Urſprung haben), um den Antheil, den iede dieſer Natururſachen an der Erſcheinung hat, gehoͤ- rig zu beſtimmen und ſo bringt man alle Materien auf die Erden (gleichſam die bloſſe Laſt), Salze und brennliche Weſen (als die Kraft), endlich auf Waſſer und Luft als Vehikeln (gleichſam Maſchinen, vermittelſt deren die vorige wirken), um, nach der Idee eines Mechanismus, die chemiſche Wirkungen der Materien unter einander zu erklaͤren. Denn, wiewol man ſich nicht wirklich ſo ausdruͤckt, ſo iſt doch ein ſolcher Einfluß der Vernunft auf die Ein- theilungen der Naturforſcher ſehr leicht zu entdecken. Wenn die Vernunft ein Vermoͤgen iſt, das Beſon- dere aus dem Allgemeinen abzuleiten, ſo iſt entweder das Allgemeine ſchon an ſich gewiß und gegeben, und alsdenn erfodert es nur Urtheilskraft zur Subſumtion und das Beſondere wird dadurch nothwendig beſtimt. Dieſes will ich den apodictiſchen Gebrauch der Vernunft nennen. Oder das Allgemeine wird nur problematiſch angenommen und iſt eine bloſſe Idee, das Beſondere iſt gewiß, aber die Allgemeinheit der Regel zu dieſer Folge iſt noch ein Pro- blem, ſo werden mehrere beſondere Faͤlle, die insgeſamt gewiß ſeyn, an der Regel verſucht, ob ſie daraus flieſſen und in dieſem Falle, wenn es den Anſchein hat, daß alle anzu-

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 646. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/676>, abgerufen am 22.11.2024.