Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst.
chen soll, der niemals irgend eine Erfahrung gleich kom-
men kan. Nun ist, nach unseren obigen Beweisen, alle
synthetische Erkentnis a priori nur dadurch möglich, daß
sie die formale Bedingungen einer möglichen Erfahrung
ausdrückt, und alle Grundsätze sind also nur von imma-
nenter Gültigkeit, d. i. sie beziehen sich lediglich auf Ge-
genstände empirischer Erkentniß, oder Erscheinungen.
Also wird auch durch transscendentales Verfahren in Ab-
sicht auf die Theologie einer blos speculativen Vernunft
nichts ausgerichtet.

Wolte man aber lieber alle obige Beweise der Ana-
lytik in Zweifel ziehen, als sich die Ueberredung von dem
Gewichte der so lange gebrauchten Beweisgründe rauben
lassen, so kan man sich doch nicht weigern, der Auffode-
rung ein Gnüge zu thun, wenn ich verlange: man solle
sich wenigstens darüber rechtfertigen, wie und vermittelst
welcher Erleuchtung man sich denn getraue, alle mögliche
Erfahrung durch die Macht blosser Ideen zu überfliegen.
Mit neuen Beweisen, oder ausgebesserter Arbeit alter Be-
weise, würde ich bitten, mich zu verschonen. Denn, ob
man zwar hierin eben nicht viel zu wählen hat, indem
endlich doch alle blos speculative Beweise auf einen einzi-
gen, nemlich den ontologischen hinauslaufen und ich also
eben nicht fürchten darf, sonderlich durch die Fruchtbarkeit
der dogmatischen Verfechter iener sinnenfreien Vernunft
belästigt zu werden, obgleich ich überdem auch, ohne
mich darum sehr streitbar zu dünken, die Ausfoderung

nicht

Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt.
chen ſoll, der niemals irgend eine Erfahrung gleich kom-
men kan. Nun iſt, nach unſeren obigen Beweiſen, alle
ſynthetiſche Erkentnis a priori nur dadurch moͤglich, daß
ſie die formale Bedingungen einer moͤglichen Erfahrung
ausdruͤckt, und alle Grundſaͤtze ſind alſo nur von imma-
nenter Guͤltigkeit, d. i. ſie beziehen ſich lediglich auf Ge-
genſtaͤnde empiriſcher Erkentniß, oder Erſcheinungen.
Alſo wird auch durch transſcendentales Verfahren in Ab-
ſicht auf die Theologie einer blos ſpeculativen Vernunft
nichts ausgerichtet.

Wolte man aber lieber alle obige Beweiſe der Ana-
lytik in Zweifel ziehen, als ſich die Ueberredung von dem
Gewichte der ſo lange gebrauchten Beweisgruͤnde rauben
laſſen, ſo kan man ſich doch nicht weigern, der Auffode-
rung ein Gnuͤge zu thun, wenn ich verlange: man ſolle
ſich wenigſtens daruͤber rechtfertigen, wie und vermittelſt
welcher Erleuchtung man ſich denn getraue, alle moͤgliche
Erfahrung durch die Macht bloſſer Ideen zu uͤberfliegen.
Mit neuen Beweiſen, oder ausgebeſſerter Arbeit alter Be-
weiſe, wuͤrde ich bitten, mich zu verſchonen. Denn, ob
man zwar hierin eben nicht viel zu waͤhlen hat, indem
endlich doch alle blos ſpeculative Beweiſe auf einen einzi-
gen, nemlich den ontologiſchen hinauslaufen und ich alſo
eben nicht fuͤrchten darf, ſonderlich durch die Fruchtbarkeit
der dogmatiſchen Verfechter iener ſinnenfreien Vernunft
belaͤſtigt zu werden, obgleich ich uͤberdem auch, ohne
mich darum ſehr ſtreitbar zu duͤnken, die Ausfoderung

nicht
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <p><pb facs="#f0668" n="638"/><fw place="top" type="header">Elementarl. <hi rendition="#aq">II.</hi> Th. <hi rendition="#aq">II.</hi> Abth. <hi rendition="#aq">II.</hi> Buch. <hi rendition="#aq">III.</hi> Haupt&#x017F;t.</fw><lb/>
chen &#x017F;oll, der niemals irgend eine Erfahrung gleich kom-<lb/>
men kan. Nun i&#x017F;t, nach un&#x017F;eren obigen Bewei&#x017F;en, alle<lb/>
&#x017F;yntheti&#x017F;che Erkentnis <hi rendition="#aq">a priori</hi> nur dadurch mo&#x0364;glich, daß<lb/>
&#x017F;ie die formale Bedingungen einer mo&#x0364;glichen Erfahrung<lb/>
ausdru&#x0364;ckt, und alle Grund&#x017F;a&#x0364;tze &#x017F;ind al&#x017F;o nur von imma-<lb/>
nenter Gu&#x0364;ltigkeit, d. i. &#x017F;ie beziehen &#x017F;ich lediglich auf Ge-<lb/>
gen&#x017F;ta&#x0364;nde empiri&#x017F;cher Erkentniß, oder Er&#x017F;cheinungen.<lb/>
Al&#x017F;o wird auch durch trans&#x017F;cendentales Verfahren in Ab-<lb/>
&#x017F;icht auf die Theologie einer blos &#x017F;peculativen Vernunft<lb/>
nichts ausgerichtet.</p><lb/>
                      <p>Wolte man aber lieber alle obige Bewei&#x017F;e der Ana-<lb/>
lytik in Zweifel ziehen, als &#x017F;ich die Ueberredung von dem<lb/>
Gewichte der &#x017F;o lange gebrauchten Beweisgru&#x0364;nde rauben<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o kan man &#x017F;ich doch nicht weigern, der Auffode-<lb/>
rung ein Gnu&#x0364;ge zu thun, wenn ich verlange: man &#x017F;olle<lb/>
&#x017F;ich wenig&#x017F;tens daru&#x0364;ber rechtfertigen, wie und vermittel&#x017F;t<lb/>
welcher Erleuchtung man &#x017F;ich denn getraue, alle mo&#x0364;gliche<lb/>
Erfahrung durch die Macht blo&#x017F;&#x017F;er Ideen zu u&#x0364;berfliegen.<lb/>
Mit neuen Bewei&#x017F;en, oder ausgebe&#x017F;&#x017F;erter Arbeit alter Be-<lb/>
wei&#x017F;e, wu&#x0364;rde ich bitten, mich zu ver&#x017F;chonen. Denn, ob<lb/>
man zwar hierin eben nicht viel zu wa&#x0364;hlen hat, indem<lb/>
endlich doch alle blos &#x017F;peculative Bewei&#x017F;e auf einen einzi-<lb/>
gen, nemlich den ontologi&#x017F;chen hinauslaufen und ich al&#x017F;o<lb/>
eben nicht fu&#x0364;rchten darf, &#x017F;onderlich durch die Fruchtbarkeit<lb/>
der dogmati&#x017F;chen Verfechter iener &#x017F;innenfreien Vernunft<lb/>
bela&#x0364;&#x017F;tigt zu werden, obgleich ich u&#x0364;berdem auch, ohne<lb/>
mich darum &#x017F;ehr &#x017F;treitbar zu du&#x0364;nken, die Ausfoderung<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nicht</fw><lb/></p>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[638/0668] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. chen ſoll, der niemals irgend eine Erfahrung gleich kom- men kan. Nun iſt, nach unſeren obigen Beweiſen, alle ſynthetiſche Erkentnis a priori nur dadurch moͤglich, daß ſie die formale Bedingungen einer moͤglichen Erfahrung ausdruͤckt, und alle Grundſaͤtze ſind alſo nur von imma- nenter Guͤltigkeit, d. i. ſie beziehen ſich lediglich auf Ge- genſtaͤnde empiriſcher Erkentniß, oder Erſcheinungen. Alſo wird auch durch transſcendentales Verfahren in Ab- ſicht auf die Theologie einer blos ſpeculativen Vernunft nichts ausgerichtet. Wolte man aber lieber alle obige Beweiſe der Ana- lytik in Zweifel ziehen, als ſich die Ueberredung von dem Gewichte der ſo lange gebrauchten Beweisgruͤnde rauben laſſen, ſo kan man ſich doch nicht weigern, der Auffode- rung ein Gnuͤge zu thun, wenn ich verlange: man ſolle ſich wenigſtens daruͤber rechtfertigen, wie und vermittelſt welcher Erleuchtung man ſich denn getraue, alle moͤgliche Erfahrung durch die Macht bloſſer Ideen zu uͤberfliegen. Mit neuen Beweiſen, oder ausgebeſſerter Arbeit alter Be- weiſe, wuͤrde ich bitten, mich zu verſchonen. Denn, ob man zwar hierin eben nicht viel zu waͤhlen hat, indem endlich doch alle blos ſpeculative Beweiſe auf einen einzi- gen, nemlich den ontologiſchen hinauslaufen und ich alſo eben nicht fuͤrchten darf, ſonderlich durch die Fruchtbarkeit der dogmatiſchen Verfechter iener ſinnenfreien Vernunft belaͤſtigt zu werden, obgleich ich uͤberdem auch, ohne mich darum ſehr ſtreitbar zu duͤnken, die Ausfoderung nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/668
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 638. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/668>, abgerufen am 23.11.2024.