Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst.
chen soll, der niemals irgend eine Erfahrung gleich kom- men kan. Nun ist, nach unseren obigen Beweisen, alle synthetische Erkentnis a priori nur dadurch möglich, daß sie die formale Bedingungen einer möglichen Erfahrung ausdrückt, und alle Grundsätze sind also nur von imma- nenter Gültigkeit, d. i. sie beziehen sich lediglich auf Ge- genstände empirischer Erkentniß, oder Erscheinungen. Also wird auch durch transscendentales Verfahren in Ab- sicht auf die Theologie einer blos speculativen Vernunft nichts ausgerichtet.
Wolte man aber lieber alle obige Beweise der Ana- lytik in Zweifel ziehen, als sich die Ueberredung von dem Gewichte der so lange gebrauchten Beweisgründe rauben lassen, so kan man sich doch nicht weigern, der Auffode- rung ein Gnüge zu thun, wenn ich verlange: man solle sich wenigstens darüber rechtfertigen, wie und vermittelst welcher Erleuchtung man sich denn getraue, alle mögliche Erfahrung durch die Macht blosser Ideen zu überfliegen. Mit neuen Beweisen, oder ausgebesserter Arbeit alter Be- weise, würde ich bitten, mich zu verschonen. Denn, ob man zwar hierin eben nicht viel zu wählen hat, indem endlich doch alle blos speculative Beweise auf einen einzi- gen, nemlich den ontologischen hinauslaufen und ich also eben nicht fürchten darf, sonderlich durch die Fruchtbarkeit der dogmatischen Verfechter iener sinnenfreien Vernunft belästigt zu werden, obgleich ich überdem auch, ohne mich darum sehr streitbar zu dünken, die Ausfoderung
nicht
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt.
chen ſoll, der niemals irgend eine Erfahrung gleich kom- men kan. Nun iſt, nach unſeren obigen Beweiſen, alle ſynthetiſche Erkentnis a priori nur dadurch moͤglich, daß ſie die formale Bedingungen einer moͤglichen Erfahrung ausdruͤckt, und alle Grundſaͤtze ſind alſo nur von imma- nenter Guͤltigkeit, d. i. ſie beziehen ſich lediglich auf Ge- genſtaͤnde empiriſcher Erkentniß, oder Erſcheinungen. Alſo wird auch durch transſcendentales Verfahren in Ab- ſicht auf die Theologie einer blos ſpeculativen Vernunft nichts ausgerichtet.
Wolte man aber lieber alle obige Beweiſe der Ana- lytik in Zweifel ziehen, als ſich die Ueberredung von dem Gewichte der ſo lange gebrauchten Beweisgruͤnde rauben laſſen, ſo kan man ſich doch nicht weigern, der Auffode- rung ein Gnuͤge zu thun, wenn ich verlange: man ſolle ſich wenigſtens daruͤber rechtfertigen, wie und vermittelſt welcher Erleuchtung man ſich denn getraue, alle moͤgliche Erfahrung durch die Macht bloſſer Ideen zu uͤberfliegen. Mit neuen Beweiſen, oder ausgebeſſerter Arbeit alter Be- weiſe, wuͤrde ich bitten, mich zu verſchonen. Denn, ob man zwar hierin eben nicht viel zu waͤhlen hat, indem endlich doch alle blos ſpeculative Beweiſe auf einen einzi- gen, nemlich den ontologiſchen hinauslaufen und ich alſo eben nicht fuͤrchten darf, ſonderlich durch die Fruchtbarkeit der dogmatiſchen Verfechter iener ſinnenfreien Vernunft belaͤſtigt zu werden, obgleich ich uͤberdem auch, ohne mich darum ſehr ſtreitbar zu duͤnken, die Ausfoderung
nicht
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><divn="8"><p><pbfacs="#f0668"n="638"/><fwplace="top"type="header">Elementarl. <hirendition="#aq">II.</hi> Th. <hirendition="#aq">II.</hi> Abth. <hirendition="#aq">II.</hi> Buch. <hirendition="#aq">III.</hi> Hauptſt.</fw><lb/>
chen ſoll, der niemals irgend eine Erfahrung gleich kom-<lb/>
men kan. Nun iſt, nach unſeren obigen Beweiſen, alle<lb/>ſynthetiſche Erkentnis <hirendition="#aq">a priori</hi> nur dadurch moͤglich, daß<lb/>ſie die formale Bedingungen einer moͤglichen Erfahrung<lb/>
ausdruͤckt, und alle Grundſaͤtze ſind alſo nur von imma-<lb/>
nenter Guͤltigkeit, d. i. ſie beziehen ſich lediglich auf Ge-<lb/>
genſtaͤnde empiriſcher Erkentniß, oder Erſcheinungen.<lb/>
Alſo wird auch durch transſcendentales Verfahren in Ab-<lb/>ſicht auf die Theologie einer blos ſpeculativen Vernunft<lb/>
nichts ausgerichtet.</p><lb/><p>Wolte man aber lieber alle obige Beweiſe der Ana-<lb/>
lytik in Zweifel ziehen, als ſich die Ueberredung von dem<lb/>
Gewichte der ſo lange gebrauchten Beweisgruͤnde rauben<lb/>
laſſen, ſo kan man ſich doch nicht weigern, der Auffode-<lb/>
rung ein Gnuͤge zu thun, wenn ich verlange: man ſolle<lb/>ſich wenigſtens daruͤber rechtfertigen, wie und vermittelſt<lb/>
welcher Erleuchtung man ſich denn getraue, alle moͤgliche<lb/>
Erfahrung durch die Macht bloſſer Ideen zu uͤberfliegen.<lb/>
Mit neuen Beweiſen, oder ausgebeſſerter Arbeit alter Be-<lb/>
weiſe, wuͤrde ich bitten, mich zu verſchonen. Denn, ob<lb/>
man zwar hierin eben nicht viel zu waͤhlen hat, indem<lb/>
endlich doch alle blos ſpeculative Beweiſe auf einen einzi-<lb/>
gen, nemlich den ontologiſchen hinauslaufen und ich alſo<lb/>
eben nicht fuͤrchten darf, ſonderlich durch die Fruchtbarkeit<lb/>
der dogmatiſchen Verfechter iener ſinnenfreien Vernunft<lb/>
belaͤſtigt zu werden, obgleich ich uͤberdem auch, ohne<lb/>
mich darum ſehr ſtreitbar zu duͤnken, die Ausfoderung<lb/><fwplace="bottom"type="catch">nicht</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[638/0668]
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt.
chen ſoll, der niemals irgend eine Erfahrung gleich kom-
men kan. Nun iſt, nach unſeren obigen Beweiſen, alle
ſynthetiſche Erkentnis a priori nur dadurch moͤglich, daß
ſie die formale Bedingungen einer moͤglichen Erfahrung
ausdruͤckt, und alle Grundſaͤtze ſind alſo nur von imma-
nenter Guͤltigkeit, d. i. ſie beziehen ſich lediglich auf Ge-
genſtaͤnde empiriſcher Erkentniß, oder Erſcheinungen.
Alſo wird auch durch transſcendentales Verfahren in Ab-
ſicht auf die Theologie einer blos ſpeculativen Vernunft
nichts ausgerichtet.
Wolte man aber lieber alle obige Beweiſe der Ana-
lytik in Zweifel ziehen, als ſich die Ueberredung von dem
Gewichte der ſo lange gebrauchten Beweisgruͤnde rauben
laſſen, ſo kan man ſich doch nicht weigern, der Auffode-
rung ein Gnuͤge zu thun, wenn ich verlange: man ſolle
ſich wenigſtens daruͤber rechtfertigen, wie und vermittelſt
welcher Erleuchtung man ſich denn getraue, alle moͤgliche
Erfahrung durch die Macht bloſſer Ideen zu uͤberfliegen.
Mit neuen Beweiſen, oder ausgebeſſerter Arbeit alter Be-
weiſe, wuͤrde ich bitten, mich zu verſchonen. Denn, ob
man zwar hierin eben nicht viel zu waͤhlen hat, indem
endlich doch alle blos ſpeculative Beweiſe auf einen einzi-
gen, nemlich den ontologiſchen hinauslaufen und ich alſo
eben nicht fuͤrchten darf, ſonderlich durch die Fruchtbarkeit
der dogmatiſchen Verfechter iener ſinnenfreien Vernunft
belaͤſtigt zu werden, obgleich ich uͤberdem auch, ohne
mich darum ſehr ſtreitbar zu duͤnken, die Ausfoderung
nicht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 638. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/668>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.