Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst.
lich die Art, wie sie sich in ihren Wirkungen zeigt, ver-
ändern), in ihr gehe kein Zustand vorher, der den fol-
genden bestimme, mithin sie gehöre gar nicht in die Reihe
der sinnlichen Bedingungen, welche die Erscheinungen nach
Naturgesetzen nothwendig machen. Sie, die Vernunft,
ist allen Handlungen des Menschen in allen Zeitumständen
gegenwärtig und einerley, selbst aber ist sie nicht in der
Zeit und geräth etwa in einen neuen Zustand, darin sie
vorher nicht war; sie ist bestimmend, aber nicht bestim-
bar in Ansehung desselben. Daher kan man nicht fragen:
warum hat sich nicht die Vernunft anders bestimt, son-
dern nur: warum hat sie die Erscheinungen durch
ihre Caussalität nicht anders bestimt. Darauf aber ist
keine Antwort möglich. Denn ein anderer intelligibeler
Character würde einen andern empirischen gegeben ha-
ben und, wenn wir sagen: daß unerachtet seines ganzen,
bis dahin geführten, Lebenswandels, der Thäter die
Lüge doch hätte unterlassen können, so bedeutet dieses nur:
daß sie unmittelbar unter der Macht der Vernunft stehe,
und die Vernunft in ihrer Caussalität keinen Bedingungen
der Erscheinung und des Zeitlaufs unterworfen ist, der
Unterschied der Zeit auch, zwar einen Hauptunterschied
der Erscheinungen respective gegen einander, da diese
aber keine Sachen, mithin auch nicht Ursachen an sich selbst
sind, keinen Unterschied der Handlung in Beziehung auf
die Vernunft machen könne.


Wir

Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
lich die Art, wie ſie ſich in ihren Wirkungen zeigt, ver-
aͤndern), in ihr gehe kein Zuſtand vorher, der den fol-
genden beſtimme, mithin ſie gehoͤre gar nicht in die Reihe
der ſinnlichen Bedingungen, welche die Erſcheinungen nach
Naturgeſetzen nothwendig machen. Sie, die Vernunft,
iſt allen Handlungen des Menſchen in allen Zeitumſtaͤnden
gegenwaͤrtig und einerley, ſelbſt aber iſt ſie nicht in der
Zeit und geraͤth etwa in einen neuen Zuſtand, darin ſie
vorher nicht war; ſie iſt beſtimmend, aber nicht beſtim-
bar in Anſehung deſſelben. Daher kan man nicht fragen:
warum hat ſich nicht die Vernunft anders beſtimt, ſon-
dern nur: warum hat ſie die Erſcheinungen durch
ihre Cauſſalitaͤt nicht anders beſtimt. Darauf aber iſt
keine Antwort moͤglich. Denn ein anderer intelligibeler
Character wuͤrde einen andern empiriſchen gegeben ha-
ben und, wenn wir ſagen: daß unerachtet ſeines ganzen,
bis dahin gefuͤhrten, Lebenswandels, der Thaͤter die
Luͤge doch haͤtte unterlaſſen koͤnnen, ſo bedeutet dieſes nur:
daß ſie unmittelbar unter der Macht der Vernunft ſtehe,
und die Vernunft in ihrer Cauſſalitaͤt keinen Bedingungen
der Erſcheinung und des Zeitlaufs unterworfen iſt, der
Unterſchied der Zeit auch, zwar einen Hauptunterſchied
der Erſcheinungen reſpective gegen einander, da dieſe
aber keine Sachen, mithin auch nicht Urſachen an ſich ſelbſt
ſind, keinen Unterſchied der Handlung in Beziehung auf
die Vernunft machen koͤnne.


Wir
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <div n="9">
                        <p><pb facs="#f0586" n="556"/><fw place="top" type="header">Elementarl. <hi rendition="#aq">II.</hi> Th. <hi rendition="#aq">II.</hi> Abth. <hi rendition="#aq">II.</hi> Buch. <hi rendition="#aq">II.</hi> Haupt&#x017F;t.</fw><lb/>
lich die Art, wie &#x017F;ie &#x017F;ich in ihren Wirkungen zeigt, ver-<lb/>
a&#x0364;ndern), in ihr gehe kein Zu&#x017F;tand vorher, der den fol-<lb/>
genden be&#x017F;timme, mithin &#x017F;ie geho&#x0364;re gar nicht in die Reihe<lb/>
der &#x017F;innlichen Bedingungen, welche die Er&#x017F;cheinungen nach<lb/>
Naturge&#x017F;etzen nothwendig machen. Sie, die Vernunft,<lb/>
i&#x017F;t allen Handlungen des Men&#x017F;chen in allen Zeitum&#x017F;ta&#x0364;nden<lb/>
gegenwa&#x0364;rtig und einerley, &#x017F;elb&#x017F;t aber i&#x017F;t &#x017F;ie nicht in der<lb/>
Zeit und gera&#x0364;th etwa in einen neuen Zu&#x017F;tand, darin &#x017F;ie<lb/>
vorher nicht war; &#x017F;ie i&#x017F;t be&#x017F;timmend, aber nicht be&#x017F;tim-<lb/>
bar in An&#x017F;ehung de&#x017F;&#x017F;elben. Daher kan man nicht fragen:<lb/>
warum hat &#x017F;ich nicht die Vernunft anders be&#x017F;timt, &#x017F;on-<lb/>
dern nur: warum hat &#x017F;ie die Er&#x017F;cheinungen durch<lb/>
ihre Cau&#x017F;&#x017F;alita&#x0364;t nicht anders be&#x017F;timt. Darauf aber i&#x017F;t<lb/>
keine Antwort mo&#x0364;glich. Denn ein anderer intelligibeler<lb/>
Character wu&#x0364;rde einen andern empiri&#x017F;chen gegeben ha-<lb/>
ben und, wenn wir &#x017F;agen: daß unerachtet &#x017F;eines ganzen,<lb/>
bis dahin gefu&#x0364;hrten, Lebenswandels, der Tha&#x0364;ter die<lb/>
Lu&#x0364;ge doch ha&#x0364;tte unterla&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;nnen, &#x017F;o bedeutet die&#x017F;es nur:<lb/>
daß &#x017F;ie unmittelbar unter der Macht der Vernunft &#x017F;tehe,<lb/>
und die Vernunft in ihrer Cau&#x017F;&#x017F;alita&#x0364;t keinen Bedingungen<lb/>
der Er&#x017F;cheinung und des Zeitlaufs unterworfen i&#x017F;t, der<lb/>
Unter&#x017F;chied der Zeit auch, zwar einen Hauptunter&#x017F;chied<lb/>
der Er&#x017F;cheinungen re&#x017F;pective gegen einander, da die&#x017F;e<lb/>
aber keine Sachen, mithin auch nicht Ur&#x017F;achen an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ind, keinen Unter&#x017F;chied der Handlung in Beziehung auf<lb/>
die Vernunft machen ko&#x0364;nne.</p><lb/>
                        <fw place="bottom" type="catch">Wir</fw><lb/>
                      </div>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[556/0586] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. lich die Art, wie ſie ſich in ihren Wirkungen zeigt, ver- aͤndern), in ihr gehe kein Zuſtand vorher, der den fol- genden beſtimme, mithin ſie gehoͤre gar nicht in die Reihe der ſinnlichen Bedingungen, welche die Erſcheinungen nach Naturgeſetzen nothwendig machen. Sie, die Vernunft, iſt allen Handlungen des Menſchen in allen Zeitumſtaͤnden gegenwaͤrtig und einerley, ſelbſt aber iſt ſie nicht in der Zeit und geraͤth etwa in einen neuen Zuſtand, darin ſie vorher nicht war; ſie iſt beſtimmend, aber nicht beſtim- bar in Anſehung deſſelben. Daher kan man nicht fragen: warum hat ſich nicht die Vernunft anders beſtimt, ſon- dern nur: warum hat ſie die Erſcheinungen durch ihre Cauſſalitaͤt nicht anders beſtimt. Darauf aber iſt keine Antwort moͤglich. Denn ein anderer intelligibeler Character wuͤrde einen andern empiriſchen gegeben ha- ben und, wenn wir ſagen: daß unerachtet ſeines ganzen, bis dahin gefuͤhrten, Lebenswandels, der Thaͤter die Luͤge doch haͤtte unterlaſſen koͤnnen, ſo bedeutet dieſes nur: daß ſie unmittelbar unter der Macht der Vernunft ſtehe, und die Vernunft in ihrer Cauſſalitaͤt keinen Bedingungen der Erſcheinung und des Zeitlaufs unterworfen iſt, der Unterſchied der Zeit auch, zwar einen Hauptunterſchied der Erſcheinungen reſpective gegen einander, da dieſe aber keine Sachen, mithin auch nicht Urſachen an ſich ſelbſt ſind, keinen Unterſchied der Handlung in Beziehung auf die Vernunft machen koͤnne. Wir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/586
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 556. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/586>, abgerufen am 03.06.2024.