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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

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sonst würde sie selbst dem Naturgesetz der Erscheinungen,
so fern es Caussalreihen der Zeit nach bestimt, unterwor-
fen seyn, und die Caussalität wäre alsdenn Natur, und
nicht Freiheit. Also werden wir sagen können: wenn
Vernunft Caussalität in Ansehung der Erscheinungen ha-
ben kan: so ist sie ein Vermögen, durch welches die sinn-
liche Bedingung einer empirischen Reihe von Wirkungen
zuerst anfängt. Denn die Bedingung, die in der Ver-
nunft liegt, ist nicht sinnlich und fängt also selbst nicht
an. Demnach findet alsdenn dasienige statt, was wir
in allen empirischen Reihen vermißten: daß die Bedin-
gung
einer successiven Reihe von Begebenheiten selbst em-
pirischunbedingt seyn konte. Denn hier ist die Bedingung
ausser der Reihe der Erscheinungen (im Intelligibelen) und
mithin keiner sinnlichen Bedingung und keiner Zeitbestim-
mung durch vorhergehende Ursache unterworfen.

Gleichwol gehört doch eben dieselbe Ursache in einer
andern Beziehung auch zur Reihe der Erscheinungen. Der
Mensch ist selbst Erscheinung. Seine Willkühr hat einen
empirischen Character, der die (empirische) Ursache aller
seiner Handlungen ist. Es ist keine der Bedingungen,
die den Menschen diesem Character gemäß bestimmen,
welche nicht in der Reihe der Naturwirkungen enthalten wä-
re und dem Gesetze derselben gehorchte, nach welchem gar
keine empirischunbedingte Caussalität von dem, was in der
Zeit geschieht, angetroffen wird. Daher kan keine gege-
bene Handlung (weil sie nur als Erscheinung wahrgenom-

men

Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
ſonſt wuͤrde ſie ſelbſt dem Naturgeſetz der Erſcheinungen,
ſo fern es Cauſſalreihen der Zeit nach beſtimt, unterwor-
fen ſeyn, und die Cauſſalitaͤt waͤre alsdenn Natur, und
nicht Freiheit. Alſo werden wir ſagen koͤnnen: wenn
Vernunft Cauſſalitaͤt in Anſehung der Erſcheinungen ha-
ben kan: ſo iſt ſie ein Vermoͤgen, durch welches die ſinn-
liche Bedingung einer empiriſchen Reihe von Wirkungen
zuerſt anfaͤngt. Denn die Bedingung, die in der Ver-
nunft liegt, iſt nicht ſinnlich und faͤngt alſo ſelbſt nicht
an. Demnach findet alsdenn dasienige ſtatt, was wir
in allen empiriſchen Reihen vermißten: daß die Bedin-
gung
einer ſucceſſiven Reihe von Begebenheiten ſelbſt em-
piriſchunbedingt ſeyn konte. Denn hier iſt die Bedingung
auſſer der Reihe der Erſcheinungen (im Intelligibelen) und
mithin keiner ſinnlichen Bedingung und keiner Zeitbeſtim-
mung durch vorhergehende Urſache unterworfen.

Gleichwol gehoͤrt doch eben dieſelbe Urſache in einer
andern Beziehung auch zur Reihe der Erſcheinungen. Der
Menſch iſt ſelbſt Erſcheinung. Seine Willkuͤhr hat einen
empiriſchen Character, der die (empiriſche) Urſache aller
ſeiner Handlungen iſt. Es iſt keine der Bedingungen,
die den Menſchen dieſem Character gemaͤß beſtimmen,
welche nicht in der Reihe der Naturwirkungen enthalten waͤ-
re und dem Geſetze derſelben gehorchte, nach welchem gar
keine empiriſchunbedingte Cauſſalitaͤt von dem, was in der
Zeit geſchieht, angetroffen wird. Daher kan keine gege-
bene Handlung (weil ſie nur als Erſcheinung wahrgenom-

men
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[552/0582] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. ſonſt wuͤrde ſie ſelbſt dem Naturgeſetz der Erſcheinungen, ſo fern es Cauſſalreihen der Zeit nach beſtimt, unterwor- fen ſeyn, und die Cauſſalitaͤt waͤre alsdenn Natur, und nicht Freiheit. Alſo werden wir ſagen koͤnnen: wenn Vernunft Cauſſalitaͤt in Anſehung der Erſcheinungen ha- ben kan: ſo iſt ſie ein Vermoͤgen, durch welches die ſinn- liche Bedingung einer empiriſchen Reihe von Wirkungen zuerſt anfaͤngt. Denn die Bedingung, die in der Ver- nunft liegt, iſt nicht ſinnlich und faͤngt alſo ſelbſt nicht an. Demnach findet alsdenn dasienige ſtatt, was wir in allen empiriſchen Reihen vermißten: daß die Bedin- gung einer ſucceſſiven Reihe von Begebenheiten ſelbſt em- piriſchunbedingt ſeyn konte. Denn hier iſt die Bedingung auſſer der Reihe der Erſcheinungen (im Intelligibelen) und mithin keiner ſinnlichen Bedingung und keiner Zeitbeſtim- mung durch vorhergehende Urſache unterworfen. Gleichwol gehoͤrt doch eben dieſelbe Urſache in einer andern Beziehung auch zur Reihe der Erſcheinungen. Der Menſch iſt ſelbſt Erſcheinung. Seine Willkuͤhr hat einen empiriſchen Character, der die (empiriſche) Urſache aller ſeiner Handlungen iſt. Es iſt keine der Bedingungen, die den Menſchen dieſem Character gemaͤß beſtimmen, welche nicht in der Reihe der Naturwirkungen enthalten waͤ- re und dem Geſetze derſelben gehorchte, nach welchem gar keine empiriſchunbedingte Cauſſalitaͤt von dem, was in der Zeit geſchieht, angetroffen wird. Daher kan keine gege- bene Handlung (weil ſie nur als Erſcheinung wahrgenom- men

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 552. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/582>, abgerufen am 23.11.2024.