Nach dem intelligibelen Character desselben aber (ob wir zwar davon nichts als blos den allgemeinen Begriff desselben haben können) würde dasselbe Subiect dennoch von allem Einflusse der Sinnlichkeit und Bestimmung durch Erscheinungen frey gesprochen werden müssen, und, da in ihm, so fern es Noumenon ist, nichts geschieht, kei- ne Veränderung, welche dynamische Zeitbestimmung er- heischt, mithin keine Verknüpfung mit Erscheinungen als Ursachen angetroffen wird, so würde dieses thätige We- sen, so fern in seinen Handlungen von aller Naturnothwen- digkeit, als die lediglich in der Sinnenwelt angetroffen wird, unabhängig und frey seyn. Man würde von ihm ganz richtig sagen: daß es seine Wirkungen in der Sin- nenwelt von selbst anfange,[ ]ohne daß die Handlung in ihm selbst anfängt und dieses würde gültig seyn, ohne daß die Wirkungen in der Sinnenwelt darum von selbst anfangen dürfen, weil sie in derselben iederzeit durch empirische Be- dingungen in der vorigen Zeit, aber doch nur vermittelst des empirischen Characters (der blos die Erscheinung des intelligibelen ist) vorher bestimt seyn, und nur als eine Fortsetzung der Reihe der Naturursachen möglich sind. So würde denn Freiheit und Natur, iedes in seiner voll- ständigen Bedeutung, bey eben denselben Handlungen, nachdem man sie mit ihrer intelligibelen, oder sensibelen Ursache vergleicht, zugleich und ohne allen Widerstreit an- getroffen werden.
Erläu-
IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc.
Nach dem intelligibelen Character deſſelben aber (ob wir zwar davon nichts als blos den allgemeinen Begriff deſſelben haben koͤnnen) wuͤrde daſſelbe Subiect dennoch von allem Einfluſſe der Sinnlichkeit und Beſtimmung durch Erſcheinungen frey geſprochen werden muͤſſen, und, da in ihm, ſo fern es Noumenon iſt, nichts geſchieht, kei- ne Veraͤnderung, welche dynamiſche Zeitbeſtimmung er- heiſcht, mithin keine Verknuͤpfung mit Erſcheinungen als Urſachen angetroffen wird, ſo wuͤrde dieſes thaͤtige We- ſen, ſo fern in ſeinen Handlungen von aller Naturnothwen- digkeit, als die lediglich in der Sinnenwelt angetroffen wird, unabhaͤngig und frey ſeyn. Man wuͤrde von ihm ganz richtig ſagen: daß es ſeine Wirkungen in der Sin- nenwelt von ſelbſt anfange,[ ]ohne daß die Handlung in ihm ſelbſt anfaͤngt und dieſes wuͤrde guͤltig ſeyn, ohne daß die Wirkungen in der Sinnenwelt darum von ſelbſt anfangen duͤrfen, weil ſie in derſelben iederzeit durch empiriſche Be- dingungen in der vorigen Zeit, aber doch nur vermittelſt des empiriſchen Characters (der blos die Erſcheinung des intelligibelen iſt) vorher beſtimt ſeyn, und nur als eine Fortſetzung der Reihe der Natururſachen moͤglich ſind. So wuͤrde denn Freiheit und Natur, iedes in ſeiner voll- ſtaͤndigen Bedeutung, bey eben denſelben Handlungen, nachdem man ſie mit ihrer intelligibelen, oder ſenſibelen Urſache vergleicht, zugleich und ohne allen Widerſtreit an- getroffen werden.
Erlaͤu-
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IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc.
Nach dem intelligibelen Character deſſelben aber (ob
wir zwar davon nichts als blos den allgemeinen Begriff
deſſelben haben koͤnnen) wuͤrde daſſelbe Subiect dennoch
von allem Einfluſſe der Sinnlichkeit und Beſtimmung durch
Erſcheinungen frey geſprochen werden muͤſſen, und, da
in ihm, ſo fern es Noumenon iſt, nichts geſchieht, kei-
ne Veraͤnderung, welche dynamiſche Zeitbeſtimmung er-
heiſcht, mithin keine Verknuͤpfung mit Erſcheinungen als
Urſachen angetroffen wird, ſo wuͤrde dieſes thaͤtige We-
ſen, ſo fern in ſeinen Handlungen von aller Naturnothwen-
digkeit, als die lediglich in der Sinnenwelt angetroffen
wird, unabhaͤngig und frey ſeyn. Man wuͤrde von ihm
ganz richtig ſagen: daß es ſeine Wirkungen in der Sin-
nenwelt von ſelbſt anfange, ohne daß die Handlung in ihm
ſelbſt anfaͤngt und dieſes wuͤrde guͤltig ſeyn, ohne daß die
Wirkungen in der Sinnenwelt darum von ſelbſt anfangen
duͤrfen, weil ſie in derſelben iederzeit durch empiriſche Be-
dingungen in der vorigen Zeit, aber doch nur vermittelſt
des empiriſchen Characters (der blos die Erſcheinung des
intelligibelen iſt) vorher beſtimt ſeyn, und nur als eine
Fortſetzung der Reihe der Natururſachen moͤglich ſind.
So wuͤrde denn Freiheit und Natur, iedes in ſeiner voll-
ſtaͤndigen Bedeutung, bey eben denſelben Handlungen,
nachdem man ſie mit ihrer intelligibelen, oder ſenſibelen
Urſache vergleicht, zugleich und ohne allen Widerſtreit an-
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/571>, abgerufen am 23.11.2024.
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