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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

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Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst.
den Leitfaden der Geschichte, oder die Kette der Wirkun-
gen und ihrer Ursachen) fortzuschreiten, und sich der Er-
weiterung des möglichen empirischen Gebrauchs seines
Verstandes nirgend zu überheben, welches denn auch
das eigentliche und einzige Geschäfte der Vernunft bey
ihren Principien ist.

Ein bestimter empirischer Regressus, der in einer ge-
wissen Art von Erscheinungen ohne Aufhören fortginge,
wird hiedurch nicht vorgeschrieben, z. B. daß man von
einem lebenden Menschen immer in einer Reihe von Vor-
eltern aufwerts steigen müsse, ohne ein erstes Paar zu er-
warten, oder in der Reihe der Weltcörper ohne eine äus-
serste Sonne zuzulassen, sondern es wird nur der Fort-
schritt von Erscheinungen zu Erscheinungen geboten, sol-
ten diese auch keine wirkliche Wahrnehmung (wenn sie
dem Grade nach vor unser Bewustseyn zu schwach ist, um
Erfahrung zu werden) abgeben, weil sie dem ungeachtet
doch zur möglichen Erfahrung gehören.

Aller Anfang ist in der Zeit und alle Gränze des
Ausgedehnten im Raume. Raum und Zeit aber sind
nur in der Sinnenwelt. Mithin sind nur Erscheinungen
in der Welt bedingterweise, die Welt aber selbst weder
bedingt, noch auf unbedingte Art begränzt.

Eben um deswillen, und da die Welt niemals ganz,
und selbst die Reihe der Bedingungen zu einem gegebenen
Bedingten nicht, als Weltreihe, ganz gegeben werden
kan, ist der Begriff von der Weltgrösse nur durch den Re-

gressus

Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
den Leitfaden der Geſchichte, oder die Kette der Wirkun-
gen und ihrer Urſachen) fortzuſchreiten, und ſich der Er-
weiterung des moͤglichen empiriſchen Gebrauchs ſeines
Verſtandes nirgend zu uͤberheben, welches denn auch
das eigentliche und einzige Geſchaͤfte der Vernunft bey
ihren Principien iſt.

Ein beſtimter empiriſcher Regreſſus, der in einer ge-
wiſſen Art von Erſcheinungen ohne Aufhoͤren fortginge,
wird hiedurch nicht vorgeſchrieben, z. B. daß man von
einem lebenden Menſchen immer in einer Reihe von Vor-
eltern aufwerts ſteigen muͤſſe, ohne ein erſtes Paar zu er-
warten, oder in der Reihe der Weltcoͤrper ohne eine aͤuſ-
ſerſte Sonne zuzulaſſen, ſondern es wird nur der Fort-
ſchritt von Erſcheinungen zu Erſcheinungen geboten, ſol-
ten dieſe auch keine wirkliche Wahrnehmung (wenn ſie
dem Grade nach vor unſer Bewuſtſeyn zu ſchwach iſt, um
Erfahrung zu werden) abgeben, weil ſie dem ungeachtet
doch zur moͤglichen Erfahrung gehoͤren.

Aller Anfang iſt in der Zeit und alle Graͤnze des
Ausgedehnten im Raume. Raum und Zeit aber ſind
nur in der Sinnenwelt. Mithin ſind nur Erſcheinungen
in der Welt bedingterweiſe, die Welt aber ſelbſt weder
bedingt, noch auf unbedingte Art begraͤnzt.

Eben um deswillen, und da die Welt niemals ganz,
und ſelbſt die Reihe der Bedingungen zu einem gegebenen
Bedingten nicht, als Weltreihe, ganz gegeben werden
kan, iſt der Begriff von der Weltgroͤſſe nur durch den Re-

greſſus
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[522/0552] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. den Leitfaden der Geſchichte, oder die Kette der Wirkun- gen und ihrer Urſachen) fortzuſchreiten, und ſich der Er- weiterung des moͤglichen empiriſchen Gebrauchs ſeines Verſtandes nirgend zu uͤberheben, welches denn auch das eigentliche und einzige Geſchaͤfte der Vernunft bey ihren Principien iſt. Ein beſtimter empiriſcher Regreſſus, der in einer ge- wiſſen Art von Erſcheinungen ohne Aufhoͤren fortginge, wird hiedurch nicht vorgeſchrieben, z. B. daß man von einem lebenden Menſchen immer in einer Reihe von Vor- eltern aufwerts ſteigen muͤſſe, ohne ein erſtes Paar zu er- warten, oder in der Reihe der Weltcoͤrper ohne eine aͤuſ- ſerſte Sonne zuzulaſſen, ſondern es wird nur der Fort- ſchritt von Erſcheinungen zu Erſcheinungen geboten, ſol- ten dieſe auch keine wirkliche Wahrnehmung (wenn ſie dem Grade nach vor unſer Bewuſtſeyn zu ſchwach iſt, um Erfahrung zu werden) abgeben, weil ſie dem ungeachtet doch zur moͤglichen Erfahrung gehoͤren. Aller Anfang iſt in der Zeit und alle Graͤnze des Ausgedehnten im Raume. Raum und Zeit aber ſind nur in der Sinnenwelt. Mithin ſind nur Erſcheinungen in der Welt bedingterweiſe, die Welt aber ſelbſt weder bedingt, noch auf unbedingte Art begraͤnzt. Eben um deswillen, und da die Welt niemals ganz, und ſelbſt die Reihe der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten nicht, als Weltreihe, ganz gegeben werden kan, iſt der Begriff von der Weltgroͤſſe nur durch den Re- greſſus

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 522. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/552>, abgerufen am 23.11.2024.