Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst.
in der Welt so fortgehe. Denn hier bedarf die Vernunft
niemals absolute Totalität der Reihe, weil sie solche nicht
als Bedingung und wie gegeben (datum) vorausgesezt,
sondern nur als was Bedingtes, das nur angeblich (dabile)
ist, und ohne Ende hinzugesezt wird.

Ganz anders ist es mit der Aufgabe bewandt: wie
weit sich der Regressus, der von dem gegebenen Beding-
ten zu den Bedingungen in einer Reihe aufsteigt, erstrecke,
ob ich sagen könne: er sey ein Rückgang ins Unendliche,
oder nur ein unbestimmbar weit (in indefinitum) sich
erstreckender Rückgang und ob ich also von den ieztleben-
den Menschen, in der Reihe ihrer Voreltern, ins Unend-
liche aufwerts steigen könne, oder ob nur gesagt werden
könne: daß, so weit ich auch zurückgegangen bin, niemals
ein empirischer Grund angetroffen werde, die Reihe ir-
gendwo vor begränzt zu halten, so daß ich berechtigt und
zugleich verbunden bin, zu iedem der Urväter noch fernerhin
seinen Vorfahren aufzusuchen, ob gleich eben nicht voraus-
zusetzen.

Ich sage demnach: wenn das Ganze in der empiri-
schen Anschauung gegeben worden, so geht der Regressus
in der Reihe seiner inneren Bedingungen ins Unendliche;
ist aber nur ein Glied der Reihe gegeben, von welchem
der Regressus zur absoluten Totalität allererst fortgehen
soll: so findet nur ein Rückgang in unbestimte Weite (in

inde-

Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
in der Welt ſo fortgehe. Denn hier bedarf die Vernunft
niemals abſolute Totalitaͤt der Reihe, weil ſie ſolche nicht
als Bedingung und wie gegeben (datum) vorausgeſezt,
ſondern nur als was Bedingtes, das nur angeblich (dabile)
iſt, und ohne Ende hinzugeſezt wird.

Ganz anders iſt es mit der Aufgabe bewandt: wie
weit ſich der Regreſſus, der von dem gegebenen Beding-
ten zu den Bedingungen in einer Reihe aufſteigt, erſtrecke,
ob ich ſagen koͤnne: er ſey ein Ruͤckgang ins Unendliche,
oder nur ein unbeſtimmbar weit (in indefinitum) ſich
erſtreckender Ruͤckgang und ob ich alſo von den ieztleben-
den Menſchen, in der Reihe ihrer Voreltern, ins Unend-
liche aufwerts ſteigen koͤnne, oder ob nur geſagt werden
koͤnne: daß, ſo weit ich auch zuruͤckgegangen bin, niemals
ein empiriſcher Grund angetroffen werde, die Reihe ir-
gendwo vor begraͤnzt zu halten, ſo daß ich berechtigt und
zugleich verbunden bin, zu iedem der Urvaͤter noch fernerhin
ſeinen Vorfahren aufzuſuchen, ob gleich eben nicht voraus-
zuſetzen.

Ich ſage demnach: wenn das Ganze in der empiri-
ſchen Anſchauung gegeben worden, ſo geht der Regreſſus
in der Reihe ſeiner inneren Bedingungen ins Unendliche;
iſt aber nur ein Glied der Reihe gegeben, von welchem
der Regreſſus zur abſoluten Totalitaͤt allererſt fortgehen
ſoll: ſo findet nur ein Ruͤckgang in unbeſtimte Weite (in

inde-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <p><pb facs="#f0542" n="512"/><fw place="top" type="header">Elementarl. <hi rendition="#aq">II.</hi> Th. <hi rendition="#aq">II.</hi> Abth. <hi rendition="#aq">II.</hi> Buch. <hi rendition="#aq">II.</hi> Haupt&#x017F;t.</fw><lb/>
in der Welt &#x017F;o fortgehe. Denn hier bedarf die Vernunft<lb/>
niemals ab&#x017F;olute Totalita&#x0364;t der Reihe, weil &#x017F;ie &#x017F;olche nicht<lb/>
als Bedingung und wie gegeben (<hi rendition="#aq">datum</hi>) vorausge&#x017F;ezt,<lb/>
&#x017F;ondern nur als was Bedingtes, das nur angeblich (<hi rendition="#aq">dabile</hi>)<lb/>
i&#x017F;t, und ohne Ende hinzuge&#x017F;ezt wird.</p><lb/>
                      <p>Ganz anders i&#x017F;t es mit der Aufgabe bewandt: wie<lb/>
weit &#x017F;ich der Regre&#x017F;&#x017F;us, der von dem gegebenen Beding-<lb/>
ten zu den Bedingungen in einer Reihe auf&#x017F;teigt, er&#x017F;trecke,<lb/>
ob ich &#x017F;agen ko&#x0364;nne: er &#x017F;ey <hi rendition="#fr">ein Ru&#x0364;ckgang ins Unendliche,</hi><lb/>
oder nur ein unbe&#x017F;timmbar weit (<hi rendition="#aq">in indefinitum</hi>) &#x017F;ich<lb/>
er&#x017F;treckender Ru&#x0364;ckgang und ob ich al&#x017F;o von den ieztleben-<lb/>
den Men&#x017F;chen, in der Reihe ihrer Voreltern, ins Unend-<lb/>
liche aufwerts &#x017F;teigen ko&#x0364;nne, oder ob nur ge&#x017F;agt werden<lb/>
ko&#x0364;nne: daß, &#x017F;o weit ich auch zuru&#x0364;ckgegangen bin, niemals<lb/>
ein empiri&#x017F;cher Grund angetroffen werde, die Reihe ir-<lb/>
gendwo vor begra&#x0364;nzt zu halten, &#x017F;o daß ich berechtigt und<lb/>
zugleich verbunden bin, zu iedem der Urva&#x0364;ter noch fernerhin<lb/>
&#x017F;einen Vorfahren aufzu&#x017F;uchen, ob gleich eben nicht voraus-<lb/>
zu&#x017F;etzen.</p><lb/>
                      <p>Ich &#x017F;age demnach: wenn das Ganze in der empiri-<lb/>
&#x017F;chen An&#x017F;chauung gegeben worden, &#x017F;o geht der Regre&#x017F;&#x017F;us<lb/>
in der Reihe &#x017F;einer inneren Bedingungen ins Unendliche;<lb/>
i&#x017F;t aber nur ein Glied der Reihe gegeben, von welchem<lb/>
der Regre&#x017F;&#x017F;us zur ab&#x017F;oluten Totalita&#x0364;t allerer&#x017F;t fortgehen<lb/>
&#x017F;oll: &#x017F;o findet nur ein Ru&#x0364;ckgang in unbe&#x017F;timte Weite (<hi rendition="#aq">in</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">inde-</hi></fw><lb/></p>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[512/0542] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. in der Welt ſo fortgehe. Denn hier bedarf die Vernunft niemals abſolute Totalitaͤt der Reihe, weil ſie ſolche nicht als Bedingung und wie gegeben (datum) vorausgeſezt, ſondern nur als was Bedingtes, das nur angeblich (dabile) iſt, und ohne Ende hinzugeſezt wird. Ganz anders iſt es mit der Aufgabe bewandt: wie weit ſich der Regreſſus, der von dem gegebenen Beding- ten zu den Bedingungen in einer Reihe aufſteigt, erſtrecke, ob ich ſagen koͤnne: er ſey ein Ruͤckgang ins Unendliche, oder nur ein unbeſtimmbar weit (in indefinitum) ſich erſtreckender Ruͤckgang und ob ich alſo von den ieztleben- den Menſchen, in der Reihe ihrer Voreltern, ins Unend- liche aufwerts ſteigen koͤnne, oder ob nur geſagt werden koͤnne: daß, ſo weit ich auch zuruͤckgegangen bin, niemals ein empiriſcher Grund angetroffen werde, die Reihe ir- gendwo vor begraͤnzt zu halten, ſo daß ich berechtigt und zugleich verbunden bin, zu iedem der Urvaͤter noch fernerhin ſeinen Vorfahren aufzuſuchen, ob gleich eben nicht voraus- zuſetzen. Ich ſage demnach: wenn das Ganze in der empiri- ſchen Anſchauung gegeben worden, ſo geht der Regreſſus in der Reihe ſeiner inneren Bedingungen ins Unendliche; iſt aber nur ein Glied der Reihe gegeben, von welchem der Regreſſus zur abſoluten Totalitaͤt allererſt fortgehen ſoll: ſo findet nur ein Ruͤckgang in unbeſtimte Weite (in inde-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/542
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 512. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/542>, abgerufen am 22.11.2024.