Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst.
stenz, welche niemals weder an sich ihrer Totalität nach als endlich, noch als unendlich angesehen werden kan, weil sie als Reihe subordinirter Vorstellungen, nur im dynami- schen Regressus besteht, vor demselben aber und, als vor sich bestehende Reihe von Dingen, an sich selbst gar nicht existiren kan.
So wird demnach die Antinomie der reinen Ver- nunft bey ihren cosmologischen Ideen gehoben, dadurch, daß gezeigt wird: sie sey blos dialectisch und ein Wider- streit eines Scheins, der daher entspringt, daß man die Idee der absoluten Totalität, welche nur als eine Bedin- gung der Dinge an sich selbst gilt, auf Erscheinungen ange- wandt hat, die nur in der Vorstellung und, wenn sie eine Reihe ausmachen, im successiven Regressus, sonst aber gar nicht existiren. Man kan aber auch umgekehrt aus dieser Antinomie einen wahren, zwar nicht dogmatischen, aber doch critischen und doctrinalen Nutzen ziehen: nemlich die transscendentale Idealität der Erscheinungen dadurch indirect zu beweisen, wenn iemand etwa an dem directen Beweise in der transscendentalen Aesthetik nicht genug hätte. Der Beweis würde in diesem Dilemma bestehen. Wenn die Welt ein an sich existirendes Ganze ist: so ist sie entweder endlich, oder unendlich; Nun ist das erstere sowol als das zweite falsch (laut den oben angeführten Beweisen der Antithesis, einer und der Thesis anderer Seits). Also ist es auch falsch, daß die Welt (der In- begriff aller Erscheinungen) ein an sich existirendes Ganze
sey.
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
ſtenz, welche niemals weder an ſich ihrer Totalitaͤt nach als endlich, noch als unendlich angeſehen werden kan, weil ſie als Reihe ſubordinirter Vorſtellungen, nur im dynami- ſchen Regreſſus beſteht, vor demſelben aber und, als vor ſich beſtehende Reihe von Dingen, an ſich ſelbſt gar nicht exiſtiren kan.
So wird demnach die Antinomie der reinen Ver- nunft bey ihren cosmologiſchen Ideen gehoben, dadurch, daß gezeigt wird: ſie ſey blos dialectiſch und ein Wider- ſtreit eines Scheins, der daher entſpringt, daß man die Idee der abſoluten Totalitaͤt, welche nur als eine Bedin- gung der Dinge an ſich ſelbſt gilt, auf Erſcheinungen ange- wandt hat, die nur in der Vorſtellung und, wenn ſie eine Reihe ausmachen, im ſucceſſiven Regreſſus, ſonſt aber gar nicht exiſtiren. Man kan aber auch umgekehrt aus dieſer Antinomie einen wahren, zwar nicht dogmatiſchen, aber doch critiſchen und doctrinalen Nutzen ziehen: nemlich die transſcendentale Idealitaͤt der Erſcheinungen dadurch indirect zu beweiſen, wenn iemand etwa an dem directen Beweiſe in der transſcendentalen Aeſthetik nicht genug haͤtte. Der Beweis wuͤrde in dieſem Dilemma beſtehen. Wenn die Welt ein an ſich exiſtirendes Ganze iſt: ſo iſt ſie entweder endlich, oder unendlich; Nun iſt das erſtere ſowol als das zweite falſch (laut den oben angefuͤhrten Beweiſen der Antitheſis, einer und der Theſis anderer Seits). Alſo iſt es auch falſch, daß die Welt (der In- begriff aller Erſcheinungen) ein an ſich exiſtirendes Ganze
ſey.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><divn="8"><p><pbfacs="#f0536"n="506"/><fwplace="top"type="header">Elementarl. <hirendition="#aq">II.</hi> Th. <hirendition="#aq">II.</hi> Abth. <hirendition="#aq">II.</hi> Buch. <hirendition="#aq">II.</hi> Hauptſt.</fw><lb/>ſtenz, welche niemals weder an ſich ihrer Totalitaͤt nach<lb/>
als endlich, noch als unendlich angeſehen werden kan, weil<lb/>ſie als Reihe ſubordinirter Vorſtellungen, nur im dynami-<lb/>ſchen Regreſſus beſteht, vor demſelben aber und, als vor<lb/>ſich beſtehende Reihe von Dingen, an ſich ſelbſt gar nicht<lb/>
exiſtiren kan.</p><lb/><p>So wird demnach die Antinomie der reinen Ver-<lb/>
nunft bey ihren cosmologiſchen Ideen gehoben, dadurch,<lb/>
daß gezeigt wird: ſie ſey blos dialectiſch und ein Wider-<lb/>ſtreit eines Scheins, der daher entſpringt, daß man die<lb/>
Idee der abſoluten Totalitaͤt, welche nur als eine Bedin-<lb/>
gung der Dinge an ſich ſelbſt gilt, auf Erſcheinungen ange-<lb/>
wandt hat, die nur in der Vorſtellung und, wenn ſie eine<lb/>
Reihe ausmachen, im ſucceſſiven Regreſſus, ſonſt aber<lb/>
gar nicht exiſtiren. Man kan aber auch umgekehrt aus<lb/>
dieſer Antinomie einen wahren, zwar nicht dogmatiſchen,<lb/>
aber doch critiſchen und doctrinalen Nutzen ziehen: nemlich<lb/>
die transſcendentale Idealitaͤt der Erſcheinungen dadurch<lb/>
indirect zu beweiſen, wenn iemand etwa an dem directen<lb/>
Beweiſe in der transſcendentalen Aeſthetik nicht genug<lb/>
haͤtte. Der Beweis wuͤrde in dieſem Dilemma beſtehen.<lb/>
Wenn die Welt ein an ſich exiſtirendes Ganze iſt: ſo iſt<lb/>ſie entweder endlich, oder unendlich; Nun iſt das erſtere<lb/>ſowol als das zweite falſch (laut den oben angefuͤhrten<lb/>
Beweiſen der Antitheſis, einer und der Theſis anderer<lb/>
Seits). Alſo iſt es auch falſch, daß die Welt (der In-<lb/>
begriff aller Erſcheinungen) ein an ſich exiſtirendes Ganze<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſey.</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[506/0536]
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
ſtenz, welche niemals weder an ſich ihrer Totalitaͤt nach
als endlich, noch als unendlich angeſehen werden kan, weil
ſie als Reihe ſubordinirter Vorſtellungen, nur im dynami-
ſchen Regreſſus beſteht, vor demſelben aber und, als vor
ſich beſtehende Reihe von Dingen, an ſich ſelbſt gar nicht
exiſtiren kan.
So wird demnach die Antinomie der reinen Ver-
nunft bey ihren cosmologiſchen Ideen gehoben, dadurch,
daß gezeigt wird: ſie ſey blos dialectiſch und ein Wider-
ſtreit eines Scheins, der daher entſpringt, daß man die
Idee der abſoluten Totalitaͤt, welche nur als eine Bedin-
gung der Dinge an ſich ſelbſt gilt, auf Erſcheinungen ange-
wandt hat, die nur in der Vorſtellung und, wenn ſie eine
Reihe ausmachen, im ſucceſſiven Regreſſus, ſonſt aber
gar nicht exiſtiren. Man kan aber auch umgekehrt aus
dieſer Antinomie einen wahren, zwar nicht dogmatiſchen,
aber doch critiſchen und doctrinalen Nutzen ziehen: nemlich
die transſcendentale Idealitaͤt der Erſcheinungen dadurch
indirect zu beweiſen, wenn iemand etwa an dem directen
Beweiſe in der transſcendentalen Aeſthetik nicht genug
haͤtte. Der Beweis wuͤrde in dieſem Dilemma beſtehen.
Wenn die Welt ein an ſich exiſtirendes Ganze iſt: ſo iſt
ſie entweder endlich, oder unendlich; Nun iſt das erſtere
ſowol als das zweite falſch (laut den oben angefuͤhrten
Beweiſen der Antitheſis, einer und der Theſis anderer
Seits). Alſo iſt es auch falſch, daß die Welt (der In-
begriff aller Erſcheinungen) ein an ſich exiſtirendes Ganze
ſey.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 506. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/536>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.