mithin kein sicherer Aufschluß erwartet werden kan. Ich rechne die Fragen der transscendentalen Analytik, welche die Deduction unserer reinen Erkentniß betreffen, nicht hieher, weil wir iezt nur von der Gewißheit der Urtheile in Ansehung der Gegenstände und nicht in Ansehung des Ursprungs unserer Begriffe selbst handeln.
Wir werden also der Verbindlichkeit einer wenigstens critischen Auflösung der vorgelegten Vernunftfragen dadurch nicht ausweichen können: daß wir über die enge Schran- ken unserer Vernunft Klagen erheben, und mit dem Schei- ne einer demuthsvollen Selbsterkentniß, bekennen: es sey über unsere Vernunft, auszumachen, ob die Welt von Ewigkeit her sey, oder einen Anfang habe; ob der Welt- raum ins Unendliche mit Wesen erfüllet, oder innerhalb gewissen Gränzen eingeschlossen sey; ob irgend in der Welt etwas einfach sey, oder ob alles ins Unendliche getheilt werden müsse; ob es eine Erzeugung und Hervorbringung aus Freiheit gebe, oder ob alles an der Kette der Natur- ordnung hänge; endlich ob es irgend ein gänzlich unbedingt und an sich nothwendiges Wesen gebe, oder ob alles seinem Daseyn nach bedingt und mithin äusserlich abhängend und an sich zufällig sey. Denn alle diese Fragen betreffen ei- nen Gegenstand, der nirgend anders, als in unseren Ge- danken gegeben werden kan, nemlich die schlechthin unbe- dingte Totalität der Synthesis der Erscheinungen. Wenn wir darüber aus unseren eigenen Begriffen nichts gewisses
sagen
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IV. Abſch. Von der Aufloͤſung der Aufgaben ꝛc.
mithin kein ſicherer Aufſchluß erwartet werden kan. Ich rechne die Fragen der transſcendentalen Analytik, welche die Deduction unſerer reinen Erkentniß betreffen, nicht hieher, weil wir iezt nur von der Gewißheit der Urtheile in Anſehung der Gegenſtaͤnde und nicht in Anſehung des Urſprungs unſerer Begriffe ſelbſt handeln.
Wir werden alſo der Verbindlichkeit einer wenigſtens critiſchen Aufloͤſung der vorgelegten Vernunftfragen dadurch nicht ausweichen koͤnnen: daß wir uͤber die enge Schran- ken unſerer Vernunft Klagen erheben, und mit dem Schei- ne einer demuthsvollen Selbſterkentniß, bekennen: es ſey uͤber unſere Vernunft, auszumachen, ob die Welt von Ewigkeit her ſey, oder einen Anfang habe; ob der Welt- raum ins Unendliche mit Weſen erfuͤllet, oder innerhalb gewiſſen Graͤnzen eingeſchloſſen ſey; ob irgend in der Welt etwas einfach ſey, oder ob alles ins Unendliche getheilt werden muͤſſe; ob es eine Erzeugung und Hervorbringung aus Freiheit gebe, oder ob alles an der Kette der Natur- ordnung haͤnge; endlich ob es irgend ein gaͤnzlich unbedingt und an ſich nothwendiges Weſen gebe, oder ob alles ſeinem Daſeyn nach bedingt und mithin aͤuſſerlich abhaͤngend und an ſich zufaͤllig ſey. Denn alle dieſe Fragen betreffen ei- nen Gegenſtand, der nirgend anders, als in unſeren Ge- danken gegeben werden kan, nemlich die ſchlechthin unbe- dingte Totalitaͤt der Syntheſis der Erſcheinungen. Wenn wir daruͤber aus unſeren eigenen Begriffen nichts gewiſſes
ſagen
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IV. Abſch. Von der Aufloͤſung der Aufgaben ꝛc.
mithin kein ſicherer Aufſchluß erwartet werden kan. Ich
rechne die Fragen der transſcendentalen Analytik, welche
die Deduction unſerer reinen Erkentniß betreffen, nicht
hieher, weil wir iezt nur von der Gewißheit der Urtheile
in Anſehung der Gegenſtaͤnde und nicht in Anſehung des
Urſprungs unſerer Begriffe ſelbſt handeln.
Wir werden alſo der Verbindlichkeit einer wenigſtens
critiſchen Aufloͤſung der vorgelegten Vernunftfragen dadurch
nicht ausweichen koͤnnen: daß wir uͤber die enge Schran-
ken unſerer Vernunft Klagen erheben, und mit dem Schei-
ne einer demuthsvollen Selbſterkentniß, bekennen: es ſey
uͤber unſere Vernunft, auszumachen, ob die Welt von
Ewigkeit her ſey, oder einen Anfang habe; ob der Welt-
raum ins Unendliche mit Weſen erfuͤllet, oder innerhalb
gewiſſen Graͤnzen eingeſchloſſen ſey; ob irgend in der Welt
etwas einfach ſey, oder ob alles ins Unendliche getheilt
werden muͤſſe; ob es eine Erzeugung und Hervorbringung
aus Freiheit gebe, oder ob alles an der Kette der Natur-
ordnung haͤnge; endlich ob es irgend ein gaͤnzlich unbedingt
und an ſich nothwendiges Weſen gebe, oder ob alles ſeinem
Daſeyn nach bedingt und mithin aͤuſſerlich abhaͤngend und
an ſich zufaͤllig ſey. Denn alle dieſe Fragen betreffen ei-
nen Gegenſtand, der nirgend anders, als in unſeren Ge-
danken gegeben werden kan, nemlich die ſchlechthin unbe-
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wir daruͤber aus unſeren eigenen Begriffen nichts gewiſſes
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 481. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/511>, abgerufen am 22.11.2024.
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