Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst.
Ein ieder von beiden sagt mehr als er weiß, doch so: daß der erstere das Wissen, obzwar zum Nachtheile des Practischen aufmuntert und befördert, der zweite zwar zum Practischen vortrefliche Principien an die Hand giebt, aber eben dadurch in Ansehung alles dessen, worin uns allein ein speculatives Wissen vergönnet ist, der Ver- nunft erlaubt, idealischen Erklärungen der Naturerschei- nungen nachzuhängen und darüber die physische Nachfor- schung zu verabsäumen.
Was endlich das dritte Moment, worauf bey der vorläufigen Wahl zwischen beiden strittigen Theilen gese- hen werden kan, anlangt: so ist es überaus befremdlich, daß der Empirismus aller Popularität gänzlich zuwider ist, ob man gleich glauben sollte, der gemeine Verstand werde einen Entwurf begierig aufnehmen, der ihn durch nichts als Erfahrungserkentnisse und deren vernunftmäßigen Zu- sammenhang zu befriedigen verspricht, an statt daß die transscendentale Dogmatik ihn nöthigt, zu Begriffen hin- aufzusteigen, welche die Einsicht und das Vernunftvermö- gen der im Denken geübtesten Köpfe weit übersteigen.
Aber
den, sind noch iezt sehr richtige aber wenig beobachtete Grundsätze, die speculative Philosophie zu erweitern, so wie auch die Principien der Moral, unabhängig von fremden Hülfsquellen auszufinden, ohne daß darum der- ienige, welcher verlangt, iene dogmatische Sätze, so lange als wir mit der blossen Speculation beschäftigt sind, zu ignoriren, darum beschuldigt werden darf, er wolle sie läugnen.
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
Ein ieder von beiden ſagt mehr als er weiß, doch ſo: daß der erſtere das Wiſſen, obzwar zum Nachtheile des Practiſchen aufmuntert und befoͤrdert, der zweite zwar zum Practiſchen vortrefliche Principien an die Hand giebt, aber eben dadurch in Anſehung alles deſſen, worin uns allein ein ſpeculatives Wiſſen vergoͤnnet iſt, der Ver- nunft erlaubt, idealiſchen Erklaͤrungen der Naturerſchei- nungen nachzuhaͤngen und daruͤber die phyſiſche Nachfor- ſchung zu verabſaͤumen.
Was endlich das dritte Moment, worauf bey der vorlaͤufigen Wahl zwiſchen beiden ſtrittigen Theilen geſe- hen werden kan, anlangt: ſo iſt es uͤberaus befremdlich, daß der Empirismus aller Popularitaͤt gaͤnzlich zuwider iſt, ob man gleich glauben ſollte, der gemeine Verſtand werde einen Entwurf begierig aufnehmen, der ihn durch nichts als Erfahrungserkentniſſe und deren vernunftmaͤßigen Zu- ſammenhang zu befriedigen verſpricht, an ſtatt daß die transſcendentale Dogmatik ihn noͤthigt, zu Begriffen hin- aufzuſteigen, welche die Einſicht und das Vernunftvermoͤ- gen der im Denken geuͤbteſten Koͤpfe weit uͤberſteigen.
Aber
den, ſind noch iezt ſehr richtige aber wenig beobachtete Grundſaͤtze, die ſpeculative Philoſophie zu erweitern, ſo wie auch die Principien der Moral, unabhaͤngig von fremden Huͤlfsquellen auszufinden, ohne daß darum der- ienige, welcher verlangt, iene dogmatiſche Saͤtze, ſo lange als wir mit der bloſſen Speculation beſchaͤftigt ſind, zu ignoriren, darum beſchuldigt werden darf, er wolle ſie laͤugnen.
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Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
Ein ieder von beiden ſagt mehr als er weiß, doch
ſo: daß der erſtere das Wiſſen, obzwar zum Nachtheile
des Practiſchen aufmuntert und befoͤrdert, der zweite
zwar zum Practiſchen vortrefliche Principien an die Hand
giebt, aber eben dadurch in Anſehung alles deſſen, worin
uns allein ein ſpeculatives Wiſſen vergoͤnnet iſt, der Ver-
nunft erlaubt, idealiſchen Erklaͤrungen der Naturerſchei-
nungen nachzuhaͤngen und daruͤber die phyſiſche Nachfor-
ſchung zu verabſaͤumen.
Was endlich das dritte Moment, worauf bey der
vorlaͤufigen Wahl zwiſchen beiden ſtrittigen Theilen geſe-
hen werden kan, anlangt: ſo iſt es uͤberaus befremdlich,
daß der Empirismus aller Popularitaͤt gaͤnzlich zuwider iſt,
ob man gleich glauben ſollte, der gemeine Verſtand werde
einen Entwurf begierig aufnehmen, der ihn durch nichts
als Erfahrungserkentniſſe und deren vernunftmaͤßigen Zu-
ſammenhang zu befriedigen verſpricht, an ſtatt daß die
transſcendentale Dogmatik ihn noͤthigt, zu Begriffen hin-
aufzuſteigen, welche die Einſicht und das Vernunftvermoͤ-
gen der im Denken geuͤbteſten Koͤpfe weit uͤberſteigen.
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*) den, ſind noch iezt ſehr richtige aber wenig beobachtete
Grundſaͤtze, die ſpeculative Philoſophie zu erweitern, ſo
wie auch die Principien der Moral, unabhaͤngig von
fremden Huͤlfsquellen auszufinden, ohne daß darum der-
ienige, welcher verlangt, iene dogmatiſche Saͤtze, ſo lange
als wir mit der bloſſen Speculation beſchaͤftigt ſind, zu
ignoriren, darum beſchuldigt werden darf, er wolle ſie
laͤugnen.
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/502>, abgerufen am 22.11.2024.
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