Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst.
a parte priori ohne Gränzen (ohne Anfang), d. i. unend- lich, und gleichwol ganz gegeben, der Regressus in ihr aber ist niemals vollendet, und kan nur potentialiter un- endlich genant werden. Im zweiten Falle giebt es ein Erstes der Reihe, welches in Ansehung der verflossenen Zeit der Weltanfang, in Ansehung des Raums die Welt- gränze, in Ansehung der Theile, eines in seinen Gränzen gegebenen Ganzen, das Einfache, in Ansehung der Ursa- chen die absolute Selbstthätigkeit (Freiheit), in Anse- hung des Daseyns veränderlicher Dinge die absolute Na- turnothwendigkeit heißt.
Wir haben zwey Ausdrücke: Welt und Natur, welche bisweilen in einander laufen. Das erste bedeutet das mathematische Ganze aller Erscheinungen und die To- talität ihrer Synthesis, im Grossen, sowol als im kleinen, d. i. sowol in dem Fortschritt derselben durch Zusammen- setzung, als durch Theilung. Eben dieselbe Welt wird aber Natur*) genant, so fern sie als ein dynamisches
Ganze
einem gegebenen Bedingten ist iederzeit unbedingt; weil ausser ihr keine Bedingungen mehr sind, in Ansehung deren es bedingt seyn könte. Allein dieses absolute Gan- ze einer solchen Reihe ist nur eine Idee, oder vielmehr ein problematischer Begriff, dessen Möglichkeit untersucht werde muß, und zwar in Beziehung auf die Art, wie das Unbedingte, als die eigentliche transscendentale Idee, worauf es ankomt, darin enthalten seyn mag.
*) Natur, adiectiue (formaliter) genommen, bedeutet den Zusammenhang der Bestimmungen eines Dinges, nach
einem
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
a parte priori ohne Graͤnzen (ohne Anfang), d. i. unend- lich, und gleichwol ganz gegeben, der Regreſſus in ihr aber iſt niemals vollendet, und kan nur potentialiter un- endlich genant werden. Im zweiten Falle giebt es ein Erſtes der Reihe, welches in Anſehung der verfloſſenen Zeit der Weltanfang, in Anſehung des Raums die Welt- graͤnze, in Anſehung der Theile, eines in ſeinen Graͤnzen gegebenen Ganzen, das Einfache, in Anſehung der Urſa- chen die abſolute Selbſtthaͤtigkeit (Freiheit), in Anſe- hung des Daſeyns veraͤnderlicher Dinge die abſolute Na- turnothwendigkeit heißt.
Wir haben zwey Ausdruͤcke: Welt und Natur, welche bisweilen in einander laufen. Das erſte bedeutet das mathematiſche Ganze aller Erſcheinungen und die To- talitaͤt ihrer Syntheſis, im Groſſen, ſowol als im kleinen, d. i. ſowol in dem Fortſchritt derſelben durch Zuſammen- ſetzung, als durch Theilung. Eben dieſelbe Welt wird aber Natur*) genant, ſo fern ſie als ein dynamiſches
Ganze
einem gegebenen Bedingten iſt iederzeit unbedingt; weil auſſer ihr keine Bedingungen mehr ſind, in Anſehung deren es bedingt ſeyn koͤnte. Allein dieſes abſolute Gan- ze einer ſolchen Reihe iſt nur eine Idee, oder vielmehr ein problematiſcher Begriff, deſſen Moͤglichkeit unterſucht werde muß, und zwar in Beziehung auf die Art, wie das Unbedingte, als die eigentliche transſcendentale Idee, worauf es ankomt, darin enthalten ſeyn mag.
*) Natur, adiectiue (formaliter) genommen, bedeutet den Zuſammenhang der Beſtimmungen eines Dinges, nach
einem
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><divn="8"><p><pbfacs="#f0448"n="418"/><fwplace="top"type="header">Elementarl. <hirendition="#aq">II.</hi> Th. <hirendition="#aq">II.</hi> Abth. <hirendition="#aq">II.</hi> Buch. <hirendition="#aq">II.</hi> Hauptſt.</fw><lb/><hirendition="#aq">a parte priori</hi> ohne Graͤnzen (ohne Anfang), d. i. unend-<lb/>
lich, und gleichwol ganz gegeben, der Regreſſus in ihr<lb/>
aber iſt niemals vollendet, und kan nur potentialiter un-<lb/>
endlich genant werden. Im zweiten Falle giebt es ein<lb/>
Erſtes der Reihe, welches in Anſehung der verfloſſenen<lb/>
Zeit der <hirendition="#fr">Weltanfang</hi>, in Anſehung des Raums die Welt-<lb/>
graͤnze, in Anſehung der Theile, eines in ſeinen Graͤnzen<lb/>
gegebenen Ganzen, das <hirendition="#fr">Einfache</hi>, in Anſehung der Urſa-<lb/>
chen die abſolute <hirendition="#fr">Selbſtthaͤtigkeit</hi> (Freiheit), in Anſe-<lb/>
hung des Daſeyns veraͤnderlicher Dinge die abſolute Na-<lb/>
turnothwendigkeit heißt.</p><lb/><p>Wir haben zwey Ausdruͤcke: <hirendition="#fr">Welt</hi> und <hirendition="#fr">Natur</hi>,<lb/>
welche bisweilen in einander laufen. Das erſte bedeutet<lb/>
das mathematiſche Ganze aller Erſcheinungen und die To-<lb/>
talitaͤt ihrer Syntheſis, im Groſſen, ſowol als im kleinen,<lb/>
d. i. ſowol in dem Fortſchritt derſelben durch Zuſammen-<lb/>ſetzung, als durch Theilung. Eben dieſelbe Welt wird<lb/>
aber Natur<notexml:id="seg2pn_9_1"next="#seg2pn_9_2"place="foot"n="*)">Natur, <hirendition="#aq">adiectiue (formaliter)</hi> genommen, bedeutet den<lb/>
Zuſammenhang der Beſtimmungen eines Dinges, nach<lb/><fwplace="bottom"type="catch">einem</fw></note> genant, ſo fern ſie als ein dynamiſches<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Ganze</fw><lb/><notexml:id="seg2pn_8_2"prev="#seg2pn_8_1"place="foot"n="*)">einem gegebenen Bedingten iſt iederzeit unbedingt; weil<lb/>
auſſer ihr keine Bedingungen mehr ſind, in Anſehung<lb/>
deren es bedingt ſeyn koͤnte. Allein dieſes abſolute Gan-<lb/>
ze einer ſolchen Reihe iſt nur eine Idee, oder vielmehr ein<lb/>
problematiſcher Begriff, deſſen Moͤglichkeit unterſucht<lb/>
werde muß, und zwar in Beziehung auf die Art, wie<lb/>
das Unbedingte, als die eigentliche transſcendentale Idee,<lb/>
worauf es ankomt, darin enthalten ſeyn mag.</note><lb/></p></div></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[418/0448]
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
a parte priori ohne Graͤnzen (ohne Anfang), d. i. unend-
lich, und gleichwol ganz gegeben, der Regreſſus in ihr
aber iſt niemals vollendet, und kan nur potentialiter un-
endlich genant werden. Im zweiten Falle giebt es ein
Erſtes der Reihe, welches in Anſehung der verfloſſenen
Zeit der Weltanfang, in Anſehung des Raums die Welt-
graͤnze, in Anſehung der Theile, eines in ſeinen Graͤnzen
gegebenen Ganzen, das Einfache, in Anſehung der Urſa-
chen die abſolute Selbſtthaͤtigkeit (Freiheit), in Anſe-
hung des Daſeyns veraͤnderlicher Dinge die abſolute Na-
turnothwendigkeit heißt.
Wir haben zwey Ausdruͤcke: Welt und Natur,
welche bisweilen in einander laufen. Das erſte bedeutet
das mathematiſche Ganze aller Erſcheinungen und die To-
talitaͤt ihrer Syntheſis, im Groſſen, ſowol als im kleinen,
d. i. ſowol in dem Fortſchritt derſelben durch Zuſammen-
ſetzung, als durch Theilung. Eben dieſelbe Welt wird
aber Natur *) genant, ſo fern ſie als ein dynamiſches
Ganze
*)
*) Natur, adiectiue (formaliter) genommen, bedeutet den
Zuſammenhang der Beſtimmungen eines Dinges, nach
einem
*) einem gegebenen Bedingten iſt iederzeit unbedingt; weil
auſſer ihr keine Bedingungen mehr ſind, in Anſehung
deren es bedingt ſeyn koͤnte. Allein dieſes abſolute Gan-
ze einer ſolchen Reihe iſt nur eine Idee, oder vielmehr ein
problematiſcher Begriff, deſſen Moͤglichkeit unterſucht
werde muß, und zwar in Beziehung auf die Art, wie
das Unbedingte, als die eigentliche transſcendentale Idee,
worauf es ankomt, darin enthalten ſeyn mag.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/448>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.