Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst.
lich geht die transscendentale Idee, der absoluten Totali- tät der Reihe der Bedingungen zu einem gegebenen Be- dingten, nur auf alle vergangene Zeit. Es wird nach der Idee der Vernunft die ganze verlaufene Zeit als Be- dingung des gegebenen Augenblicks nothwendig als gege- ben gedacht. Was aber den Raum betrift, so ist in ihm an sich selbst kein Unterschied des Progressus vom Regres- sus, weil er ein Aggregat, aber keine Reihe ausmacht, indem seine Theile insgesamt zugleich seyn. Den gegen- wärtigen Zeitpunct konte ich in Ansehung der vergangenen Zeit nur als bedingt, niemals aber als Bedingung dersel- ben, ansehen, weil dieser Augenblick nur durch die ver- flossene Zeit (oder vielmehr durch das Verfliessen der vor- hergehenden Zeit) allererst entspringt. Aber da die Theile des Raumes einander nicht untergeordnet, sondern bey- geordnet sind, so ist ein Theil nicht die Bedingung der Möglichkeit des andern, und er macht nicht, so wie die Zeit, an sich selbst eine Reihe aus. Allein die Syn- thesis der mannigfaltigen Theile des Raumes, wodurch wir ihn apprehendiren, ist doch successiv, geschieht also in der Zeit und enthält eine Reihe. Und da in dieser Reihe der aggregirten Räume (z. B. der Füsse in einer Ruthe) von einem gegebenen an, die weiter hinzugedach- te immer die Bedingung von der Gränze der vorigen seyn, so ist das Messen eines Raumes auch als eine Syn- thesis einer Reihe der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten anzusehen, nur daß die Seite der Bedingun-
gen,
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
lich geht die transſcendentale Idee, der abſoluten Totali- taͤt der Reihe der Bedingungen zu einem gegebenen Be- dingten, nur auf alle vergangene Zeit. Es wird nach der Idee der Vernunft die ganze verlaufene Zeit als Be- dingung des gegebenen Augenblicks nothwendig als gege- ben gedacht. Was aber den Raum betrift, ſo iſt in ihm an ſich ſelbſt kein Unterſchied des Progreſſus vom Regreſ- ſus, weil er ein Aggregat, aber keine Reihe ausmacht, indem ſeine Theile insgeſamt zugleich ſeyn. Den gegen- waͤrtigen Zeitpunct konte ich in Anſehung der vergangenen Zeit nur als bedingt, niemals aber als Bedingung derſel- ben, anſehen, weil dieſer Augenblick nur durch die ver- floſſene Zeit (oder vielmehr durch das Verflieſſen der vor- hergehenden Zeit) allererſt entſpringt. Aber da die Theile des Raumes einander nicht untergeordnet, ſondern bey- geordnet ſind, ſo iſt ein Theil nicht die Bedingung der Moͤglichkeit des andern, und er macht nicht, ſo wie die Zeit, an ſich ſelbſt eine Reihe aus. Allein die Syn- theſis der mannigfaltigen Theile des Raumes, wodurch wir ihn apprehendiren, iſt doch ſucceſſiv, geſchieht alſo in der Zeit und enthaͤlt eine Reihe. Und da in dieſer Reihe der aggregirten Raͤume (z. B. der Fuͤſſe in einer Ruthe) von einem gegebenen an, die weiter hinzugedach- te immer die Bedingung von der Graͤnze der vorigen ſeyn, ſo iſt das Meſſen eines Raumes auch als eine Syn- theſis einer Reihe der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten anzuſehen, nur daß die Seite der Bedingun-
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Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
lich geht die transſcendentale Idee, der abſoluten Totali-
taͤt der Reihe der Bedingungen zu einem gegebenen Be-
dingten, nur auf alle vergangene Zeit. Es wird nach
der Idee der Vernunft die ganze verlaufene Zeit als Be-
dingung des gegebenen Augenblicks nothwendig als gege-
ben gedacht. Was aber den Raum betrift, ſo iſt in ihm
an ſich ſelbſt kein Unterſchied des Progreſſus vom Regreſ-
ſus, weil er ein Aggregat, aber keine Reihe ausmacht,
indem ſeine Theile insgeſamt zugleich ſeyn. Den gegen-
waͤrtigen Zeitpunct konte ich in Anſehung der vergangenen
Zeit nur als bedingt, niemals aber als Bedingung derſel-
ben, anſehen, weil dieſer Augenblick nur durch die ver-
floſſene Zeit (oder vielmehr durch das Verflieſſen der vor-
hergehenden Zeit) allererſt entſpringt. Aber da die Theile
des Raumes einander nicht untergeordnet, ſondern bey-
geordnet ſind, ſo iſt ein Theil nicht die Bedingung der
Moͤglichkeit des andern, und er macht nicht, ſo wie die
Zeit, an ſich ſelbſt eine Reihe aus. Allein die Syn-
theſis der mannigfaltigen Theile des Raumes, wodurch
wir ihn apprehendiren, iſt doch ſucceſſiv, geſchieht alſo
in der Zeit und enthaͤlt eine Reihe. Und da in dieſer
Reihe der aggregirten Raͤume (z. B. der Fuͤſſe in einer
Ruthe) von einem gegebenen an, die weiter hinzugedach-
te immer die Bedingung von der Graͤnze der vorigen
ſeyn, ſo iſt das Meſſen eines Raumes auch als eine Syn-
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/442>, abgerufen am 22.11.2024.
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