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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

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Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch.
ihm zu zeigen: daß er niemals mehr von der Natur mei-
nes Subiects wissen könne, um meinen Erwartungen die
Möglichkeit abzusprechen, als ich, um mich an ihnen zu
halten.

Auf diesen transscendentalen Schein unserer psycho-
logischen Begriffe gründen sich denn noch drey dialectische
Fragen, welche das eigentliche Ziel der rationalen Psycholo-
gie ausmachen, und nirgend anders, als durch obige
Untersuchungen entschieden werden können: nemlich 1) von
der Möglichkeit der Gemeinschaft der Seele mit einem or-
ganischen Cörper, d. i. der Animalität und dem Zustande
der Seele im Leben des Menschen, 2) vom Anfange die-
ser Gemeinschaft, d. i. der Seele in und vor der Geburth
des Menschen, 3) dem Ende dieser Gemeinschaft, d. i.
der Seele im und nach dem Tode des Menschen (Frage
wegen der Unsterblichkeit).

Ich behaupte nun: daß alle Schwierigkeiten, die
man bey diesen Fragen vorzufinden glaubet, und mit de-
nen, als dogmatischen Einwürfen, man sich das Ansehen
einer tieferen Einsicht in die Natur der Dinge, als der
gemeine Verstand wol haben kan, zu geben sucht, auf
einem blossen Blendwerke beruhe, nach welchem man das,
was blos in Gedanken existirt, hypostasirt, und in eben
derselben Qualität, als einen wirklichen Gegenstand aus-
serhalb dem denkenden Subiecte annimt, nemlich Aus-
dehnung, die nichts als Erscheinung ist, vor eine, auch
ohne unsere Sinnlichkeit, subsistirende Eigenschaft äusse-

rer

Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch.
ihm zu zeigen: daß er niemals mehr von der Natur mei-
nes Subiects wiſſen koͤnne, um meinen Erwartungen die
Moͤglichkeit abzuſprechen, als ich, um mich an ihnen zu
halten.

Auf dieſen transſcendentalen Schein unſerer pſycho-
logiſchen Begriffe gruͤnden ſich denn noch drey dialectiſche
Fragen, welche das eigentliche Ziel der rationalen Pſycholo-
gie ausmachen, und nirgend anders, als durch obige
Unterſuchungen entſchieden werden koͤnnen: nemlich 1) von
der Moͤglichkeit der Gemeinſchaft der Seele mit einem or-
ganiſchen Coͤrper, d. i. der Animalitaͤt und dem Zuſtande
der Seele im Leben des Menſchen, 2) vom Anfange die-
ſer Gemeinſchaft, d. i. der Seele in und vor der Geburth
des Menſchen, 3) dem Ende dieſer Gemeinſchaft, d. i.
der Seele im und nach dem Tode des Menſchen (Frage
wegen der Unſterblichkeit).

Ich behaupte nun: daß alle Schwierigkeiten, die
man bey dieſen Fragen vorzufinden glaubet, und mit de-
nen, als dogmatiſchen Einwuͤrfen, man ſich das Anſehen
einer tieferen Einſicht in die Natur der Dinge, als der
gemeine Verſtand wol haben kan, zu geben ſucht, auf
einem bloſſen Blendwerke beruhe, nach welchem man das,
was blos in Gedanken exiſtirt, hypoſtaſirt, und in eben
derſelben Qualitaͤt, als einen wirklichen Gegenſtand auſ-
ſerhalb dem denkenden Subiecte annimt, nemlich Aus-
dehnung, die nichts als Erſcheinung iſt, vor eine, auch
ohne unſere Sinnlichkeit, ſubſiſtirende Eigenſchaft aͤuſſe-

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[384/0414] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. ihm zu zeigen: daß er niemals mehr von der Natur mei- nes Subiects wiſſen koͤnne, um meinen Erwartungen die Moͤglichkeit abzuſprechen, als ich, um mich an ihnen zu halten. Auf dieſen transſcendentalen Schein unſerer pſycho- logiſchen Begriffe gruͤnden ſich denn noch drey dialectiſche Fragen, welche das eigentliche Ziel der rationalen Pſycholo- gie ausmachen, und nirgend anders, als durch obige Unterſuchungen entſchieden werden koͤnnen: nemlich 1) von der Moͤglichkeit der Gemeinſchaft der Seele mit einem or- ganiſchen Coͤrper, d. i. der Animalitaͤt und dem Zuſtande der Seele im Leben des Menſchen, 2) vom Anfange die- ſer Gemeinſchaft, d. i. der Seele in und vor der Geburth des Menſchen, 3) dem Ende dieſer Gemeinſchaft, d. i. der Seele im und nach dem Tode des Menſchen (Frage wegen der Unſterblichkeit). Ich behaupte nun: daß alle Schwierigkeiten, die man bey dieſen Fragen vorzufinden glaubet, und mit de- nen, als dogmatiſchen Einwuͤrfen, man ſich das Anſehen einer tieferen Einſicht in die Natur der Dinge, als der gemeine Verſtand wol haben kan, zu geben ſucht, auf einem bloſſen Blendwerke beruhe, nach welchem man das, was blos in Gedanken exiſtirt, hypoſtaſirt, und in eben derſelben Qualitaͤt, als einen wirklichen Gegenſtand auſ- ſerhalb dem denkenden Subiecte annimt, nemlich Aus- dehnung, die nichts als Erſcheinung iſt, vor eine, auch ohne unſere Sinnlichkeit, ſubſiſtirende Eigenſchaft aͤuſſe- rer

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/414>, abgerufen am 18.05.2024.