Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft.
gegeben, d. i. durch Wahrnehmung vorgestellet wird, ist
in ihm auch wirklich; denn wäre es in ihm nicht wirklich, d. i.
unmittelbar durch empirische Anschauung gegeben, so könte
es auch nicht erdichtet werden, weil man das Reale der
Anschauungen gar nicht a priori erdenken kan.

Alle äussere Wahrnehmung also beweiset unmittel-
bar etwas wirkliches im Raume, oder ist vielmehr das
Wirkliche selbst und in so fern ist also der empirische Rea-
lismus ausser Zweifel, d. i. es correspondirt unseren äusse-
ren Anschauungen etwas Wirkliches im Raume. Freilich
ist der Raum selbst, mit allen seinen Erscheinungen, als
Vorstellungen, nur in mir, aber in diesem Raume ist doch
gleichwol das Reale, oder der Stoff aller Gegenstände
äusserer Anschauung, wirklich und unabhängig von aller
Erdichtung gegeben, und es ist auch unmöglich: daß in
diesem Raume irgend etwas ausser uns (im transscen-
dentalen Sinne) gegeben werden sollte, weil der Raum
selbst ausser unserer Sinnlichkeit nichts ist. Also kan der
strengste Idealist nicht verlangen, man solle beweisen:
daß unserer Wahrnehmung der Gegenstand ausser uns

(in
Vorstellung enthalten seyn, und im Raume ist gar nichts,
ausser, so fern es in ihm wirklich vorgestellet wird. Ein
Satz, der allerdings befremdlich klingen muß: daß eine
Sache nur in der Vorstellung von ihr existiren könne,
der aber hier das anstößige verliert, weil die Sachen,
mit denen wir es zu thun haben, nicht Dinge an sich,
sondern nur Erscheinungen, d. i. Vorstellungen sind.
A a 4

I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft.
gegeben, d. i. durch Wahrnehmung vorgeſtellet wird, iſt
in ihm auch wirklich; denn waͤre es in ihm nicht wirklich, d. i.
unmittelbar durch empiriſche Anſchauung gegeben, ſo koͤnte
es auch nicht erdichtet werden, weil man das Reale der
Anſchauungen gar nicht a priori erdenken kan.

Alle aͤuſſere Wahrnehmung alſo beweiſet unmittel-
bar etwas wirkliches im Raume, oder iſt vielmehr das
Wirkliche ſelbſt und in ſo fern iſt alſo der empiriſche Rea-
lismus auſſer Zweifel, d. i. es correſpondirt unſeren aͤuſſe-
ren Anſchauungen etwas Wirkliches im Raume. Freilich
iſt der Raum ſelbſt, mit allen ſeinen Erſcheinungen, als
Vorſtellungen, nur in mir, aber in dieſem Raume iſt doch
gleichwol das Reale, oder der Stoff aller Gegenſtaͤnde
aͤuſſerer Anſchauung, wirklich und unabhaͤngig von aller
Erdichtung gegeben, und es iſt auch unmoͤglich: daß in
dieſem Raume irgend etwas auſſer uns (im transſcen-
dentalen Sinne) gegeben werden ſollte, weil der Raum
ſelbſt auſſer unſerer Sinnlichkeit nichts iſt. Alſo kan der
ſtrengſte Idealiſt nicht verlangen, man ſolle beweiſen:
daß unſerer Wahrnehmung der Gegenſtand auſſer uns

(in
Vorſtellung enthalten ſeyn, und im Raume iſt gar nichts,
auſſer, ſo fern es in ihm wirklich vorgeſtellet wird. Ein
Satz, der allerdings befremdlich klingen muß: daß eine
Sache nur in der Vorſtellung von ihr exiſtiren koͤnne,
der aber hier das anſtoͤßige verliert, weil die Sachen,
mit denen wir es zu thun haben, nicht Dinge an ſich,
ſondern nur Erſcheinungen, d. i. Vorſtellungen ſind.
A a 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <p><pb facs="#f0405" n="375"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Haupt&#x017F;t. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft.</fw><lb/>
gegeben, d. i. durch Wahrnehmung vorge&#x017F;tellet wird, i&#x017F;t<lb/>
in ihm auch wirklich; denn wa&#x0364;re es in ihm nicht wirklich, d. i.<lb/>
unmittelbar durch empiri&#x017F;che An&#x017F;chauung gegeben, &#x017F;o ko&#x0364;nte<lb/>
es auch nicht erdichtet werden, weil man das Reale der<lb/>
An&#x017F;chauungen gar nicht <hi rendition="#aq">a priori</hi> erdenken kan.</p><lb/>
                      <p>Alle a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ere Wahrnehmung al&#x017F;o bewei&#x017F;et unmittel-<lb/>
bar etwas wirkliches im Raume, oder i&#x017F;t vielmehr das<lb/>
Wirkliche &#x017F;elb&#x017F;t und in &#x017F;o fern i&#x017F;t al&#x017F;o der empiri&#x017F;che Rea-<lb/>
lismus au&#x017F;&#x017F;er Zweifel, d. i. es corre&#x017F;pondirt un&#x017F;eren a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;e-<lb/>
ren An&#x017F;chauungen etwas Wirkliches im Raume. Freilich<lb/>
i&#x017F;t der Raum &#x017F;elb&#x017F;t, mit allen &#x017F;einen Er&#x017F;cheinungen, als<lb/>
Vor&#x017F;tellungen, nur in mir, aber in die&#x017F;em Raume i&#x017F;t doch<lb/>
gleichwol das Reale, oder der Stoff aller Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde<lb/>
a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erer An&#x017F;chauung, wirklich und unabha&#x0364;ngig von aller<lb/>
Erdichtung gegeben, und es i&#x017F;t auch unmo&#x0364;glich: daß in<lb/>
die&#x017F;em Raume irgend etwas au&#x017F;&#x017F;er uns (im trans&#x017F;cen-<lb/>
dentalen Sinne) gegeben werden &#x017F;ollte, weil der Raum<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t au&#x017F;&#x017F;er un&#x017F;erer Sinnlichkeit nichts i&#x017F;t. Al&#x017F;o kan der<lb/>
&#x017F;treng&#x017F;te Ideali&#x017F;t nicht verlangen, man &#x017F;olle bewei&#x017F;en:<lb/>
daß un&#x017F;erer Wahrnehmung der Gegen&#x017F;tand au&#x017F;&#x017F;er uns<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A a 4</fw><fw place="bottom" type="catch">(in</fw><lb/><note xml:id="seg2pn_7_2" prev="#seg2pn_7_1" place="foot" n="*)">Vor&#x017F;tellung enthalten &#x017F;eyn, und im Raume i&#x017F;t gar nichts,<lb/>
au&#x017F;&#x017F;er, &#x017F;o fern es in ihm wirklich vorge&#x017F;tellet wird. Ein<lb/>
Satz, der allerdings befremdlich klingen muß: daß eine<lb/>
Sache nur in der Vor&#x017F;tellung von ihr exi&#x017F;tiren ko&#x0364;nne,<lb/>
der aber hier das an&#x017F;to&#x0364;ßige verliert, weil die Sachen,<lb/>
mit denen wir es zu thun haben, nicht Dinge an &#x017F;ich,<lb/>
&#x017F;ondern nur Er&#x017F;cheinungen, d. i. Vor&#x017F;tellungen &#x017F;ind.</note><lb/></p>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[375/0405] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. gegeben, d. i. durch Wahrnehmung vorgeſtellet wird, iſt in ihm auch wirklich; denn waͤre es in ihm nicht wirklich, d. i. unmittelbar durch empiriſche Anſchauung gegeben, ſo koͤnte es auch nicht erdichtet werden, weil man das Reale der Anſchauungen gar nicht a priori erdenken kan. Alle aͤuſſere Wahrnehmung alſo beweiſet unmittel- bar etwas wirkliches im Raume, oder iſt vielmehr das Wirkliche ſelbſt und in ſo fern iſt alſo der empiriſche Rea- lismus auſſer Zweifel, d. i. es correſpondirt unſeren aͤuſſe- ren Anſchauungen etwas Wirkliches im Raume. Freilich iſt der Raum ſelbſt, mit allen ſeinen Erſcheinungen, als Vorſtellungen, nur in mir, aber in dieſem Raume iſt doch gleichwol das Reale, oder der Stoff aller Gegenſtaͤnde aͤuſſerer Anſchauung, wirklich und unabhaͤngig von aller Erdichtung gegeben, und es iſt auch unmoͤglich: daß in dieſem Raume irgend etwas auſſer uns (im transſcen- dentalen Sinne) gegeben werden ſollte, weil der Raum ſelbſt auſſer unſerer Sinnlichkeit nichts iſt. Alſo kan der ſtrengſte Idealiſt nicht verlangen, man ſolle beweiſen: daß unſerer Wahrnehmung der Gegenſtand auſſer uns (in *) *) Vorſtellung enthalten ſeyn, und im Raume iſt gar nichts, auſſer, ſo fern es in ihm wirklich vorgeſtellet wird. Ein Satz, der allerdings befremdlich klingen muß: daß eine Sache nur in der Vorſtellung von ihr exiſtiren koͤnne, der aber hier das anſtoͤßige verliert, weil die Sachen, mit denen wir es zu thun haben, nicht Dinge an ſich, ſondern nur Erſcheinungen, d. i. Vorſtellungen ſind. A a 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/405
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/405>, abgerufen am 18.05.2024.