Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite
I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft.

Nun sind alle äussere Erscheinungen von der Art:
daß ihr Daseyn nicht unmittelbar wahrgenommen, sondern
auf sie, als die Ursache gegebener Wahrnehmungen, allein
geschlossen werden kan:

Also ist das Daseyn aller Gegenstände äusserer Sin-
ne zweifelhaft. Diese Ungewißheit nenne ich die Idea-
lität äusserer Erscheinungen und die Lehre dieser Idealität
heißt der Idealism, in Vergleichung mit welchem die
Behauptung einer möglichen Gewißheit von Gegenständen
äusserer Sinne, der Dualism genent wird.

Critik des vierten Paralogisms
der
transscendentalen Psychologie.

Zuerst wollen wir die Prämissen der Prüfung unter-
werfen. Wir können mit Recht behaupten, daß nur
dasienige, was in uns selbst ist, unmittelbar wahrgenom-
men werden könne, und daß meine eigene Existenz allein
der Gegenstand einer blossen Wahrnehmung seyn könne.
Also ist das Daseyn eines wirklichen Gegenstandes ausser
mir (wenn dieses Wort in intellectueller Bedeutung ge-
nommen wird) niemals gerade zu in der Wahrnehmung
gegeben, sondern kan nur zu dieser, welche eine Modifica-
tion des inneren Sinnes ist, als äussere Ursache derselben
hinzu gedacht und mithin geschlossen werden. Daher
auch Cartesius mit Recht alle Wahrnehmung in der eng-
sten Bedeutung auf den Satz einschränkte: Ich (als ein

den-
I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft.

Nun ſind alle aͤuſſere Erſcheinungen von der Art:
daß ihr Daſeyn nicht unmittelbar wahrgenommen, ſondern
auf ſie, als die Urſache gegebener Wahrnehmungen, allein
geſchloſſen werden kan:

Alſo iſt das Daſeyn aller Gegenſtaͤnde aͤuſſerer Sin-
ne zweifelhaft. Dieſe Ungewißheit nenne ich die Idea-
litaͤt aͤuſſerer Erſcheinungen und die Lehre dieſer Idealitaͤt
heißt der Idealism, in Vergleichung mit welchem die
Behauptung einer moͤglichen Gewißheit von Gegenſtaͤnden
aͤuſſerer Sinne, der Dualism genent wird.

Critik des vierten Paralogisms
der
transſcendentalen Pſychologie.

Zuerſt wollen wir die Praͤmiſſen der Pruͤfung unter-
werfen. Wir koͤnnen mit Recht behaupten, daß nur
dasienige, was in uns ſelbſt iſt, unmittelbar wahrgenom-
men werden koͤnne, und daß meine eigene Exiſtenz allein
der Gegenſtand einer bloſſen Wahrnehmung ſeyn koͤnne.
Alſo iſt das Daſeyn eines wirklichen Gegenſtandes auſſer
mir (wenn dieſes Wort in intellectueller Bedeutung ge-
nommen wird) niemals gerade zu in der Wahrnehmung
gegeben, ſondern kan nur zu dieſer, welche eine Modifica-
tion des inneren Sinnes iſt, als aͤuſſere Urſache derſelben
hinzu gedacht und mithin geſchloſſen werden. Daher
auch Carteſius mit Recht alle Wahrnehmung in der eng-
ſten Bedeutung auf den Satz einſchraͤnkte: Ich (als ein

den-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <pb facs="#f0397" n="367"/>
                      <fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Haupt&#x017F;t. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft.</fw><lb/>
                      <p>Nun &#x017F;ind alle a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ere Er&#x017F;cheinungen von der Art:<lb/>
daß ihr Da&#x017F;eyn nicht unmittelbar wahrgenommen, &#x017F;ondern<lb/>
auf &#x017F;ie, als die Ur&#x017F;ache gegebener Wahrnehmungen, allein<lb/>
ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en werden kan:</p><lb/>
                      <p>Al&#x017F;o i&#x017F;t das Da&#x017F;eyn aller Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erer Sin-<lb/>
ne zweifelhaft. Die&#x017F;e Ungewißheit nenne ich die Idea-<lb/>
lita&#x0364;t a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erer Er&#x017F;cheinungen und die Lehre die&#x017F;er Idealita&#x0364;t<lb/>
heißt der Idealism, in Vergleichung mit welchem die<lb/>
Behauptung einer mo&#x0364;glichen Gewißheit von Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden<lb/>
a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erer Sinne, der Dualism genent wird.</p>
                    </div><lb/>
                    <div n="8">
                      <head> <hi rendition="#b">Critik des vierten Paralogisms</hi><lb/> <hi rendition="#g">der</hi><lb/> <hi rendition="#b">trans&#x017F;cendentalen P&#x017F;ychologie.</hi> </head><lb/>
                      <p>Zuer&#x017F;t wollen wir die Pra&#x0364;mi&#x017F;&#x017F;en der Pru&#x0364;fung unter-<lb/>
werfen. Wir ko&#x0364;nnen mit Recht behaupten, daß nur<lb/>
dasienige, was in uns &#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t, unmittelbar wahrgenom-<lb/>
men werden ko&#x0364;nne, und daß meine eigene Exi&#x017F;tenz allein<lb/>
der Gegen&#x017F;tand einer blo&#x017F;&#x017F;en Wahrnehmung &#x017F;eyn ko&#x0364;nne.<lb/>
Al&#x017F;o i&#x017F;t das Da&#x017F;eyn eines wirklichen Gegen&#x017F;tandes au&#x017F;&#x017F;er<lb/>
mir (wenn die&#x017F;es Wort in intellectueller Bedeutung ge-<lb/>
nommen wird) niemals gerade zu in der Wahrnehmung<lb/>
gegeben, &#x017F;ondern kan nur zu die&#x017F;er, welche eine Modifica-<lb/>
tion des inneren Sinnes i&#x017F;t, als a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ere Ur&#x017F;ache der&#x017F;elben<lb/>
hinzu gedacht und mithin ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en werden. Daher<lb/>
auch Carte&#x017F;ius mit Recht alle Wahrnehmung in der eng-<lb/>
&#x017F;ten Bedeutung auf den Satz ein&#x017F;chra&#x0364;nkte: Ich (als ein<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">den-</fw><lb/></p>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[367/0397] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. Nun ſind alle aͤuſſere Erſcheinungen von der Art: daß ihr Daſeyn nicht unmittelbar wahrgenommen, ſondern auf ſie, als die Urſache gegebener Wahrnehmungen, allein geſchloſſen werden kan: Alſo iſt das Daſeyn aller Gegenſtaͤnde aͤuſſerer Sin- ne zweifelhaft. Dieſe Ungewißheit nenne ich die Idea- litaͤt aͤuſſerer Erſcheinungen und die Lehre dieſer Idealitaͤt heißt der Idealism, in Vergleichung mit welchem die Behauptung einer moͤglichen Gewißheit von Gegenſtaͤnden aͤuſſerer Sinne, der Dualism genent wird. Critik des vierten Paralogisms der transſcendentalen Pſychologie. Zuerſt wollen wir die Praͤmiſſen der Pruͤfung unter- werfen. Wir koͤnnen mit Recht behaupten, daß nur dasienige, was in uns ſelbſt iſt, unmittelbar wahrgenom- men werden koͤnne, und daß meine eigene Exiſtenz allein der Gegenſtand einer bloſſen Wahrnehmung ſeyn koͤnne. Alſo iſt das Daſeyn eines wirklichen Gegenſtandes auſſer mir (wenn dieſes Wort in intellectueller Bedeutung ge- nommen wird) niemals gerade zu in der Wahrnehmung gegeben, ſondern kan nur zu dieſer, welche eine Modifica- tion des inneren Sinnes iſt, als aͤuſſere Urſache derſelben hinzu gedacht und mithin geſchloſſen werden. Daher auch Carteſius mit Recht alle Wahrnehmung in der eng- ſten Bedeutung auf den Satz einſchraͤnkte: Ich (als ein den-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/397
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/397>, abgerufen am 22.11.2024.