äusserer Erscheinungen nicht beygelegt werden können. Allein die Prädicate des innern Sinnes, Vorstellungen und Denken, widersprechen ihm nicht. Demnach ist selbst durch die eingeräumte Einfachheit der Natur die menschliche Seele von der Materie, wenn man sie (wie man soll) blos als Erscheinung betrachtet, in Ansehung des Substrati derselben gar nicht hinreichend unterschieden.
Wäre Materie ein Ding an sich selbst, so würde sie als ein zusammengeseztes Wesen von der Seele, als einem einfachen, sich ganz und gar unterscheiden. Nun ist sie aber blos äussere Erscheinung, deren Substratum durch gar keine anzugebende Prädicate erkant wird; mithin kan ich von diesem wol annehmen, daß es an sich einfach sey, ob es zwar in der Art, wie es unsere Sinne afficirt, in uns die Anschauung des Ausgedehnten und mithin Zusam- mengesezten hervorbringt, und daß also der Substanz, der in Ansehung unseres äusseren Sinnes Ausdehnung zukomt, an sich selbst Gedanken beywohnen, die durch ihren eige- nen inneren Sinn mit Bewustseyn vorgestellt werden kön- nen. Auf solche Weise würde eben dasselbe, was in einer Beziehung körperlich heißt, in einer andern zugleich ein den- kend Wesen seyn, dessen Gedanken wir zwar nicht, aber doch die Zeichen derselben in der Erscheinung, anschauen können. Dadurch würde der Ausdruck wegfallen, daß nur Seelen (als besondere Arten von Substanzen) denken; es würde vielmehr wie gewöhnlich heissen, daß Menschen
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I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft.
aͤuſſerer Erſcheinungen nicht beygelegt werden koͤnnen. Allein die Praͤdicate des innern Sinnes, Vorſtellungen und Denken, widerſprechen ihm nicht. Demnach iſt ſelbſt durch die eingeraͤumte Einfachheit der Natur die menſchliche Seele von der Materie, wenn man ſie (wie man ſoll) blos als Erſcheinung betrachtet, in Anſehung des Subſtrati derſelben gar nicht hinreichend unterſchieden.
Waͤre Materie ein Ding an ſich ſelbſt, ſo wuͤrde ſie als ein zuſammengeſeztes Weſen von der Seele, als einem einfachen, ſich ganz und gar unterſcheiden. Nun iſt ſie aber blos aͤuſſere Erſcheinung, deren Subſtratum durch gar keine anzugebende Praͤdicate erkant wird; mithin kan ich von dieſem wol annehmen, daß es an ſich einfach ſey, ob es zwar in der Art, wie es unſere Sinne afficirt, in uns die Anſchauung des Ausgedehnten und mithin Zuſam- mengeſezten hervorbringt, und daß alſo der Subſtanz, der in Anſehung unſeres aͤuſſeren Sinnes Ausdehnung zukomt, an ſich ſelbſt Gedanken beywohnen, die durch ihren eige- nen inneren Sinn mit Bewuſtſeyn vorgeſtellt werden koͤn- nen. Auf ſolche Weiſe wuͤrde eben daſſelbe, was in einer Beziehung koͤrperlich heißt, in einer andern zugleich ein den- kend Weſen ſeyn, deſſen Gedanken wir zwar nicht, aber doch die Zeichen derſelben in der Erſcheinung, anſchauen koͤnnen. Dadurch wuͤrde der Ausdruck wegfallen, daß nur Seelen (als beſondere Arten von Subſtanzen) denken; es wuͤrde vielmehr wie gewoͤhnlich heiſſen, daß Menſchen
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I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft.
aͤuſſerer Erſcheinungen nicht beygelegt werden koͤnnen.
Allein die Praͤdicate des innern Sinnes, Vorſtellungen
und Denken, widerſprechen ihm nicht. Demnach iſt ſelbſt
durch die eingeraͤumte Einfachheit der Natur die menſchliche
Seele von der Materie, wenn man ſie (wie man ſoll)
blos als Erſcheinung betrachtet, in Anſehung des Subſtrati
derſelben gar nicht hinreichend unterſchieden.
Waͤre Materie ein Ding an ſich ſelbſt, ſo wuͤrde ſie
als ein zuſammengeſeztes Weſen von der Seele, als einem
einfachen, ſich ganz und gar unterſcheiden. Nun iſt ſie
aber blos aͤuſſere Erſcheinung, deren Subſtratum durch
gar keine anzugebende Praͤdicate erkant wird; mithin kan
ich von dieſem wol annehmen, daß es an ſich einfach ſey,
ob es zwar in der Art, wie es unſere Sinne afficirt, in
uns die Anſchauung des Ausgedehnten und mithin Zuſam-
mengeſezten hervorbringt, und daß alſo der Subſtanz, der
in Anſehung unſeres aͤuſſeren Sinnes Ausdehnung zukomt,
an ſich ſelbſt Gedanken beywohnen, die durch ihren eige-
nen inneren Sinn mit Bewuſtſeyn vorgeſtellt werden koͤn-
nen. Auf ſolche Weiſe wuͤrde eben daſſelbe, was in einer
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kend Weſen ſeyn, deſſen Gedanken wir zwar nicht, aber
doch die Zeichen derſelben in der Erſcheinung, anſchauen
koͤnnen. Dadurch wuͤrde der Ausdruck wegfallen, daß
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/389>, abgerufen am 22.11.2024.
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