Aus diesen Elementen entspringen alle Begriffe der reinen Seelenlehre, lediglich durch die Zusammensetzung, ohne im mindesten ein anderes Principium zu erkennen. Diese Substanz, blos als Gegenstand des inneren Sinnes, giebt den Begriff der Immaterialität, als einfache Sub- stanz, der Incorruptibilität, die Identität derselben, als intellectueller Substanz, giebt die Personalität, alle diese drey Stücke zusammen die Spiritualität, das Verhält- niß zu den Gegenständen im Raume giebt das Commer- cium mit Cörpern, mithin stellet sie die denkende Sub- stanz, als das Principium des Lebens in der Materie, d. i. sie als Seele (anima) und als den Grund der Anima- lität vor, diese durch die Spiritualität eingeschränkt, Im- mortalität.
Hierauf beziehen sich nun vier Paralogismen einer transscendentalen Seelenlehre, welche fälschlich vor eine Wissenschaft der reinen Vernunft, von der Natur unse- res denkenden Wesens, gehalten wird. Zum Grunde der- selben können wird aber nichts anderes legen, als die ein- fache und vor sich selbst an Inhalt gänzlich leere Vorstel-
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fertigt finden. Uebrigens habe ich wegen der lateinischen Ausdrücke, die statt der gleichbedeutenden deutschen, wi- der den Geschmack der guten Schreibart, eingeflossen sind, sowol bey diesem Abschnitte, als auch in Ansehung des ganzen Werks, zur Entschuldigung anzuführen: daß ich lieber etwas der Zierlichkeit der Sprache habe entzie- hen, als den Schulgebrauch durch die mindeste Unver- ständlichkeit erschweren wollen.
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I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft.
Aus dieſen Elementen entſpringen alle Begriffe der reinen Seelenlehre, lediglich durch die Zuſammenſetzung, ohne im mindeſten ein anderes Principium zu erkennen. Dieſe Subſtanz, blos als Gegenſtand des inneren Sinnes, giebt den Begriff der Immaterialitaͤt, als einfache Sub- ſtanz, der Incorruptibilitaͤt, die Identitaͤt derſelben, als intellectueller Subſtanz, giebt die Perſonalitaͤt, alle dieſe drey Stuͤcke zuſammen die Spiritualitaͤt, das Verhaͤlt- niß zu den Gegenſtaͤnden im Raume giebt das Commer- cium mit Coͤrpern, mithin ſtellet ſie die denkende Sub- ſtanz, als das Principium des Lebens in der Materie, d. i. ſie als Seele (anima) und als den Grund der Anima- litaͤt vor, dieſe durch die Spiritualitaͤt eingeſchraͤnkt, Im- mortalitaͤt.
Hierauf beziehen ſich nun vier Paralogismen einer transſcendentalen Seelenlehre, welche faͤlſchlich vor eine Wiſſenſchaft der reinen Vernunft, von der Natur unſe- res denkenden Weſens, gehalten wird. Zum Grunde der- ſelben koͤnnen wird aber nichts anderes legen, als die ein- fache und vor ſich ſelbſt an Inhalt gaͤnzlich leere Vorſtel-
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fertigt finden. Uebrigens habe ich wegen der lateiniſchen Ausdruͤcke, die ſtatt der gleichbedeutenden deutſchen, wi- der den Geſchmack der guten Schreibart, eingefloſſen ſind, ſowol bey dieſem Abſchnitte, als auch in Anſehung des ganzen Werks, zur Entſchuldigung anzufuͤhren: daß ich lieber etwas der Zierlichkeit der Sprache habe entzie- hen, als den Schulgebrauch durch die mindeſte Unver- ſtaͤndlichkeit erſchweren wollen.
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I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft.
Aus dieſen Elementen entſpringen alle Begriffe der
reinen Seelenlehre, lediglich durch die Zuſammenſetzung,
ohne im mindeſten ein anderes Principium zu erkennen.
Dieſe Subſtanz, blos als Gegenſtand des inneren Sinnes,
giebt den Begriff der Immaterialitaͤt, als einfache Sub-
ſtanz, der Incorruptibilitaͤt, die Identitaͤt derſelben, als
intellectueller Subſtanz, giebt die Perſonalitaͤt, alle dieſe
drey Stuͤcke zuſammen die Spiritualitaͤt, das Verhaͤlt-
niß zu den Gegenſtaͤnden im Raume giebt das Commer-
cium mit Coͤrpern, mithin ſtellet ſie die denkende Sub-
ſtanz, als das Principium des Lebens in der Materie, d. i.
ſie als Seele (anima) und als den Grund der Anima-
litaͤt vor, dieſe durch die Spiritualitaͤt eingeſchraͤnkt, Im-
mortalitaͤt.
Hierauf beziehen ſich nun vier Paralogismen einer
transſcendentalen Seelenlehre, welche faͤlſchlich vor eine
Wiſſenſchaft der reinen Vernunft, von der Natur unſe-
res denkenden Weſens, gehalten wird. Zum Grunde der-
ſelben koͤnnen wird aber nichts anderes legen, als die ein-
fache und vor ſich ſelbſt an Inhalt gaͤnzlich leere Vorſtel-
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*) fertigt finden. Uebrigens habe ich wegen der lateiniſchen
Ausdruͤcke, die ſtatt der gleichbedeutenden deutſchen, wi-
der den Geſchmack der guten Schreibart, eingefloſſen
ſind, ſowol bey dieſem Abſchnitte, als auch in Anſehung
des ganzen Werks, zur Entſchuldigung anzufuͤhren: daß
ich lieber etwas der Zierlichkeit der Sprache habe entzie-
hen, als den Schulgebrauch durch die mindeſte Unver-
ſtaͤndlichkeit erſchweren wollen.
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/375>, abgerufen am 22.11.2024.
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