daß sie nur nach Ideen möglich seyn, daß zwar kein ein- zelnes Geschöpf, unter den einzelnen Bedingungen seines Daseyns, mit der Idee des Vollkommensten seiner Art congruire, (so wenig wie der Mensch mit der Idee der Menschheit, die er so gar selbst als das Urbild seiner Handlungen in seiner Seele trägt,) daß gleichwol iene Ideen im höchsten Verstande einzeln, unveränderlich, durchgängig bestimt und die ursprüngliche Ursachen der Dinge sind, und nur das Ganze ihrer Verbindung im Weltall einzig und allein iener Idee völlig adäquat sey. Wenn man das Uebertriebene des Ausdrucks absondert, so ist der Geistesschwung des Philosophen, von der copeylichen Betrachtung des Physischen der Weltordnung zu der archi- tectonischen Verknüpfung derselben nach Zwecken, d. i. nach Ideen, hinaufzusteigen, eine Bemühung, die Achtung und Nachfolge verdient, in Ansehung desienigen aber, was die Principien der Sittlichkeit, der Gesetzgebung und der Religion betrift, wo die Ideen die Erfahrung selbst (des Guten) allererst möglich machen, obzwar niemals darin völlig ausgedrückt werden können, ein ganz eigenthümli- ches Verdienst, welches man nur darum nicht erkent, weil man es durch eben die empirische Regeln beurtheilt, deren Gültigkeit, als Principien, eben durch sie hat aufgehoben werden sollen. Denn in Betracht der Natur giebt uns Erfahrung die Regel an die Hand und ist der Quell der Wahrheit; in Ansehung der sittlichen Gesetze aber ist Er- fahrung (leider!) die Mutter des Scheins, und es ist
höchst
Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch.
daß ſie nur nach Ideen moͤglich ſeyn, daß zwar kein ein- zelnes Geſchoͤpf, unter den einzelnen Bedingungen ſeines Daſeyns, mit der Idee des Vollkommenſten ſeiner Art congruire, (ſo wenig wie der Menſch mit der Idee der Menſchheit, die er ſo gar ſelbſt als das Urbild ſeiner Handlungen in ſeiner Seele traͤgt,) daß gleichwol iene Ideen im hoͤchſten Verſtande einzeln, unveraͤnderlich, durchgaͤngig beſtimt und die urſpruͤngliche Urſachen der Dinge ſind, und nur das Ganze ihrer Verbindung im Weltall einzig und allein iener Idee voͤllig adaͤquat ſey. Wenn man das Uebertriebene des Ausdrucks abſondert, ſo iſt der Geiſtesſchwung des Philoſophen, von der copeylichen Betrachtung des Phyſiſchen der Weltordnung zu der archi- tectoniſchen Verknuͤpfung derſelben nach Zwecken, d. i. nach Ideen, hinaufzuſteigen, eine Bemuͤhung, die Achtung und Nachfolge verdient, in Anſehung desienigen aber, was die Principien der Sittlichkeit, der Geſetzgebung und der Religion betrift, wo die Ideen die Erfahrung ſelbſt (des Guten) allererſt moͤglich machen, obzwar niemals darin voͤllig ausgedruͤckt werden koͤnnen, ein ganz eigenthuͤmli- ches Verdienſt, welches man nur darum nicht erkent, weil man es durch eben die empiriſche Regeln beurtheilt, deren Guͤltigkeit, als Principien, eben durch ſie hat aufgehoben werden ſollen. Denn in Betracht der Natur giebt uns Erfahrung die Regel an die Hand und iſt der Quell der Wahrheit; in Anſehung der ſittlichen Geſetze aber iſt Er- fahrung (leider!) die Mutter des Scheins, und es iſt
hoͤchſt
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Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch.
daß ſie nur nach Ideen moͤglich ſeyn, daß zwar kein ein-
zelnes Geſchoͤpf, unter den einzelnen Bedingungen ſeines
Daſeyns, mit der Idee des Vollkommenſten ſeiner Art
congruire, (ſo wenig wie der Menſch mit der Idee der
Menſchheit, die er ſo gar ſelbſt als das Urbild ſeiner
Handlungen in ſeiner Seele traͤgt,) daß gleichwol iene
Ideen im hoͤchſten Verſtande einzeln, unveraͤnderlich,
durchgaͤngig beſtimt und die urſpruͤngliche Urſachen der
Dinge ſind, und nur das Ganze ihrer Verbindung im
Weltall einzig und allein iener Idee voͤllig adaͤquat ſey.
Wenn man das Uebertriebene des Ausdrucks abſondert, ſo
iſt der Geiſtesſchwung des Philoſophen, von der copeylichen
Betrachtung des Phyſiſchen der Weltordnung zu der archi-
tectoniſchen Verknuͤpfung derſelben nach Zwecken, d. i. nach
Ideen, hinaufzuſteigen, eine Bemuͤhung, die Achtung und
Nachfolge verdient, in Anſehung desienigen aber, was
die Principien der Sittlichkeit, der Geſetzgebung und der
Religion betrift, wo die Ideen die Erfahrung ſelbſt (des
Guten) allererſt moͤglich machen, obzwar niemals darin
voͤllig ausgedruͤckt werden koͤnnen, ein ganz eigenthuͤmli-
ches Verdienſt, welches man nur darum nicht erkent, weil
man es durch eben die empiriſche Regeln beurtheilt, deren
Guͤltigkeit, als Principien, eben durch ſie hat aufgehoben
werden ſollen. Denn in Betracht der Natur giebt uns
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/348>, abgerufen am 22.11.2024.
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