Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe.
herbestimte Harmonie, und konte kein physischer Einfluß
seyn. Denn weil alles nur innerlich, d. i. mit seinen Vorstel-
lungen beschäftigt ist, so konte der Zustand der Vorstellungen
der einen mit dem der andern Substanz in ganz und gar keiner
wirksamen Verbindung stehen, sondern es mußte irgend
eine dritte, und in alle insgesamt einfliessende Ursache, ihre
Zustände einander correspondirend machen, zwar nicht eben
durch gelegentlichen, und in iedem einzelnen Falle beson-
ders angebrachten Beystand, (Systema assistentiae) son-
dern durch die Einheit der Idee einer vor alle gültigen Ur-
sache, in welcher sie insgesamt ihr Daseyn und Beharr-
lichkeit, mithin auch wechselseitige Correspondenz unter ein-
ander nach allgemeinen Gesetzen bekommen müssen.

Viertens: der berühmte Lehrbegriff desselben von
Zeit und Raum, darin er diese Formen der Sinnlichkeit
intellectuirte, war lediglich aus eben derselben Täuschung
der transscendentalen Reflexion entsprungen. Wenn ich
mir durch den blossen Verstand äussere Verhältnisse der
Dinge vorstellen will, so kan dieses nur vermittelst eines
Begriffs ihrer wechselseitigen Wirkung geschehen, und soll
ich einen Zustand eben desselben Dinges mit einem andern
Zustande verknüpfen, so kan dieses nur in der Ordnung
der Gründe und Folgen geschehen. So dachte sich also
Leibnitz den Raum als eine gewisse Ordnung in der Ge-
meinschaft der Substanzen, und die Zeit als die dynamische
Folge ihrer Zustände. Das Eigenthümliche aber, und von

Din-
S 2

Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe.
herbeſtimte Harmonie, und konte kein phyſiſcher Einfluß
ſeyn. Denn weil alles nur innerlich, d. i. mit ſeinen Vorſtel-
lungen beſchaͤftigt iſt, ſo konte der Zuſtand der Vorſtellungen
der einen mit dem der andern Subſtanz in ganz und gar keiner
wirkſamen Verbindung ſtehen, ſondern es mußte irgend
eine dritte, und in alle insgeſamt einflieſſende Urſache, ihre
Zuſtaͤnde einander correſpondirend machen, zwar nicht eben
durch gelegentlichen, und in iedem einzelnen Falle beſon-
ders angebrachten Beyſtand, (Syſtema aſſiſtentiæ) ſon-
dern durch die Einheit der Idee einer vor alle guͤltigen Ur-
ſache, in welcher ſie insgeſamt ihr Daſeyn und Beharr-
lichkeit, mithin auch wechſelſeitige Correſpondenz unter ein-
ander nach allgemeinen Geſetzen bekommen muͤſſen.

Viertens: der beruͤhmte Lehrbegriff deſſelben von
Zeit und Raum, darin er dieſe Formen der Sinnlichkeit
intellectuirte, war lediglich aus eben derſelben Taͤuſchung
der transſcendentalen Reflexion entſprungen. Wenn ich
mir durch den bloſſen Verſtand aͤuſſere Verhaͤltniſſe der
Dinge vorſtellen will, ſo kan dieſes nur vermittelſt eines
Begriffs ihrer wechſelſeitigen Wirkung geſchehen, und ſoll
ich einen Zuſtand eben deſſelben Dinges mit einem andern
Zuſtande verknuͤpfen, ſo kan dieſes nur in der Ordnung
der Gruͤnde und Folgen geſchehen. So dachte ſich alſo
Leibnitz den Raum als eine gewiſſe Ordnung in der Ge-
meinſchaft der Subſtanzen, und die Zeit als die dynamiſche
Folge ihrer Zuſtaͤnde. Das Eigenthuͤmliche aber, und von

Din-
S 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0305" n="275"/><fw place="top" type="header">Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe.</fw><lb/>
herbe&#x017F;timte Harmonie, und konte kein phy&#x017F;i&#x017F;cher Einfluß<lb/>
&#x017F;eyn. Denn weil alles nur innerlich, d. i. mit &#x017F;einen Vor&#x017F;tel-<lb/>
lungen be&#x017F;cha&#x0364;ftigt i&#x017F;t, &#x017F;o konte der Zu&#x017F;tand der Vor&#x017F;tellungen<lb/>
der einen mit dem der andern Sub&#x017F;tanz in ganz und gar keiner<lb/>
wirk&#x017F;amen Verbindung &#x017F;tehen, &#x017F;ondern es mußte irgend<lb/>
eine dritte, und in alle insge&#x017F;amt einflie&#x017F;&#x017F;ende Ur&#x017F;ache, ihre<lb/>
Zu&#x017F;ta&#x0364;nde einander corre&#x017F;pondirend machen, zwar nicht eben<lb/>
durch gelegentlichen, und in iedem einzelnen Falle be&#x017F;on-<lb/>
ders angebrachten Bey&#x017F;tand, (<hi rendition="#aq">Sy&#x017F;tema a&#x017F;&#x017F;i&#x017F;tentiæ</hi>) &#x017F;on-<lb/>
dern durch die Einheit der Idee einer vor alle gu&#x0364;ltigen Ur-<lb/>
&#x017F;ache, in welcher &#x017F;ie insge&#x017F;amt ihr Da&#x017F;eyn und Beharr-<lb/>
lichkeit, mithin auch wech&#x017F;el&#x017F;eitige Corre&#x017F;pondenz unter ein-<lb/>
ander nach allgemeinen Ge&#x017F;etzen bekommen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
                <p>Viertens: der beru&#x0364;hmte Lehrbegriff de&#x017F;&#x017F;elben von<lb/>
Zeit und Raum, darin er die&#x017F;e Formen der Sinnlichkeit<lb/>
intellectuirte, war lediglich aus eben der&#x017F;elben Ta&#x0364;u&#x017F;chung<lb/>
der trans&#x017F;cendentalen Reflexion ent&#x017F;prungen. Wenn ich<lb/>
mir durch den blo&#x017F;&#x017F;en Ver&#x017F;tand a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ere Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e der<lb/>
Dinge vor&#x017F;tellen will, &#x017F;o kan die&#x017F;es nur vermittel&#x017F;t eines<lb/>
Begriffs ihrer wech&#x017F;el&#x017F;eitigen Wirkung ge&#x017F;chehen, und &#x017F;oll<lb/>
ich einen Zu&#x017F;tand eben de&#x017F;&#x017F;elben Dinges mit einem andern<lb/>
Zu&#x017F;tande verknu&#x0364;pfen, &#x017F;o kan die&#x017F;es nur in der Ordnung<lb/>
der Gru&#x0364;nde und Folgen ge&#x017F;chehen. So dachte &#x017F;ich al&#x017F;o<lb/>
Leibnitz den Raum als eine gewi&#x017F;&#x017F;e Ordnung in der Ge-<lb/>
mein&#x017F;chaft der Sub&#x017F;tanzen, und die Zeit als die dynami&#x017F;che<lb/>
Folge ihrer Zu&#x017F;ta&#x0364;nde. Das Eigenthu&#x0364;mliche aber, und von<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">S 2</fw><fw place="bottom" type="catch">Din-</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[275/0305] Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. herbeſtimte Harmonie, und konte kein phyſiſcher Einfluß ſeyn. Denn weil alles nur innerlich, d. i. mit ſeinen Vorſtel- lungen beſchaͤftigt iſt, ſo konte der Zuſtand der Vorſtellungen der einen mit dem der andern Subſtanz in ganz und gar keiner wirkſamen Verbindung ſtehen, ſondern es mußte irgend eine dritte, und in alle insgeſamt einflieſſende Urſache, ihre Zuſtaͤnde einander correſpondirend machen, zwar nicht eben durch gelegentlichen, und in iedem einzelnen Falle beſon- ders angebrachten Beyſtand, (Syſtema aſſiſtentiæ) ſon- dern durch die Einheit der Idee einer vor alle guͤltigen Ur- ſache, in welcher ſie insgeſamt ihr Daſeyn und Beharr- lichkeit, mithin auch wechſelſeitige Correſpondenz unter ein- ander nach allgemeinen Geſetzen bekommen muͤſſen. Viertens: der beruͤhmte Lehrbegriff deſſelben von Zeit und Raum, darin er dieſe Formen der Sinnlichkeit intellectuirte, war lediglich aus eben derſelben Taͤuſchung der transſcendentalen Reflexion entſprungen. Wenn ich mir durch den bloſſen Verſtand aͤuſſere Verhaͤltniſſe der Dinge vorſtellen will, ſo kan dieſes nur vermittelſt eines Begriffs ihrer wechſelſeitigen Wirkung geſchehen, und ſoll ich einen Zuſtand eben deſſelben Dinges mit einem andern Zuſtande verknuͤpfen, ſo kan dieſes nur in der Ordnung der Gruͤnde und Folgen geſchehen. So dachte ſich alſo Leibnitz den Raum als eine gewiſſe Ordnung in der Ge- meinſchaft der Subſtanzen, und die Zeit als die dynamiſche Folge ihrer Zuſtaͤnde. Das Eigenthuͤmliche aber, und von Din- S 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/305
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/305>, abgerufen am 10.05.2024.