Gemüth erzeugt werden, so würden sie doch gar nichts be- deuten, könten wir nicht immer an Erscheinungen (em- pirischen Gegenständen) ihre Bedeutung darlegen. Da- her erfordert man auch, einen abgesonderten Begriff sinnlich zu machen, d. i. das ihm correspondirende Ob- iect in der Anschauung darzulegen, weil, ohne dieses, der Begriff, (wie man sagt) ohne Sinn, d. i. ohne Bedeu- tung bleiben würde. Die Mathematik erfüllt diese For- derung durch die Construction der Gestalt, welche eine den Sinnen gegenwärtige (obzwar a priori zu Stande gebrach- te) Erscheinung ist. Der Begriff der Grösse sucht in eben der Wissenschaft seine Haltung und Sinn in der Zahl, die- se aber an den Fingern, den Corallen des Rechenbrets, oder den Strichen und Puncten, die vor Augen gestellt werden. Der Begriff bleibt immer a priori erzeugt, samt den syn- thetischen Grundsätzen oder Formeln aus solchen Begriffen; aber der Gebrauch derselben, und Beziehung auf angeb- liche Gegenstände kan am Ende doch nirgend, als in der Erfahrung gesucht werden, deren Möglichkeit (der Form nach) iene a priori enthalten.
Daß dieses aber auch der Fall mit allen Categorien, und den daraus gesponnenen Grundsätzen sey, erhellet auch daraus: daß wir so gar keine einzige derselben defi- niren können, ohne uns so fort zu Bedingungen der Sinn- lichkeit, mithin der Form der Erscheinungen, herabzulas- sen, als auf welche, als ihre einzige Gegenstände, sie folg-
lich
Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch.
Gemuͤth erzeugt werden, ſo wuͤrden ſie doch gar nichts be- deuten, koͤnten wir nicht immer an Erſcheinungen (em- piriſchen Gegenſtaͤnden) ihre Bedeutung darlegen. Da- her erfordert man auch, einen abgeſonderten Begriff ſinnlich zu machen, d. i. das ihm correſpondirende Ob- iect in der Anſchauung darzulegen, weil, ohne dieſes, der Begriff, (wie man ſagt) ohne Sinn, d. i. ohne Bedeu- tung bleiben wuͤrde. Die Mathematik erfuͤllt dieſe For- derung durch die Conſtruction der Geſtalt, welche eine den Sinnen gegenwaͤrtige (obzwar a priori zu Stande gebrach- te) Erſcheinung iſt. Der Begriff der Groͤſſe ſucht in eben der Wiſſenſchaft ſeine Haltung und Sinn in der Zahl, die- ſe aber an den Fingern, den Corallen des Rechenbrets, oder den Strichen und Puncten, die vor Augen geſtellt werden. Der Begriff bleibt immer a priori erzeugt, ſamt den ſyn- thetiſchen Grundſaͤtzen oder Formeln aus ſolchen Begriffen; aber der Gebrauch derſelben, und Beziehung auf angeb- liche Gegenſtaͤnde kan am Ende doch nirgend, als in der Erfahrung geſucht werden, deren Moͤglichkeit (der Form nach) iene a priori enthalten.
Daß dieſes aber auch der Fall mit allen Categorien, und den daraus geſponnenen Grundſaͤtzen ſey, erhellet auch daraus: daß wir ſo gar keine einzige derſelben defi- niren koͤnnen, ohne uns ſo fort zu Bedingungen der Sinn- lichkeit, mithin der Form der Erſcheinungen, herabzulaſ- ſen, als auf welche, als ihre einzige Gegenſtaͤnde, ſie folg-
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Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch.
Gemuͤth erzeugt werden, ſo wuͤrden ſie doch gar nichts be-
deuten, koͤnten wir nicht immer an Erſcheinungen (em-
piriſchen Gegenſtaͤnden) ihre Bedeutung darlegen. Da-
her erfordert man auch, einen abgeſonderten Begriff
ſinnlich zu machen, d. i. das ihm correſpondirende Ob-
iect in der Anſchauung darzulegen, weil, ohne dieſes, der
Begriff, (wie man ſagt) ohne Sinn, d. i. ohne Bedeu-
tung bleiben wuͤrde. Die Mathematik erfuͤllt dieſe For-
derung durch die Conſtruction der Geſtalt, welche eine den
Sinnen gegenwaͤrtige (obzwar a priori zu Stande gebrach-
te) Erſcheinung iſt. Der Begriff der Groͤſſe ſucht in eben
der Wiſſenſchaft ſeine Haltung und Sinn in der Zahl, die-
ſe aber an den Fingern, den Corallen des Rechenbrets, oder
den Strichen und Puncten, die vor Augen geſtellt werden.
Der Begriff bleibt immer a priori erzeugt, ſamt den ſyn-
thetiſchen Grundſaͤtzen oder Formeln aus ſolchen Begriffen;
aber der Gebrauch derſelben, und Beziehung auf angeb-
liche Gegenſtaͤnde kan am Ende doch nirgend, als in der
Erfahrung geſucht werden, deren Moͤglichkeit (der Form
nach) iene a priori enthalten.
Daß dieſes aber auch der Fall mit allen Categorien,
und den daraus geſponnenen Grundſaͤtzen ſey, erhellet
auch daraus: daß wir ſo gar keine einzige derſelben defi-
niren koͤnnen, ohne uns ſo fort zu Bedingungen der Sinn-
lichkeit, mithin der Form der Erſcheinungen, herabzulaſ-
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/270>, abgerufen am 21.11.2024.
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