Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

III. Absch. Systemat. Vorstellung aller etc.
größte Theil der wirkenden Ursache in der Ratur ist mit
ihren Wirkungen zugleich, und die Zeitfolge der lezteren
wird nur dadurch veranlaßt, daß die Ursache ihre ganze
Wirkung nicht in einem Augenblick verrichten kan. Aber
in dem Augenblicke, da sie zuerst entsteht, ist sie mit der Caus-
salität ihrer Ursache iederzeit zugleich, weil, wenn iene einen
Augenblick vorher aufgehöret hätte, zu seyn, diese gar
nicht entstanden wäre. Hier muß man wohl bemerken:
daß es auf die Ordnung der Zeit, und nicht den Ablauf
derselben angesehen sey: das Verhältniß bleibt, wenn
gleich keine Zeit verlaufen ist. Die Zeit zwischen der
Caussalität der Ursache, und deren unmittelbaren Wirkung
kan verschwindend, (sie also zugleich) seyn, aber das
Verhältniß der einen zur andern bleibt doch immer, der
Zeit nach, bestimbar. Wenn ich eine Kugel, die auf ei-
nem ausgestopften Küssen liegt, und ein Grübchen darin
drückt, als Ursache betrachte, so ist sie mit der Wirkung
zugleich. Allein ich unterscheide doch beide durch das Zeit-
verhältniß der dynamischen Verknüpfung beider. Denn
wenn ich die Kugel auf das Küssen lege; so folgt auf die
vorige glatte Gestalt desselben das Grübchen; hat aber
das Küssen (ich weiß nicht woher) ein Grübchen, so folgt
darauf nicht eine bleyerne Kugel.

Demnach ist die Zeitfolge allerdings das einzige em-
pirische Criterium der Wirkung, in Beziehung auf die
Caussalität der Ursache, die vorhergeht. Das Glas ist

die

III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc.
groͤßte Theil der wirkenden Urſache in der Ratur iſt mit
ihren Wirkungen zugleich, und die Zeitfolge der lezteren
wird nur dadurch veranlaßt, daß die Urſache ihre ganze
Wirkung nicht in einem Augenblick verrichten kan. Aber
in dem Augenblicke, da ſie zuerſt entſteht, iſt ſie mit der Cauſ-
ſalitaͤt ihrer Urſache iederzeit zugleich, weil, wenn iene einen
Augenblick vorher aufgehoͤret haͤtte, zu ſeyn, dieſe gar
nicht entſtanden waͤre. Hier muß man wohl bemerken:
daß es auf die Ordnung der Zeit, und nicht den Ablauf
derſelben angeſehen ſey: das Verhaͤltniß bleibt, wenn
gleich keine Zeit verlaufen iſt. Die Zeit zwiſchen der
Cauſſalitaͤt der Urſache, und deren unmittelbaren Wirkung
kan verſchwindend, (ſie alſo zugleich) ſeyn, aber das
Verhaͤltniß der einen zur andern bleibt doch immer, der
Zeit nach, beſtimbar. Wenn ich eine Kugel, die auf ei-
nem ausgeſtopften Kuͤſſen liegt, und ein Gruͤbchen darin
druͤckt, als Urſache betrachte, ſo iſt ſie mit der Wirkung
zugleich. Allein ich unterſcheide doch beide durch das Zeit-
verhaͤltniß der dynamiſchen Verknuͤpfung beider. Denn
wenn ich die Kugel auf das Kuͤſſen lege; ſo folgt auf die
vorige glatte Geſtalt deſſelben das Gruͤbchen; hat aber
das Kuͤſſen (ich weiß nicht woher) ein Gruͤbchen, ſo folgt
darauf nicht eine bleyerne Kugel.

Demnach iſt die Zeitfolge allerdings das einzige em-
piriſche Criterium der Wirkung, in Beziehung auf die
Cauſſalitaͤt der Urſache, die vorhergeht. Das Glas iſt

die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <div n="9">
                        <p><pb facs="#f0233" n="203"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> Ab&#x017F;ch. Sy&#x017F;temat. Vor&#x017F;tellung aller &#xA75B;c.</fw><lb/>
gro&#x0364;ßte Theil der wirkenden Ur&#x017F;ache in der Ratur i&#x017F;t mit<lb/>
ihren Wirkungen zugleich, und die Zeitfolge der lezteren<lb/>
wird nur dadurch veranlaßt, daß die Ur&#x017F;ache ihre ganze<lb/>
Wirkung nicht in einem Augenblick verrichten kan. Aber<lb/>
in dem Augenblicke, da &#x017F;ie zuer&#x017F;t ent&#x017F;teht, i&#x017F;t &#x017F;ie mit der Cau&#x017F;-<lb/>
&#x017F;alita&#x0364;t ihrer Ur&#x017F;ache iederzeit zugleich, weil, wenn iene einen<lb/>
Augenblick vorher aufgeho&#x0364;ret ha&#x0364;tte, zu &#x017F;eyn, die&#x017F;e gar<lb/>
nicht ent&#x017F;tanden wa&#x0364;re. Hier muß man wohl bemerken:<lb/>
daß es auf die Ordnung der Zeit, und nicht den Ablauf<lb/>
der&#x017F;elben ange&#x017F;ehen &#x017F;ey: das Verha&#x0364;ltniß bleibt, wenn<lb/>
gleich keine Zeit verlaufen i&#x017F;t. Die Zeit zwi&#x017F;chen der<lb/>
Cau&#x017F;&#x017F;alita&#x0364;t der Ur&#x017F;ache, und deren unmittelbaren Wirkung<lb/>
kan ver&#x017F;chwindend, (&#x017F;ie al&#x017F;o zugleich) &#x017F;eyn, aber das<lb/>
Verha&#x0364;ltniß der einen zur andern bleibt doch immer, der<lb/>
Zeit nach, be&#x017F;timbar. Wenn ich eine Kugel, die auf ei-<lb/>
nem ausge&#x017F;topften Ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;en liegt, und ein Gru&#x0364;bchen darin<lb/>
dru&#x0364;ckt, als Ur&#x017F;ache betrachte, &#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;ie mit der Wirkung<lb/>
zugleich. Allein ich unter&#x017F;cheide doch beide durch das Zeit-<lb/>
verha&#x0364;ltniß der dynami&#x017F;chen Verknu&#x0364;pfung beider. Denn<lb/>
wenn ich die Kugel auf das Ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;en lege; &#x017F;o folgt auf die<lb/>
vorige glatte Ge&#x017F;talt de&#x017F;&#x017F;elben das Gru&#x0364;bchen; hat aber<lb/>
das Ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;en (ich weiß nicht woher) ein Gru&#x0364;bchen, &#x017F;o folgt<lb/>
darauf nicht eine bleyerne Kugel.</p><lb/>
                        <p>Demnach i&#x017F;t die Zeitfolge allerdings das einzige em-<lb/>
piri&#x017F;che Criterium der Wirkung, in Beziehung auf die<lb/>
Cau&#x017F;&#x017F;alita&#x0364;t der Ur&#x017F;ache, die vorhergeht. Das Glas i&#x017F;t<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p>
                      </div>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[203/0233] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. groͤßte Theil der wirkenden Urſache in der Ratur iſt mit ihren Wirkungen zugleich, und die Zeitfolge der lezteren wird nur dadurch veranlaßt, daß die Urſache ihre ganze Wirkung nicht in einem Augenblick verrichten kan. Aber in dem Augenblicke, da ſie zuerſt entſteht, iſt ſie mit der Cauſ- ſalitaͤt ihrer Urſache iederzeit zugleich, weil, wenn iene einen Augenblick vorher aufgehoͤret haͤtte, zu ſeyn, dieſe gar nicht entſtanden waͤre. Hier muß man wohl bemerken: daß es auf die Ordnung der Zeit, und nicht den Ablauf derſelben angeſehen ſey: das Verhaͤltniß bleibt, wenn gleich keine Zeit verlaufen iſt. Die Zeit zwiſchen der Cauſſalitaͤt der Urſache, und deren unmittelbaren Wirkung kan verſchwindend, (ſie alſo zugleich) ſeyn, aber das Verhaͤltniß der einen zur andern bleibt doch immer, der Zeit nach, beſtimbar. Wenn ich eine Kugel, die auf ei- nem ausgeſtopften Kuͤſſen liegt, und ein Gruͤbchen darin druͤckt, als Urſache betrachte, ſo iſt ſie mit der Wirkung zugleich. Allein ich unterſcheide doch beide durch das Zeit- verhaͤltniß der dynamiſchen Verknuͤpfung beider. Denn wenn ich die Kugel auf das Kuͤſſen lege; ſo folgt auf die vorige glatte Geſtalt deſſelben das Gruͤbchen; hat aber das Kuͤſſen (ich weiß nicht woher) ein Gruͤbchen, ſo folgt darauf nicht eine bleyerne Kugel. Demnach iſt die Zeitfolge allerdings das einzige em- piriſche Criterium der Wirkung, in Beziehung auf die Cauſſalitaͤt der Urſache, die vorhergeht. Das Glas iſt die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/233
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/233>, abgerufen am 24.11.2024.