Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst.
sine qua non, aber nicht zum Bestimmungsgrunde der
Wahrheit unserer Erkentniß. Da wir es nun eigentlich
nur mit dem synthetischen Theile unserer Erkentniß zu
thun haben, so werden wir zwar iederzeit bedacht seyn,
diesem unverletzlichen Grundsatz niemals zu wider zu han-
deln, von ihm aber, in Ansehung der Wahrheit von der-
gleichen Art der Erkentniß, niemals einigen Aufschluß ge-
wärtigen können.

Es ist aber doch eine Formel dieses berühmten, ob-
zwar von allem Inhalt entblößten und blos formalen
Grundsatzes, die eine Synthesis enthält, welche aus Un-
vorsichtigkeit und ganz unnöthiger Weise in ihr gemischt
worden. Sie heißt: Es ist unmöglich, daß etwas zu-
gleich sey und nicht sey. Ausser dem, daß hier die apo-
dictische Gewißheit (durch das Wort unmöglich) über-
flüßiger Weise angehengt worden, die sich doch von selbst
aus dem Satz muß verstehen lassen, so ist der Satz durch
die Bedingung der Zeit afficirt, und sagt gleichsam: Ein
Ding = A, welches etwas = B ist, kan nicht zu
gleicher Zeit non B seyn, aber es kan gar wol beydes (B
so wol, als non B) nach einander seyn. z. B. Ein Mensch,
der iung ist, kan nicht zugleich alt seyn, eben derselbe kan
aber sehr wohl zu einer Zeit iung, zur andern nicht
iung, d. i. alt seyn. Nun muß der Satz des Wider-
spruchs, als ein blos logischer Grundsatz, seine Aussprü-
che gar nicht auf die Zeitverhältnisse einschränken, daher

ist

Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
ſine qua non, aber nicht zum Beſtimmungsgrunde der
Wahrheit unſerer Erkentniß. Da wir es nun eigentlich
nur mit dem ſynthetiſchen Theile unſerer Erkentniß zu
thun haben, ſo werden wir zwar iederzeit bedacht ſeyn,
dieſem unverletzlichen Grundſatz niemals zu wider zu han-
deln, von ihm aber, in Anſehung der Wahrheit von der-
gleichen Art der Erkentniß, niemals einigen Aufſchluß ge-
waͤrtigen koͤnnen.

Es iſt aber doch eine Formel dieſes beruͤhmten, ob-
zwar von allem Inhalt entbloͤßten und blos formalen
Grundſatzes, die eine Syntheſis enthaͤlt, welche aus Un-
vorſichtigkeit und ganz unnoͤthiger Weiſe in ihr gemiſcht
worden. Sie heißt: Es iſt unmoͤglich, daß etwas zu-
gleich ſey und nicht ſey. Auſſer dem, daß hier die apo-
dictiſche Gewißheit (durch das Wort unmoͤglich) uͤber-
fluͤßiger Weiſe angehengt worden, die ſich doch von ſelbſt
aus dem Satz muß verſtehen laſſen, ſo iſt der Satz durch
die Bedingung der Zeit afficirt, und ſagt gleichſam: Ein
Ding = A, welches etwas = B iſt, kan nicht zu
gleicher Zeit non B ſeyn, aber es kan gar wol beydes (B
ſo wol, als non B) nach einander ſeyn. z. B. Ein Menſch,
der iung iſt, kan nicht zugleich alt ſeyn, eben derſelbe kan
aber ſehr wohl zu einer Zeit iung, zur andern nicht
iung, d. i. alt ſeyn. Nun muß der Satz des Wider-
ſpruchs, als ein blos logiſcher Grundſatz, ſeine Ausſpruͤ-
che gar nicht auf die Zeitverhaͤltniſſe einſchraͤnken, daher

iſt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0182" n="152"/><fw place="top" type="header">Elementarl. <hi rendition="#aq">II.</hi> Th. <hi rendition="#aq">I.</hi> Abth. <hi rendition="#aq">II.</hi> Buch. <hi rendition="#aq">II.</hi> Haupt&#x017F;t.</fw><lb/><hi rendition="#aq">&#x017F;ine qua non,</hi> aber nicht zum Be&#x017F;timmungsgrunde der<lb/>
Wahrheit un&#x017F;erer Erkentniß. Da wir es nun eigentlich<lb/>
nur mit dem &#x017F;yntheti&#x017F;chen Theile un&#x017F;erer Erkentniß zu<lb/>
thun haben, &#x017F;o werden wir zwar iederzeit bedacht &#x017F;eyn,<lb/>
die&#x017F;em unverletzlichen Grund&#x017F;atz niemals zu wider zu han-<lb/>
deln, von ihm aber, in An&#x017F;ehung der Wahrheit von der-<lb/>
gleichen Art der Erkentniß, niemals einigen Auf&#x017F;chluß ge-<lb/>
wa&#x0364;rtigen ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
                  <p>Es i&#x017F;t aber doch eine Formel die&#x017F;es beru&#x0364;hmten, ob-<lb/>
zwar von allem Inhalt entblo&#x0364;ßten und blos formalen<lb/>
Grund&#x017F;atzes, die eine Synthe&#x017F;is entha&#x0364;lt, welche aus Un-<lb/>
vor&#x017F;ichtigkeit und ganz unno&#x0364;thiger Wei&#x017F;e in ihr gemi&#x017F;cht<lb/>
worden. Sie heißt: Es i&#x017F;t unmo&#x0364;glich, daß etwas zu-<lb/>
gleich &#x017F;ey und nicht &#x017F;ey. Au&#x017F;&#x017F;er dem, daß hier die apo-<lb/>
dicti&#x017F;che Gewißheit (durch das Wort unmo&#x0364;glich) u&#x0364;ber-<lb/>
flu&#x0364;ßiger Wei&#x017F;e angehengt worden, die &#x017F;ich doch von &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
aus dem Satz muß ver&#x017F;tehen la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o i&#x017F;t der Satz durch<lb/>
die Bedingung der Zeit afficirt, und &#x017F;agt gleich&#x017F;am: Ein<lb/>
Ding = <hi rendition="#aq">A</hi>, welches etwas = <hi rendition="#aq">B</hi> i&#x017F;t, kan nicht zu<lb/>
gleicher Zeit <hi rendition="#aq">non B</hi> &#x017F;eyn, aber es kan gar wol beydes (<hi rendition="#aq">B</hi><lb/>
&#x017F;o wol, als <hi rendition="#aq">non B</hi>) nach einander &#x017F;eyn. z. B. Ein Men&#x017F;ch,<lb/>
der iung i&#x017F;t, kan nicht zugleich alt &#x017F;eyn, eben der&#x017F;elbe kan<lb/>
aber &#x017F;ehr wohl zu einer Zeit iung, zur andern nicht<lb/>
iung, d. i. alt &#x017F;eyn. Nun muß der Satz des Wider-<lb/>
&#x017F;pruchs, als ein blos logi&#x017F;cher Grund&#x017F;atz, &#x017F;eine Aus&#x017F;pru&#x0364;-<lb/>
che gar nicht auf die Zeitverha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e ein&#x017F;chra&#x0364;nken, daher<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">i&#x017F;t</fw><lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[152/0182] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. ſine qua non, aber nicht zum Beſtimmungsgrunde der Wahrheit unſerer Erkentniß. Da wir es nun eigentlich nur mit dem ſynthetiſchen Theile unſerer Erkentniß zu thun haben, ſo werden wir zwar iederzeit bedacht ſeyn, dieſem unverletzlichen Grundſatz niemals zu wider zu han- deln, von ihm aber, in Anſehung der Wahrheit von der- gleichen Art der Erkentniß, niemals einigen Aufſchluß ge- waͤrtigen koͤnnen. Es iſt aber doch eine Formel dieſes beruͤhmten, ob- zwar von allem Inhalt entbloͤßten und blos formalen Grundſatzes, die eine Syntheſis enthaͤlt, welche aus Un- vorſichtigkeit und ganz unnoͤthiger Weiſe in ihr gemiſcht worden. Sie heißt: Es iſt unmoͤglich, daß etwas zu- gleich ſey und nicht ſey. Auſſer dem, daß hier die apo- dictiſche Gewißheit (durch das Wort unmoͤglich) uͤber- fluͤßiger Weiſe angehengt worden, die ſich doch von ſelbſt aus dem Satz muß verſtehen laſſen, ſo iſt der Satz durch die Bedingung der Zeit afficirt, und ſagt gleichſam: Ein Ding = A, welches etwas = B iſt, kan nicht zu gleicher Zeit non B ſeyn, aber es kan gar wol beydes (B ſo wol, als non B) nach einander ſeyn. z. B. Ein Menſch, der iung iſt, kan nicht zugleich alt ſeyn, eben derſelbe kan aber ſehr wohl zu einer Zeit iung, zur andern nicht iung, d. i. alt ſeyn. Nun muß der Satz des Wider- ſpruchs, als ein blos logiſcher Grundſatz, ſeine Ausſpruͤ- che gar nicht auf die Zeitverhaͤltniſſe einſchraͤnken, daher iſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/182
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/182>, abgerufen am 27.11.2024.