des Mannigfaltigen der Erscheinungen nach Regeln geben: denn Erscheinungen können, als solche, nicht ausser uns statt finden, sondern existiren nur in unsrer Sinnlichkeit. Diese aber, als Gegenstand der Erkentniß in einer Erfah- rung, mit allem, was sie enthalten mag, ist nur in der Einheit der Apperception möglich. Die Einheit der Ap- perception aber ist der transscendentale Grund der noth- wendigen Gesetzmäßigkeit aller Erscheinungen in einer Er- fahrung. Eben dieselbe Einheit der Apperception in An- sehung eines Mannigfaltigen von Vorstellungen (es nem- lich aus einer einzigen zu bestimmen) ist die Regel, und das Vermögen dieser Regeln der Verstand. Alle Erschei- nungen liegen also als mögliche Erfahrungen eben so a prio- ri im Verstande, und erhalten ihre formale Möglichkeit von ihm, wie sie als blosse Anschauungen in der Sinnlichkeit liegen, und durch dieselbe der Form nach, allein möglich sind.
So übertrieben, so widersinnisch es also auch lau- tet, zu sagen: der Verstand ist selbst der Quell der Ge- setze der Natur, und mithin der formalen Einheit der Na- tur, so richtig, und dem Gegenstande, nemlich der Er- fahrung angemessen ist gleichwol eine solche Behauptung. Zwar können empirische Gesetze, als solche, ihren Ursprung keinesweges vom reinen Verstande herleiten, so wenig als die unermeßliche Mannigfaltigkeit der Erscheinungen aus der reinen Form der sinnlichen Anschauung hinlänglich be- griffen werden kan. Aber alle empirische Gesetze sind nur
beson-
III. Abſch. Vom Verh. d. Verſt. zu Gegenſt. ꝛc.
des Mannigfaltigen der Erſcheinungen nach Regeln geben: denn Erſcheinungen koͤnnen, als ſolche, nicht auſſer uns ſtatt finden, ſondern exiſtiren nur in unſrer Sinnlichkeit. Dieſe aber, als Gegenſtand der Erkentniß in einer Erfah- rung, mit allem, was ſie enthalten mag, iſt nur in der Einheit der Apperception moͤglich. Die Einheit der Ap- perception aber iſt der transſcendentale Grund der noth- wendigen Geſetzmaͤßigkeit aller Erſcheinungen in einer Er- fahrung. Eben dieſelbe Einheit der Apperception in An- ſehung eines Mannigfaltigen von Vorſtellungen (es nem- lich aus einer einzigen zu beſtimmen) iſt die Regel, und das Vermoͤgen dieſer Regeln der Verſtand. Alle Erſchei- nungen liegen alſo als moͤgliche Erfahrungen eben ſo a prio- ri im Verſtande, und erhalten ihre formale Moͤglichkeit von ihm, wie ſie als bloſſe Anſchauungen in der Sinnlichkeit liegen, und durch dieſelbe der Form nach, allein moͤglich ſind.
So uͤbertrieben, ſo widerſinniſch es alſo auch lau- tet, zu ſagen: der Verſtand iſt ſelbſt der Quell der Ge- ſetze der Natur, und mithin der formalen Einheit der Na- tur, ſo richtig, und dem Gegenſtande, nemlich der Er- fahrung angemeſſen iſt gleichwol eine ſolche Behauptung. Zwar koͤnnen empiriſche Geſetze, als ſolche, ihren Urſprung keinesweges vom reinen Verſtande herleiten, ſo wenig als die unermeßliche Mannigfaltigkeit der Erſcheinungen aus der reinen Form der ſinnlichen Anſchauung hinlaͤnglich be- griffen werden kan. Aber alle empiriſche Geſetze ſind nur
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III. Abſch. Vom Verh. d. Verſt. zu Gegenſt. ꝛc.
des Mannigfaltigen der Erſcheinungen nach Regeln geben:
denn Erſcheinungen koͤnnen, als ſolche, nicht auſſer uns
ſtatt finden, ſondern exiſtiren nur in unſrer Sinnlichkeit.
Dieſe aber, als Gegenſtand der Erkentniß in einer Erfah-
rung, mit allem, was ſie enthalten mag, iſt nur in der
Einheit der Apperception moͤglich. Die Einheit der Ap-
perception aber iſt der transſcendentale Grund der noth-
wendigen Geſetzmaͤßigkeit aller Erſcheinungen in einer Er-
fahrung. Eben dieſelbe Einheit der Apperception in An-
ſehung eines Mannigfaltigen von Vorſtellungen (es nem-
lich aus einer einzigen zu beſtimmen) iſt die Regel, und
das Vermoͤgen dieſer Regeln der Verſtand. Alle Erſchei-
nungen liegen alſo als moͤgliche Erfahrungen eben ſo a prio-
ri im Verſtande, und erhalten ihre formale Moͤglichkeit
von ihm, wie ſie als bloſſe Anſchauungen in der Sinnlichkeit
liegen, und durch dieſelbe der Form nach, allein moͤglich
ſind.
So uͤbertrieben, ſo widerſinniſch es alſo auch lau-
tet, zu ſagen: der Verſtand iſt ſelbſt der Quell der Ge-
ſetze der Natur, und mithin der formalen Einheit der Na-
tur, ſo richtig, und dem Gegenſtande, nemlich der Er-
fahrung angemeſſen iſt gleichwol eine ſolche Behauptung.
Zwar koͤnnen empiriſche Geſetze, als ſolche, ihren Urſprung
keinesweges vom reinen Verſtande herleiten, ſo wenig als
die unermeßliche Mannigfaltigkeit der Erſcheinungen aus
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/157>, abgerufen am 01.02.2025.
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