Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptst.
Anschauung als Vorstellung zu einer reinen innern Anschau- ung, nemlich der Zeit. Diese Apperception ist es nun, welche zu der reinen Einbildungskraft hinzukommen muß, um ihre Function intellectuel zu machen. Denn an sich selbst ist die Synthesis der Einbildungskraft, obgleich a priori ausgeübt, dennoch iederzeit sinnlich, weil sie das Mannig- faltige nur so verbindet, wie es in der Anschauung er- scheint, z. B. die Gestalt eines Triangels. Durch das Verhältniß des Mannigfaltigen aber zur Einheit der Ap- perception werden Begriffe, welche dem Verstande ange- hören, aber nur vermittelst der Einbildungskraft in Be- ziehung auf die sinnliche Anschauung zu Stande kommen können.
Wir haben also eine reine Einbildungskraft, als ein Grundvermögen der menschlichen Seele, das aller Erkent- niß a priori zum Grunde liegt. Vermittelst deren brin- gen wir das Mannigfaltige der Anschauung einerseits, und mit der Bedingung der nothwendigen Einheit der rei- nen Apperception andererseits in Verbindung. Beyde äusserste Enden, nemlich Sinnlichkeit und Verstand, müssen vermittelst dieser transscendentalen Function der Einbil- dungskraft nothwendig zusammenhängen; weil iene sonst zwar Erscheinungen, aber keine Gegenstände eines empi- rischen Erkentnisses, mithin keine Erfahrung geben wür- den. Die wirkliche Erfahrung, welche aus der Apprehen- sion, der Association, (der Reproduction,) endlich der Re- cognition der Erscheinungen besteht, enthält in der letzte-
ren
Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptſt.
Anſchauung als Vorſtellung zu einer reinen innern Anſchau- ung, nemlich der Zeit. Dieſe Apperception iſt es nun, welche zu der reinen Einbildungskraft hinzukommen muß, um ihre Function intellectuel zu machen. Denn an ſich ſelbſt iſt die Syntheſis der Einbildungskraft, obgleich a priori ausgeuͤbt, dennoch iederzeit ſinnlich, weil ſie das Mannig- faltige nur ſo verbindet, wie es in der Anſchauung er- ſcheint, z. B. die Geſtalt eines Triangels. Durch das Verhaͤltniß des Mannigfaltigen aber zur Einheit der Ap- perception werden Begriffe, welche dem Verſtande ange- hoͤren, aber nur vermittelſt der Einbildungskraft in Be- ziehung auf die ſinnliche Anſchauung zu Stande kommen koͤnnen.
Wir haben alſo eine reine Einbildungskraft, als ein Grundvermoͤgen der menſchlichen Seele, das aller Erkent- niß a priori zum Grunde liegt. Vermittelſt deren brin- gen wir das Mannigfaltige der Anſchauung einerſeits, und mit der Bedingung der nothwendigen Einheit der rei- nen Apperception andererſeits in Verbindung. Beyde aͤuſſerſte Enden, nemlich Sinnlichkeit und Verſtand, muͤſſen vermittelſt dieſer transſcendentalen Function der Einbil- dungskraft nothwendig zuſammenhaͤngen; weil iene ſonſt zwar Erſcheinungen, aber keine Gegenſtaͤnde eines empi- riſchen Erkentniſſes, mithin keine Erfahrung geben wuͤr- den. Die wirkliche Erfahrung, welche aus der Apprehen- ſion, der Aſſociation, (der Reproduction,) endlich der Re- cognition der Erſcheinungen beſteht, enthaͤlt in der letzte-
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Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptſt.
Anſchauung als Vorſtellung zu einer reinen innern Anſchau-
ung, nemlich der Zeit. Dieſe Apperception iſt es nun,
welche zu der reinen Einbildungskraft hinzukommen muß,
um ihre Function intellectuel zu machen. Denn an ſich
ſelbſt iſt die Syntheſis der Einbildungskraft, obgleich a priori
ausgeuͤbt, dennoch iederzeit ſinnlich, weil ſie das Mannig-
faltige nur ſo verbindet, wie es in der Anſchauung er-
ſcheint, z. B. die Geſtalt eines Triangels. Durch das
Verhaͤltniß des Mannigfaltigen aber zur Einheit der Ap-
perception werden Begriffe, welche dem Verſtande ange-
hoͤren, aber nur vermittelſt der Einbildungskraft in Be-
ziehung auf die ſinnliche Anſchauung zu Stande kommen
koͤnnen.
Wir haben alſo eine reine Einbildungskraft, als ein
Grundvermoͤgen der menſchlichen Seele, das aller Erkent-
niß a priori zum Grunde liegt. Vermittelſt deren brin-
gen wir das Mannigfaltige der Anſchauung einerſeits,
und mit der Bedingung der nothwendigen Einheit der rei-
nen Apperception andererſeits in Verbindung. Beyde
aͤuſſerſte Enden, nemlich Sinnlichkeit und Verſtand, muͤſſen
vermittelſt dieſer transſcendentalen Function der Einbil-
dungskraft nothwendig zuſammenhaͤngen; weil iene ſonſt
zwar Erſcheinungen, aber keine Gegenſtaͤnde eines empi-
riſchen Erkentniſſes, mithin keine Erfahrung geben wuͤr-
den. Die wirkliche Erfahrung, welche aus der Apprehen-
ſion, der Aſſociation, (der Reproduction,) endlich der Re-
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/154>, abgerufen am 23.11.2024.
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