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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

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II. Absch. Gründe zur Möglichkeit der Erfahr.
Land mit Früchten, bald mit Eis und Schnee bedeckt seyn,
so könte meine empirische Einbildungskraft nicht einmal
Gelegenheit bekommen, bey der Vorstellung der rothen
Farbe den schweren Zinnober in die Gedanken zu bekom-
men, oder würde ein gewisses Wort bald diesem, bald ie-
nem Dinge beygeleget, oder auch eben dasselbe Ding bald
so bald anders benant, ohne daß hierin eine gewisse Re-
gel, der die Erscheinungen schon von selbst unterworfen sind,
herrschete, so könte keine empirische Synthesis der Repro-
duction statt finden.

Es muß also etwas seyn, was selbst diese Repro-
duction der Erscheinungen möglich macht, dadurch, daß es
der Grund a priori einer nothwendigen synthetischen Ein-
heit derselben ist. Hierauf aber komt man bald, wenn
man sich besinnt, das Erscheinungen nicht Dinge an sich
selbst, sondern das blosse Spiel unserer Vorstellungen sind,
die am Ende auf Bestimmungen des inneren Sinnes aus-
laufen. Wenn wir nun darthun können, daß selbst un-
sere reineste Anschauungen a priori keine Erkentniß ver-
schaffen, ausser, so fern sie eine solche Verbindung des
Mannigfaltigen enthalten, die eine durchgängige Syn-
thesis der Reproduction möglich macht, so ist diese Syn-
thesis der Einbildungskraft auch vor aller Erfahrung auf
Principien a priori gegründet, und man muß eine reine
transscendentale Synthesis derselben annehmen, die selbst
der Möglichkeit aller Erfahrung, (als welche die Repro-

duci-
G 3

II. Abſch. Gruͤnde zur Moͤglichkeit der Erfahr.
Land mit Fruͤchten, bald mit Eis und Schnee bedeckt ſeyn,
ſo koͤnte meine empiriſche Einbildungskraft nicht einmal
Gelegenheit bekommen, bey der Vorſtellung der rothen
Farbe den ſchweren Zinnober in die Gedanken zu bekom-
men, oder wuͤrde ein gewiſſes Wort bald dieſem, bald ie-
nem Dinge beygeleget, oder auch eben daſſelbe Ding bald
ſo bald anders benant, ohne daß hierin eine gewiſſe Re-
gel, der die Erſcheinungen ſchon von ſelbſt unterworfen ſind,
herrſchete, ſo koͤnte keine empiriſche Syntheſis der Repro-
duction ſtatt finden.

Es muß alſo etwas ſeyn, was ſelbſt dieſe Repro-
duction der Erſcheinungen moͤglich macht, dadurch, daß es
der Grund a priori einer nothwendigen ſynthetiſchen Ein-
heit derſelben iſt. Hierauf aber komt man bald, wenn
man ſich beſinnt, das Erſcheinungen nicht Dinge an ſich
ſelbſt, ſondern das bloſſe Spiel unſerer Vorſtellungen ſind,
die am Ende auf Beſtimmungen des inneren Sinnes aus-
laufen. Wenn wir nun darthun koͤnnen, daß ſelbſt un-
ſere reineſte Anſchauungen a priori keine Erkentniß ver-
ſchaffen, auſſer, ſo fern ſie eine ſolche Verbindung des
Mannigfaltigen enthalten, die eine durchgaͤngige Syn-
theſis der Reproduction moͤglich macht, ſo iſt dieſe Syn-
theſis der Einbildungskraft auch vor aller Erfahrung auf
Principien a priori gegruͤndet, und man muß eine reine
transſcendentale Syntheſis derſelben annehmen, die ſelbſt
der Moͤglichkeit aller Erfahrung, (als welche die Repro-

duci-
G 3
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[101/0131] II. Abſch. Gruͤnde zur Moͤglichkeit der Erfahr. Land mit Fruͤchten, bald mit Eis und Schnee bedeckt ſeyn, ſo koͤnte meine empiriſche Einbildungskraft nicht einmal Gelegenheit bekommen, bey der Vorſtellung der rothen Farbe den ſchweren Zinnober in die Gedanken zu bekom- men, oder wuͤrde ein gewiſſes Wort bald dieſem, bald ie- nem Dinge beygeleget, oder auch eben daſſelbe Ding bald ſo bald anders benant, ohne daß hierin eine gewiſſe Re- gel, der die Erſcheinungen ſchon von ſelbſt unterworfen ſind, herrſchete, ſo koͤnte keine empiriſche Syntheſis der Repro- duction ſtatt finden. Es muß alſo etwas ſeyn, was ſelbſt dieſe Repro- duction der Erſcheinungen moͤglich macht, dadurch, daß es der Grund a priori einer nothwendigen ſynthetiſchen Ein- heit derſelben iſt. Hierauf aber komt man bald, wenn man ſich beſinnt, das Erſcheinungen nicht Dinge an ſich ſelbſt, ſondern das bloſſe Spiel unſerer Vorſtellungen ſind, die am Ende auf Beſtimmungen des inneren Sinnes aus- laufen. Wenn wir nun darthun koͤnnen, daß ſelbſt un- ſere reineſte Anſchauungen a priori keine Erkentniß ver- ſchaffen, auſſer, ſo fern ſie eine ſolche Verbindung des Mannigfaltigen enthalten, die eine durchgaͤngige Syn- theſis der Reproduction moͤglich macht, ſo iſt dieſe Syn- theſis der Einbildungskraft auch vor aller Erfahrung auf Principien a priori gegruͤndet, und man muß eine reine transſcendentale Syntheſis derſelben annehmen, die ſelbſt der Moͤglichkeit aller Erfahrung, (als welche die Repro- duci- G 3

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/131>, abgerufen am 28.04.2024.